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Yorgos Lanthimos: The Lobster

the_lobster_3-940x626Von San­dro Wied­merEine Zukun­ftsvi­sion, aber keine Sci­ence Fic­tion: Eine Par­al­lel­welt, in welch­er einiges zu Ende gedacht wird, was unter­schwellig heute vorhan­den ist, eine zer­broch­ene Para­bel, welche das Absurde der Gegen­wart vor Augen führt. Eine eis­gekühlte Komödie.

Schon mit «Kynodontas»/«Dogtooth» (2009), mit dem er inter­na­tion­al für Aufmerk­samkeit sorgte,  und «Alpeis»/«The Alps» (2011), hat der griechis­che Regis­seur Yor­gos Lan­thi­mos im Ver­bund mit dem Drehbuchau­tor Efthymis Fil­lipou diesen eige­nar­ti­gen Humor auf die Lein­wand gebracht, den das Ges­pann nun mit dem englis­chen Debut «The Lob­ster» weit­er entwick­elt und regel­recht zele­bri­ert. Eine unterkühlte Art von Satire, aus­ge­hend von absur­den Voraus­set­zun­gen, nur zu reale Tat­sachen in den Vorder­grund schiebend, bisweilen auch ein Tabu brechend um auf den Punkt hinzuweisen, auf den das Ganze nie gebracht wird. Ist es in «Dog­tooth» die dys­funk­tionale Fam­i­lie, die gnaden­los zerzaust wird, mit den Eltern, die ihre Sprösslinge um jeden Preis von allem Übel fernzuhal­ten tra­cht­en, in «The Alps» der Umgang mit dem Tod, der unverblümt zur Sprache kommt, die Filmemach­er ent­lassen uns mit mehr Fra­gen, als uns befrem­dende Bilder vorge­set­zt wer­den. Nun fol­gt mit «The Lob­ster» eine Abhand­lung über roman­tis­che Beziehun­gen, wie sie frostiger nicht sein kön­nte.

Für Einzel­gänger gibt es ein lux­u­riös­es Hotel-Resort, in welchem den nach einein­halb Monat­en nach ihrer Ein­liefer­ung nicht zu ein­er Paarung Gekomme­nen bloss noch die Wahl für ein Tier bleibt, als das sie wiederge­boren wer­den wollen. Ein von Frau und Kindern ver­ab­scheuter Vater trifft nach der Schei­dung mit einem Hund ein, seinem Brud­er, der es vor Monat­en nicht geschafft hat, eine Part­ner­schaft zu find­en. Falls auch er scheit­ert, will er selb­st als Hum­mer («Lob­ster») wiederge­boren wer­den: der lebt ange­blich hun­dert Jahre lang, und bleibt bis zulet­zt frucht­bar. Ein hohes Ziel angesichts der gestren­gen Regeln des Hotels, welch­es neben der Aben­dun­ter­hal­tung durch die Führung auch oblig­a­torische Jagdpar­tien mit Betäubungs­gewehren auf Einzel­gänger ver­anstal­tet.

Auf den Ver­lauf der Hand­lung einzuge­hen würde zu viel Raum beanspruchen, es soll hier der Hin­weis genü­gen, dass der Mann vom Regen in die Traufe find­et. Es gibt eine Gegen­be­we­gung in den weitläu­fi­gen Wäldern um das Hotel, und da sind Beziehun­gen jeglich­er Art strikt ver­boten. Schon ein Kuss bedeutet zer­schnit­tene Lip­pen, und für weit­erge­hende Gemein­samkeit­en unter den Vere­inzel­ten sind weit drakonis­chere Strafen ange­sagt. Ein wahrer Zauber­wald, in dem immer wieder irgendwelche Tiere durch das Bild geis­tern. Aus­gerech­net da find­et er seine mit ver­wandten Defek­ten aus­ges­tat­tete Part­ner­in, in die er sich ver­liebt: es ist die Kurzsichtigkeit, die bei­de verbindet.

Die Komödie vere­int einen wohltuend entspan­nten Col­in Far­rell, einen lispel­nden John C. Reil­ly, einen hink­enden Ben Whishaw, eine in den Wäldern um das Hotel dominierende Léa Sey­doux mit ein­er extrem bösen Aura, die mit dem Makel der Kurzsichtigkeit dem Gebrechen Far­rells entsprechende Rachel Weisz, und einen grossen Teil des Casts der vorherge­hen­den Filme in ein­er sur­realen Farce, die sich gut geölt, aber ver­hal­ten langsam zu ein­er Geschichte aus­bre­it­et, die befremdet weil sie berührt, oder berührt weil sie befremdet, so genau lässt sich das nicht bes­tim­men. Wohl deshalb, weil da vor allem Fra­gen zurück­bleiben, hat sich kein Ver­leih in der Schweiz gefun­den. Trotz dem Preis der Jury in Cannes 2015, trotz den offen­sichtlichen Qual­itäten des Films, froh darf sein, wer ihn dank der Ini­tia­tive eines Kinos auf der Lein­wand sehen kann. Für alle anderen: DVD und Blu­Ray sind nun auch schon erhältlich, und der Trip lohnt sich.

 

«The Lob­ster» (IRL,UK,GREECE,F, 2015), Regie: Yor­gos Lan­thi­mos, mit Col­in Far­rell, Rachel Weisz, John C. Reil­ly, Léa Sey­doux, Ben Whishaw, Ange­li­ki Papou­lia, 118 Min.

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Artikel online veröffentlicht: 4. April 2016 – aktualisiert am 18. März 2019