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Zu blöd, die eigene Blödheit zu erkennen

Von Patrik Etschmay­er - Die Real­ität ist nicht mehr rel­e­vant. Zumin­d­est, wenn man Poli­tik und Wirtschaft anschaut und deren Umgang mit lokalen und glob­alen Prob­le­men. Das Beispiel der glob­alen Kli­maer­wär­mung (die ein Fakt ist, auch wenn gewisse Per­so­n­en immer noch das Gegen­teil behaupten), demon­stri­ert erschreck­end, wie sehr der Glaube ver­bre­it­et ist, dass magis­ches Denken die Wirk­lichkeit übertrumpfen kann.

Wenn ein Poli­tik­er Wis­senschaftlern vor­wirft, in eine glob­ale Ver­schwörung ver­wick­elt zu sein, die Forsch­er aus sämtlichen Län­dern der Welt umfasst, und dazu noch die aller­meis­ten aus dem entsprechen­den Fachge­bi­et, dann gibt es zwei Möglichkeit­en. Entwed­er hat er einen unglaublichen Skan­dal ent­deckt, der sehr leicht zu beweisen wäre. Oder er braucht eine Entschuldigung und Erk­lärung dafür, eine vielfach bewiesene Real­ität zu leug­nen, die seinen poli­tis­chen Zie­len im Weg ste­ht.

Was ist nun wahrschein­lich­er? Dass Tausende von Forsch­ern aus ver­schieden­sten Uni­ver­sitäten, Forschungsin­sti­tuten und Fachge­bi­eten heim­lich ihre Resul­tate abstimmten, um gegen die mächtig­sten und reich­sten Konz­erne zu kämpfen und die Gele­gen­heit zu ver­nicht­en, von genau diesen Konz­er­nen jede Menge Forschungs­gelder zu bekom­men? Oder han­delt es sich eher um einen Poli­tik­er, der aus Macht­gi­er und aus Oppor­tunis­mus gegenüber grosszügi­gen Parteis­pendern und igno­ran­tem Wahlvolk den Entscheid trifft, die Real­ität zu ver­leug­nen und schlicht und ergreifend Lügen und Verunglimp­fun­gen zu ver­bre­it­en?

Es gäbe natür­lich noch eine dritte Vari­ante: Jene, dass der Poli­tik­er ein­fach abgrundtief dumm ist und ein­fach davon aus­ge­ht dass das, was er nicht wahrhaben will auch nicht wahr ist. Nicht zulet­zt, weil er wed­er die wis­senschaftliche Meth­ode noch die Gefahr, der sub­jek­tiv­en Wahrnehmung zu ver­trauen, ken­nt und nicht weiss, dass der ‘gesunde Men­schen­ver­stand’, auf den sich viele ‘Kli­maskep­tik­er’, Impfgeg­n­er, Holo­caust-Leugn­er und Chem-Trail-Pro­pa­gan­dis­ten berufen, von irgend einem Punkt an zum Scheit­ern verurteilt ist.

Die Wis­senschaft als Meth­ode wurde ja genau deshalb entwick­elt, weil unser All­t­agsver­stand, unser Pri­maten­hirn, das während sein­er Entwick­lungs­geschichte prak­tisch nie mehr als ein Jahr in die Zukun­ft pla­nen musste, ein­fach nicht in der Lage ist, kom­plexe Fak­ten in ein­er unendlich kom­plizierten Welt zu erken­nen.

Schon von dem her stellt Wis­senschaft für viele Men­schen eine Kränkung dar, sagt sie doch schlicht und ergreifend: du bist zu blöd! Doch um das als Kränkung zu empfind­en muss man vor allem an Igno­ranz und Grössen­wahn lei­den, denn es ist mal Tat­sache, dass wir prak­tisch alle zu ‘blöd’ sind, um nur mit den beschränk­ten Mit­teln unser­er Wahrnehmung die Welt zu erken­nen, wie sie in etwa ist. Ohne die Erken­nt­nisse der Astronomie zum Beispiel müssten wir daran glauben, dass die Sonne um die Welt kreist, dass der Mond gle­ich gross wie die Sonne ist, dass Sterne winzige Licht­punk­te sind, die am Tag ver­schwinden und dass es keine anderen Plan­eten gibt. Wir wür­den glauben, dass sich das Weltall nicht verän­dert und auch, dass die Erde ewig ist. Doch wir wis­sen, dass das nicht stimmt, wir wis­sen, dass Mil­liar­den von Son­nen alleine in unser­er Galax­ie strahlen, dass es Mil­liar­den von Galax­ien im Uni­ver­sum gibt und noch vielfach mehr Plan­eten. Und wir wis­sen dies, weil die Wis­senschaft uns über Jahrhun­derte im Kampf gegen die Igno­ranz dieses Wis­sen eröffnet hat.

Ähn­lich­es lässt sich über Geolo­gie, Medi­zin, Biolo­gie, Kern- und Quan­ten­physik und viele andere wis­senschaftliche Gebi­ete sagen, die sich — vielfach in Wech­sel­wirkung mit der Kul­tur — während der let­zten 500 Jahre entwick­elt haben. Und wer wirk­lich ver­sucht, Wis­senschaft zu ver­ste­hen, wird nicht — wie von manchen Eso­terik­ern behauptet — Hybris, son­dern viel mehr Demut empfind­en.

Doch Demut ist viel­er Men­schen Sache nicht. Zumin­d­est nicht, wenn diese sie (wie in der Reli­gion) nicht gle­ichzeit­ig wieder über­höht und gle­ich an die Seite ihres Gottes befördert. Denn Wis­senschaft schme­ichelt uns nicht, sagt uns nicht, dass wir bess­er und für immer sind. Sie sagt uns, dass wir ver­wund­bar und endlich, das unsere Erde frag­il, dass wir zer­störerisch und unver­ant­wortlich sind und wom­öglich schon in ein­er Stunde von einem Kome­ten aus­radiert wer­den kön­nen. Und sie sagt uns auch, dass unser Lebensstil, der vor allem im West­en gepflegt wird, nicht auf Dauer aufrechter­hal­ten wer­den kann.

Doch das sind alles Aus­sagen, welche die ide­ol­o­gis­chen Grund­la­gen des Kap­i­tal­is­mus ziem­lich übel ausse­hen lassen, als ein Gedanken­sys­tem, das in ein­er Zeit der Igno­ranz ein- und sei­ther fast unverän­dert weit­er geführt wurde.

Nun gibt es zwei Möglichkeit­en: Wir arrang­ieren uns mit der Real­ität und arbeit­en daran, diese nicht zur Katas­tro­phe verkom­men zu lassen. Dies bedeutet dann aber auch, Abschied von vie­len lieb gewor­de­nen Din­gen zu nehmen oder sich zumin­d­est einzuschränken. Oder wir glauben jenen poli­tis­chen und wirtschaftlichen Kräften, welche die Real­ität zur Lüge und die Lüge zur Wahrheit erk­lären, weil dies so viel angenehmer ist, im Moment.

Aber Fak­ten haben die unan­genehme Eigen­schaft, sich nicht von Poli­tik­ern beein­druck­en zu lassen, die sie leug­nen. Dass so viele Wäh­ler aber genau solchen Kan­di­dat­en fol­gen, lässt — rein wis­senschaftlich betra­chtet — nur einen Schluss zu: Wir sind nicht nur zu blöd, um die Wirk­lichkeit wahrzunehmen, viele sind sog­ar zu blöd, wahrzuhaben, dass sie zu blöd dafür sind. Und das ist dann wirk­lich saublöd.

Artikel online veröffentlicht: 9. November 2016 – aktualisiert am 28. November 2016