• zurück

Wozu braucht es die WOZ?

Von Klaus Bonano­mi - Der WOZ, der linken Wochen­zeitung, ist wieder mal das Geld aus­ge­gan­gen. Genau­so wie die linke deutsche Tageszeitung taz kämpft sie regelmäs­sig mit Liq­uid­ität­sprob­le­men; die linke franzö­sis­che Libéra­tion musste ihre Seele nicht ger­ade dem Teufel, aber doch einem Banki­er verkaufen (dazu später mehr), und auch die sozialdemokratis­che Bern­er Tag­wacht und ihr kur­zlebiges Nach­fol­ge­pro­dukt namens Haupt­stadt haben schon vor eini­gen Jahren das Zeitliche geseg­net, wie auch die anderen linken Blät­ter wie die Solothurn­er oder die Aar­gauer AZ oder die Zürcher DAZ.

Kön­nen die Linken ein­fach nicht mit Geld umge­hen? Klar doch, wer nie welch­es hat, lernt auch nie damit umzuge­hen… Aber das allein reicht nicht zur Erk­lärung. Tat­sache ist, dass es ohne einen kap­italkräfti­gen Ver­lag im Rück­en viel schwieriger ist, eine Zeitung zu machen, die auch bei flauer Kon­junk­tur über die Run­den kommt; Tat­sache ist auch, dass eine linke Zeitung immer nur ein Min­der­heit­en­pub­likum ansprechen und deshalb nie ans grosse Geld kom­men wird. Tat­sache ist schliesslich aber auch, dass die WOZ zuwenig Abon­nentIn­nen hat: «Jede Zeitung wird von durch­schnit­tlich acht Per­so­n­en gele­sen, doch nur ein­er bezahlt sie — die andern sieben lesen sie im Café, in der Wohnge­mein­schaft oder in der Bib­lio­thek», schrieb die WOZ kür­zlich, als sie auf ihre Liq­uid­ität­sprob­leme aufmerk­sam machte. «Wenn nur ein Vier­tel dieser Mitle­serIn­nen die WOZ abon­nieren würde, wären unsere Geld­prob­leme auf Jahre hin­aus gelöst.»

Mehr als 100‘000 Men­schen lesen Woche für Woche die WOZ — das sind dreimal so viele wie ins neue Wankdorf-Sta­dion passen; das Bedürf­nis ist also vorhan­den. Den­noch ist die WOZ ein­mal mehr auf die Sol­i­dar­ität ihrer LeserIn­nen angewiesen, indem sie zum Beispiel die Zeitung abon­nieren oder dem Fördervere­in ProWoz beitreten, der die WOZ-MacherIn­nen zusät­zlich unter­stützt. Die WOZ ist die einzige grössere poli­tis­che Zeitung in der Schweiz, die ihren Lesern und ihren Mitar­bei­t­erin­nen gehört.

Es braucht eine Zeitung, die ihren Leserin­nen und Mitar­beit­ern gehört — und nicht Grossin­dus­triellen, Bankiers und Rüs­tung­sun­ternehmern! In Frankre­ich ist die Krise der Presse — und zwar nicht nur der linken! — mit­tler­weile so weit fort­geschrit­ten, dass auch Qual­ität­szeitun­gen zur leicht­en Beute von Raubrit­tern wur­den: Der stein­re­iche Bankierssohn und Pfer­dezüchter Edouard de Roth­schild über­nahm Anfang Jahr ein dominieren­des Aktien­paket bei der Libéra­tion; «das ein­st­mals linksradikale Blatt aus Paris übergibt sich. In die Hände eines Bankiers», kom­men­tierte dies die taz sarkastisch und fand, der Deal sei «zum Kotzen». Noch übler: Der Rüs­tung­sun­ternehmer Serge Das­sault über­nahm let­ztes Jahr die kon­ser­v­a­tive Tageszeitung Le Figaro und das Mag­a­zin L‘Express, und der zweit­grösste franzö­sis­che Waf­fen­schmied Arnaud Lagardère ist bei der (bish­er) unab­hängi­gen Qual­ität­szeitung Le Monde eingestiegen.

Es braucht eine Zeitung, die ihren Lesern und Mitar­bei­t­erin­nen gehört — und nicht stein­re­ichen Bern­burg­ern oder zürcherischem Gold­küsten-Adel! Unsere Bern­er Blät­ter Bund und BZ sind nun friedlich vere­int unter dem Dach der Espace Media, zum Nutzen und From­men der Besitzer­fam­i­lien von Graf­fen­ried (die in der alljährlichen Bilanz-Liste der reich­sten Schweiz­er mit 300–400 Mil­lio­nen Ver­mö­gen aufge­führt ist) und Rein­hardt-Scherz (200 bis 300 Mil­lio­nen); Blick und Co. gehören der Fam­i­lie Ringi­er (900‑1000 Mil­lio­nen), die NZZ-Aktien sind bre­it gestreut ent­lang den Vil­len­hän­gen des Zürich­bergs; nur das Ver­lagshaus Tame­dia (Tages-Anzeiger, Facts, Son­ntags-Zeitung etc.) ist mit­tler­weile eine ganz gewöhn­liche börsenkotierte AG, doch dürfte ein Teil des Kap­i­tals immer noch bei der früheren Besitzer­fam­i­lie Con­inx (900 bis 1000 Mil­lio­nen) liegen, die auch schon beim Börsen­gang ihr Scher­flein ins Trock­ene brachte.

Es braucht eine Zeitung, die ihren Leserin­nen und Mitar­beit­ern gehört — und nicht den Wer­beauf­tragge­bern, die immer scham­los­er ihre Mark­t­macht und die die Finanznot der Presse aus­nutzen, um ihre immer grelleren, auf­fäl­ligeren und bun­teren Sujets in die Zeitun­gen zu drück­en und die redak­tionellen Texte immer mehr an den Rand zu quetschen.

Es braucht eine Zeitung, die ihren Lesern und Mitar­bei­t­erin­nen gehört das sehen auch die WOZ-LeserIn­nen so: Weit über 100 ́000 Franken kamen nach dem Sol­i­dar­itäts-Aufruf zusam­men. Doch die WOZ ist noch nicht über dem Berg; es braucht 300 ́000 Franken, damit die Zeitung eine gesicherte Zukun­ft hat.

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Mai 2005

Artikel online veröffentlicht: 19. Juli 2017