• zurück

Die fehlende Lunge – ein Film über Verlust und zu wenig Organe

Coverfoto FBVon Bar­bara Roel­li — Weisse Wolken ziehen über den blauen Him­mel. „Du hast immer gesagt, wenn man stirbt, kommt man in den Him­mel“, spricht eine Stimme aus dem Off. Sie gehört Aline, der Schwest­er von Ker­stin. Man sieht die Bei­den mit­ten in einem Blu­men­feld in der Sonne. Sie umar­men sich innig, lachen. Ker­stin pustet die Samen eines reifen Löwen­zahns in den Wind. Es sind Bilder ein­er schein­bar unbeschw­erten Jugend — einge­fan­gen einen Monat vor Ker­stins Tod. Ker­stin Lan­geneg­ger stirbt im Alter von 20 Jahren an der unheil­baren Stof­fwech­selkrankheit Cys­tis­che Fibrose (CF).

So startet der Film „Die fehlende Lunge“ der Jour­nal­istin Aline Lan­geneg­ger. Mit­tler­weile sind fünf Jahre ver­gan­gen, seit Aline ihre Schwest­er ver­loren hat – der Schmerz darüber ist immer noch da. Denn Ker­stin liess sich auf­grund ihres schlecht­en Gesund­heit­szu­s­tandes auf eine Liste set­zen für Organtrans­plan­ta­tio­nen. Eine neue Lunge hätte ihr helfen kön­nen, länger und bess­er zu leben. Dazu ist es nicht gekom­men. Und an diesem Punkt set­zt der Film an: Beim Schmerz darüber, dass es für die Schwest­er eine Möglichkeit gegeben hätte, weit­erzuleben. Dann näm­lich, wenn eine Spender­lunge da gewe­sen wäre.

Dass sie mit ihrem Schick­sal nicht alleine ist, weiss Aline Lan­geneg­ger, und beg­ibt sich auf die Suche nach anderen Betrof­fe­nen, die ihre Geschwis­ter durch CF ver­loren haben. Sie find­et Sil­ja aus Bern, Tama­ra aus Mut­tenz und Rafael aus Salgesch. Mit ihnen spricht Aline im Film über Ver­lust, Erin­nerun­gen und Gefüh­le, die zurück­bleiben. Diese per­sön­lichen Geschicht­en, filmisch miteinan­der ver­woben, sind denn auch die Stärke des Films. Momente wie dieser, als Rafael in einem Porsche ange­braust kommt, aussteigt und lachend auf das Auto zeigt: „Dies war immer der Traum meines Brud­ers!“. Oder als Tama­ra erzählt — am Inli­neskat­en auf einem Feld­weg — wie sie hier oft zu zweit unter­wegs waren, als ihre Schwest­er noch lebte. Tama­ra glaubt nicht, dass dieser Schmerz, die eigene Schwest­er ver­loren zu haben, jemals ver­fliegt: „Es ist ein­fach beschissen.“

Über das per­sön­lich Erlebte der Pro­tag­o­nis­ten schafft der Film eine Nähe zum Pub­likum. Und dies nicht nur über die jun­gen Men­schen, die an Cys­tis­ch­er Fibrose gestor­ben sind und ihre Hin­terbliebe­nen. Zwei weit­ere Per­so­n­en machen die Krankheit und das Organspenden aktueller denn je: Der dreis­sigjährige Fabi­an lei­det sel­ber an der vererb­baren Stof­fwech­selkrankheit und wartet auf ein Spenderor­gan. Er erzählt davon, wie seine Kraft schwindet, wie er nur noch mit dem Auto von zuhause wegkommt. Im Pub­likum sitzend wird man zum Beobachter eines beschw­er­lichen Lebens. Man atmet mit Fabi­an ein und aus, wenn er sein Inhala­tion­s­gerät benutzt, ver­sucht sich vorzustellen wie es ist, wenn kleine Arbeit­en, wie Wäsche waschen, zur Stra­paze wer­den. Als man sich als Zuschauer fragt, ob ein solch­es Leben noch lebenswert ist und eine Spender­lunge über­haupt die notwendi­ge Besserung brin­gen würde, taucht Mir­jam auf.

Mir­jam hat­te Glück – sie hat eine Spender­lunge bekom­men und kostet ihr neues Leben nun voll und ganz aus. Man ist zusam­men mit ihr in der Luft, als sie ihren ersten Deltaflug erlebt. Mir­jam hat sich eine To Do-Liste gemacht mit allen Din­gen, die sie jet­zt tun will. Sie ist die Hoff­nungsträgerin des Films — der Beweis, dass ein Leben als Lun­gen­trans­plantierte lebenswert ist. „Endlich kann ich mit meinem Fre­und küssen, ohne dabei einen Hus­te­nan­fall zu kriegen“, erzählt sie. Doch die trans­plantierte Lunge hat ihren Preis und ist keine Garantie für ein langes Leben. Mir­jam muss täglich bis zu 60 ver­schiedene Medika­mente nehmen, damit ihr Immun­sys­tem unter­drückt wird und somit die fremde Lunge nicht abstösst.

Der Film „Die fehlende Lunge“ berührt emo­tion­al und rüt­telt auf. Er beschreibt Cys­tis­che Fibrose aus Sicht von Betrof­fe­nen und medi­zinis­chen Fach­per­so­n­en. Gle­ichzeit­ig sen­si­bil­isiert er das Pub­likum für das The­ma Organspende, was das eigentliche Ziel von Aline Lan­geneg­ger war. Die nationale Stiftung Swis­strans­plant etwa, die das Pro­jekt mit­fi­nanzierte, weist im Film darauf hin, dass zurzeit 1400 Per­so­n­en in der Schweiz auf ein Spenderor­gan warten. Mit solchen Fak­ten appel­liert der Film nicht an die Moral, aber er regt an, sich Gedanken zu machen, sel­ber zum Organspender zu wer­den.

Der Film ist als Ganzes sehr dicht an Infor­ma­tio­nen, was dem schw­eren The­ma noch mehr Gewicht gibt. Etwas län­gere Ver­schnauf­pausen zwis­chen Facts zur Krankheit und Organspende hät­ten gut getan. Lei­der wirkt der Film am Ende über­laden, weil auch noch die Nation­al­rats­de­bat­te zur Organspende vom März 2015 the­ma­tisiert wird.

Aline Lan­geneg­ger führt als Ini­tiantin und Betrof­fene sel­ber durch den stündi­gen Film. Man sieht sie im Gespräch mit anderen betrof­fe­nen Geschwis­tern, als Repor­terin beim ehe­ma­li­gen Arzt ihrer Schwest­er oder auf der Strasse beim Befra­gen von Pas­san­ten. In gewis­sen Sit­u­a­tio­nen wirkt ihre Rolle ein­studiert, ihre Omnipräsenz wäre nicht nötig gewe­sen. Denn die berührend­sten Momente im Film sind die, in welchen Aline zu ihrer ver­stor­be­nen Schwest­er spricht. So, als wäre Ker­stin noch da.

Der Film „Die fehlende Lunge“ läuft in Bern an fol­gen­den Dat­en:

Im Kino Rex
Mon­tag, 2. Mai 2016, 19.00 Uhr
Dien­stag, 3. Mai 2016, 19.00 Uhr

In der Ciné­mat­te
Don­ner­stag, 5. Mai 2016, 19.00 Uhr
Fre­itag, 6. Mai 2016, 19.00 Uhr
Don­ner­stag, 12. Mai 2016, 20.30 Uhr

 

Weit­er­führende Links:
Cys­tis­che Fibrose: www.cfch.ch/
Swis­strans­plant: www.swisstransplant.org
Kino Rex: www.rexbern.ch/
Ciné­mat­te: www.cinematte.ch/kino

Artikel online veröffentlicht: 26. April 2016 – aktualisiert am 18. März 2019