• zurück

«Zeichentrick beginnt da, wo Schauspiel aufhört»

Von Stephan Fuchs - Jonas, ich habe erwartet dich mit tief­schwarzen Augen­rin­gen und reich­lich aus­ge­hungert anzutr­e­f­fen. Aber du siehst blendend aus! Das über­rascht mich. Keine Panik, so kurz vor den Solothurn­er Film­ta­gen?
Ach was! Ich hun­gere nicht gerne. Das mit den Augen­rin­gen wird aber schon noch wer­den. Spätestens nach den Film­ta­gen werde ich ganz bes­timmt mit schwarzen Augen­rin­gen Kaf­fee suchen gehen. Wir kön­nen uns ja dann wieder tre­f­fen. Die bei­den Filme von Claudius Gen­tinet­tas „Pold­ek“ und Rafael Gschwind’s „AVE“, sind fer­tig. Diese Woche kommt noch die Ver­to­nung drauf und ab geht’s. Ich bin ja auch nur der Pro­duzent der Filme. „Pold­ek“ zum Beispiel war beina­he fer­tig als er in unser Stu­dio gekom­men ist. Wir haben nur noch kolo­ri­ert und geben hier dem elf Minuten Film den let­zten Schliff. Gen­tinet­ta hat einen atem­ber­auben­den Zeichen­stil und ich freu mich sehr, den Film zu sehen. Rafael Gschwind war unser Prak­tikant. Der beste den wir je hat­ten. Sein Film „AVE“ ist seine Abschlus­sar­beit und ver­di­ent es auch an den Film­ta­gen gezeigt zu wer­den. Ich bin natür­lich ges­pan­nt, wie die Resul­tate aus­fall­en. So, macht es eigentlich nur Spaß, weißt du!

Klar, du bist ja auch ein alter Hase in Solothurn. VENI VIDI VICI! Und das hin­tere­inan­der vier Mal. Jonas, das ist ja pein­lich. Ist die Schweiz­er Trick­film­szene so schlecht?
Dur­chaus nicht. Es gibt unglaublich gute und pro­fes­sionelle Arbeit­en. Manch­mal ist es nur so, dass Pro­duk­tio­nen aus anderen Häusern nicht auf den Ter­min von Solothurn fer­tig wer­den. Es ist auch so, dass viele Stu­dios; und es sind ja vor­wiegend kleine Stu­dios in der Schweiz, nur alle zwei Jahre einen Film pro­duzieren kön­nen. Man kann schlicht und ein­fach nicht mehr pro­duzieren wenn man alleine arbeit­et. Schau dich bei uns im Stu­dio um. Im Moment sind acht Leute hier beschäftigt. Es waren auch schon drei mal so viele. Ani­mierte Bildgeschicht­en sind enorm Zeitaufwändig und kosten­in­ten­siv. Um Pro­duk­tio­nen zu real­isieren, braucht es Admin­is­tra­tion, man muss Gelder beschaf­fen, man muss raus zu den Leuten, sollte den­noch kreativ sein und irgend­wann auch konkret arbeit­en. Mehr Konkur­renz wäre allerd­ings schon gut und glaube mir, die Schweiz­er Szene ist gut und kreativ.

Bei vie­len kreativ arbei­t­en­den Men­schen ist es ja so, dass sie eine externe Kraftquelle brauchen. Bei den einen ist es Alko­hol, bei anderen die zer­reißende Liebe, oder der Schmerz. Was ist deine Quelle?
Wut! Ganz klar! Ich lese Zeitun­gen, höre mir Geschicht­en an, unter­halte mich mit Men­schen. Ich hab also genü­gend Quellen um mir meine nötige Ration Ärg­er zu besor­gen. Und das ohne, wie das sehrwahrschein­lich bei den Kraftquellen Liebe oder Schmerz der Fall sein kann, andere in Mitlei­den­schaft zu ziehen. Ärg­er und Wut stim­ulieren mich. Sie… peitschen mich an. Der Ärg­er ist auch was ganz per­sön­lich­es, ich muss da nicht meine Fam­i­lie hineinziehen.

Das klingt sehr dynamisch und trotz­dem hat die Bern­er Zeitung mal geschrieben deine Filme seien poli­tisch kor­rekt. Das ist ja furcht­bar lang­weilig, vor allem in Anbe­tra­cht dein­er Pro­duk­tion W.O.W in der Satire Sendung „Punkt.CH“, die am 4. Feb­ru­ar das erste Mal auf SFDRS aus­ges­trahlt wird.
Ja, tat­säch­lich!? Der Begriff „poli­tisch kor­rekt“ ist ja auch vol­lkom­men abge­droschen und überdehnt. Entwed­er war der Film wirk­lich lang­weilig, oder der Jour­nal­ist hat den Film nicht ver­standen. Das kann ich jet­zt schlecht beurteilen. Für mich heißt „poli­tisch kor­rekt“ zu sein vom Tisch aufzuste­hen, Mei­n­un­gen zu sagen und Argu­mente zu brin­gen. Das machen meine Filme, das wird W.O.W. machen. Trick­filme, ins­beson­dere poli­tis­che Satire in Form ein­er Nachricht­ensendung sind ein glanzvolles Medi­um dazu.

Das wird sich zeigen. Ich kann dir aber jet­zt schon sagen, dass du auf einem sei­de­nen Faden Purzel­bäume schlägst. Der Sturz kön­nte für dein Stu­dio schmerzvoll sein, wenn dich das Pub­likum fall­en lässt.
Cre­do! Was bleibt mir anderes übrig, als den Ver­such zu machen und es möglichst gut zu machen. Böse Leser­briefe wird es sich­er geben. Ger­ade bei poli­tis­ch­er Satire muss man damit rech­nen, das ist ein­fach so. Im schlimm­sten Fall, ist SWAMP wieder das kle­in­ste Stu­dio…

…W ste­ht für wee­ni­est (winzig­ste). Das ist wohl schon lange nicht mehr der Fall oder?
Also manch­mal sitz ich hier ganz alleine mit mein­er Kaf­feemas­chine. Ich habe tat­säch­lich beim winzig­sten ange­fan­gen, habe Com­ic Heftchen geze­ich­net und ver­sucht Walz Kopi­en an meine Mitschüler und Eltern zu verkaufen. Bodyflottt hieß das damals. Die drei T für die drei die da mit­gemacht haben. Du warst ja auch dabei als Tex­ter… obwohl nie was schlaues dabei raus kam… aber ich bin dabeige­blieben wie du auch. Ich wollte zeich­nen. Ich wollte ani­mierte Filme machen und schlussendlich wollte ich davon leben kön­nen. Ich bin nicht der Kerl der rumhängt und Dinge erzählt, ich bin ein Mach­er und habe mir einen Traum real­isiert…

…26 Jahre, wenn ich mich recht erin­nere…
.…in etwa so ja. Manch­mal sitzen hier zwanzig Leute und zeich­nen, kolo­ri­eren, machen Geräusche zum Film und arbeit­en hart. So gese­hen, ist es manch­mal das größte Trick­film Stu­dio in der Schweiz. Alles was ich jun­gen inter­essierten anbi­eten kann ist ein Prak­tikum sowie recht wie schlecht bezahlte Jobs für Profis in größeren Pro­jek­ten. Mein Gott, die Leute die hier arbeit­en sind alle unter­bezahlt. Sie machen es aus Liebe zur Materie und weil sie in ihrem Fach gut sind. In der Schweiz gibt es ja keine Aus­bil­dung für das Medi­um. Die Zeich­n­er die hier sind haben in Eng­land, Lux­em­burg, Deutsch­land und Kana­da studiert.

Dann eröffne doch noch eine Schule!
Sich­er nicht. Ich will nicht als Lehrer vor ein­er Horde Zeich­n­er und Zeich­ner­in­nen ste­hen und wis­sen, dass ich eigentlich nur hier ste­he weil ich es sel­ber nicht geschafft habe. Ich will Filme machen!

Du hast dich also etabliert?
Nein, eben nicht… Ich kann eini­gen Leuten nur einen Arbeit­splatz auf Zeit geben. O.k, das Stu­dio gewin­nt hier und da einen Preis. Über all die Jahre genom­men hat­te ich Auf­tragge­ber wie Farn­er PR, SFDRS, Novar­tis und ähn­liche, aber die Zeich­n­er die ich brauche um solche Pro­duk­tio­nen real­isieren zu kön­nen kann ich trotz­dem nicht befriedi­gend bezahlen. Wir machen hier alles: Geräusche, Dig­i­tal­isierung, Storyboard’s, Ani­ma­tion, ein­fach alles. Es ist ein ewiger Kampf…

…wie ich sehe vor­wiegend um die Kaf­feemas­chine, die du partout nicht ver­leihst. Deine Zeich­n­er und Zeich­ner­in­nen benöti­gen wirk­lich viel Kaf­fee! Es ist aber nicht das was mich wirk­lich beun­ruhigt, son­dern den Her­rn im Trench­coat den ich jet­zt zum x‑ten Mal zur Türe habe reinkom­men sehen. Ich habe aber noch nie gese­hen wie er da raus­ge­ht. Wer ist das, wie macht er das?
Keine Ahnung! Das ist Hem­mig, der Außenko­r­re­spon­dent der Nachricht­ensendung W.O.W. Lass dich nicht beir­ren von Her­rn Hem­mig. Aber wie er das macht weiss ich nicht. Vielmehr würde ich es merk­würdig find­en wenn Hem­mig immer drin­nen wäre. Sehrwahrschein­lich wäre er dann Innenko­r­re­spon­dent. Das Nachricht­en Team ist jet­zt übri­gens ger­ade bei den let­zten Probedurchgän­gen für die erste Live Sendung am 4. Feb­ru­ar auf SFDRS. Das Stu­dio ist gle­ich da hin­ter dir. Hast du Lust das Stu­dio zu sehen?

Selb­stver­ständlich! Aber eine Geschichte inter­essiert mich noch. Du machst Poet­ry Slam…
Stopp!! Schreib das nicht. Ich liebe Poet­ry Slam. Wann immer möglich, geh ich da hin. Als begeis­tert­er Zuhör­er. Die Luzern­er Ver­anstal­ter haben mich auch schon mal ange­fragt, ob ich Lust hätte in den Ring zu steigen. Natür­lich hab ich abge­sagt. Nun haben sie mich aber übertölpelt, haben gesagt es sei ein Bene­fiz für irgend­was und da haben sie einen schwachen Punkt erwis­cht. Ich habe zuge­sagt… Meine Güte haben mir die Knie geschlot­tert. Ich hat­te diesen kleinen Kas­ten mit­geschleppt der meine Stimme loopen sollte. Stell Dir vor, kaum am Büh­nen­rand hat das Ding ver­sagt. Ich hätte gewün­scht ich hätte ein­er dieser großen Bärte an. Nein, das mach ich nie mehr und ich hab mir nachträglich eine Glatze schnei­den lassen. Im Zeichen­trick, da sprechen die Fig­uren. Auf der Lein­wand krabbeln sie vor sich hin, ent­blößen sich auf ihre Weise oder tun Dinge die man sich im richti­gen Leben nicht vorstellen kann. Ich sitz dann ganz entspan­nt im Zuschauer­raum, hör mir die Kom­mentare der anderen an und genieße. Da fühl ich mich wohl und zuhause.

Bist du auch so entspan­nt wenn du die ersten Ein­schaltquoten und Kri­tiken auf die W.O.W. Satire erhältst?
Das ist schw­er zu sagen. Kür­zlich war ich im Mul­ti­plexki­no bei Luzern und ich hat­te Angst. Ich dachte; „mein Gott, W.O.W. wird nie­mand ver­ste­hen.“ Aber den Anspruch kann ich gar nicht haben. Niemals wer­den alle meine Gags lustig find­en und manche wer­den wütend reagieren. Aber das ist ja schlussendlich gut so, denn es wird etwas bewe­gen. Dann ist es „poli­tisch kor­rekt.“ Ich habe ein gutes Team, ich kann bis ganz kurz vor der Sendung auf Neuigkeit­en reagieren und kann somit topak­tuell sein. Was wir kön­nen, wer­den wir gut machen und Herr Hem­mig ist gut. Er hat dich bere­its erstaunt und…

…trotz­dem würde ich gerne wis­sen wie er das macht.
SWAMP begin­nt da wo Schaus­piel aufhört. Her­rlich nicht? Komm mit; wir gehen ins Stu­dio zu den Proben!

Jonas Raeber

Jonas Rae­ber wurde 1968 in Luzern geboren. 1991 grün­dete er SWAMP „Switzerland’s Wee­ni­est Ani­mat­ed Motion Pic­tures.“ Für seine Trick­filme gewann er etliche Preis, unter anderem an den Solothurn­er Film­ta­gen, in Chica­go und Bil­bao. Seine filme wur­den an etlichen inter­na­tionalen Film­fes­ti­vals gezeigt und gewürdigt. Ab Feb­ru­ar 2004, strahlt SFDRS monatlich die Satire­sendung „Punkt.CH“ mit Jonas Raeber’s Nachricht­en Mag­a­zin W.O.W. aus.

Bild: SWAMP Zeichen­trick-Stu­dio
ensuite, Feb­ru­ar 2004

Artikel online veröffentlicht: 11. Juni 2017