Von Dr. Regula Stämpfli - Über das meistdiskutierte Paar der jüngeren Literaturgeschichte hat Connie Palmen ein eindrückliches Buch geschrieben.
«Wer schreibt, weiss vom
Gefühl, sich mitteilen zu
müssen. Es kommt einem
Zwang gleich, der befremdet.
Weshalb kann man
nicht einfach die Klappe
halten?» (Ted Hughes)
Dies ist ein Buch über die Liebe und deren Unmöglichkeit. Die grosse niederländische Schriftstellerin Connie Palmen wollte zunächst ein Buch über Judas schreiben. Dann stiess sie auf die «Birthday Letters» von Ted Hughes und machte ihn zum Judas. «Für die meisten Menschen existieren wir, meine Braut und ich, nur in Büchern. In den vergangenen 35 Jahren habe ich mit ohnmächtigem Grauen zusehen müssen, wie unser wahres Leben unter einer Schlammlawine aus apokryphen Geschichten, falschen Zeugnissen, Gerüchten, Erfindungen, Mythen verschüttet wurde, wie man unsere wahren, komplexen Persönlichkeiten durch klischeehafte Figuren ersetzt, zu simplen Images verengt, für ein sensationslüsternes Leserpublikum zurechtgestutzt hat. Und da war sie die zerbrechliche Heilige und ich der brutale Verräter. Ich habe geschwiegen. Bis jetzt.» Dies ist der grandiose Auftakt von Connie Palmens sehr poetischem Werk.
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Hughes war der Ehemann von Sylvia Plath, die als Dreissigjährige ihren Kopf in den Gasofen steckte und ihrem Leben ein brutales Ende setzte. Plath war zu dem Zeitpunkt eine gescheiterte Dichterin, unglückliche Hausfrau und alleingelassene Mutter zweier Kinder. Vier Wochen vorher war ihr einziger Roman «Die Glasglocke» mit wohlwollenden Kritiken erschienen. Ihr Tod erfüllte alle Fantasmen feministischer Untertanen. Im Kern erfüllt jedes Klischee auch verborgene Wahrheiten. Selbstverständlich war Sylvia Plath eine klassisch verlorene weibliche Intellektuelle der 1950er-Jahre. Natürlich litt sie unter ihrer isolierten Mutterrolle. Und wahrhaftig: Sie hätte ein Genie werden können. Kein Wunder, stürzte sich Germaine Greer als Erste auf die tragische Biografie der verkannten Heldin. Seitdem gelten Frauen, die Gedichte schreiben und tot sind, bei ihren unglücklichen Nachfolgerinnen ziemlich schnell als tragische Superfrauen. Verständlich, in einer Welt, die Frauen lesen und schreiben lehrt, nur um sie anschliessend ans Bett und an den Kochherd zu ketten. Der spektakuläre Selbstmord der Dichterin Sylvia Plath verfolgte alle ihre Nächsten bis an deren Lebensende. Sehr prosaisch würde ich sie aber als überspannte Tochter aus höherem Hause bezeichnen, die – anders als dichtende Genies der Unterschicht – nie akzeptierte, dass Talent höchstens zehn Prozent des Erfolges ausmachen und die restlichen 90 Prozent aus Netzwerk, gutem Marketing und Zufall bestehen. Nein: Nicht jede, die früh stirbt, ist eine verkannte Geistesgrösse. Und nicht jeder betrügende Ehemann ein Monster – zumal Ted Hughes es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Nachlass seiner Frau in die Elysien moderner Dichtung zu hieven (obwohl er vor allem gegen ihn, den untreuen Ehemann, gerichtet war).
Sylvia Plath und Ted Hughes waren das prominente Nachkriegs-Dichterpaar. Beide schön anzusehen, im aufstrebenden Zirkel von Pop- und anderen Inszenierungen bekannt, zerrieben sie sich in einer Ehe, die nie hätte geschlossen werden dürfen. Silvia Plaths Gewalt an sich selber und ihrer Familie – sie hinterliess zwei kleine Kinder – inspirierte die aufkommende zweite Frauenbewegung immens. Süchtig nach Aufmerksamkeit zerstören talentierte Frauen aber viel zu oft sich selber und alle, die ihnen nahestehen. «Alle diese Augen und Gesichter wendeten sich mir zu, und indem ich mich von ihnen wie von einem Zauberfaden lenken liess, betrat ich den Raum.» So endet «Die Glasglocke» bei Plath. Plath litt ihr kurzes Leben unter ihrer dominanten Mutter und ihrem Über-Ich. Aus Connie Palmens Bericht spricht ein verzweifelter Ted Hughes, dessen eigene Exzentrik – er glaubte an Astrologie und Tarot und pflegte eine überaus seltsame Spiritualität – alles andere als sympathisch ist. Er ist – trotz seines märchenhaft männlichen Aussehens – ein bourgeoises Muttersöhnchen, respektive der verhätschelte Bruder einer älteren Schwester. Doch er und seine Sylvia passten perfekt in die unglaublich eitle Literaturszene der Nachkriegszeit.
Connie Palmens Buch erschüttert nicht nur deshalb, weil in einer grossen Liebe die Schuld niemals feststellbar ist, sondern weil es auch Einblick gibt in die ekelerregenden, sich selbst beweihräuchernden Kulturagenten und ‑agentinnen. Dichtung war noch nie Wahrheit, sondern das Resultat höfischer Herablassung oder Freiheiten.
Deshalb ist dieser Roman ein Meisterwerk. Er redet über das Gefängnis, das Liebe auch sein kann, und das sich, leider viel zu oft, nur mit Gewalt aufbrechen lässt.
«Du sagst es» von Connie Palmen befreit uns von Mythen über die Liebe im Nachkriegseuropa. Das Mittelalter der bürgerlichen Ehe im 19. Jahrhundert zeigte deutliche Spuren bis weit ins 20. Jahrhundert und darüber hinaus. Liebe, Ehe, Sex verschieben die Perspektive von Täter und Opfer, nicht zuletzt deshalb, weil sie so stark in politische Korsetts und gesellschaftliche Konventionen verwoben sind. Im Roman wird klar, wie wichtig es wäre, Gefühle von gesellschaftlichen Gegebenheiten zu trennen. Denn erkennt man, was Sache ist und was Herz, dann liebt es sich leichter, differenzierter und vielfältiger. Es wäre dem Ehepaar Hughes und Plath zu wünschen gewesen, es hätte den Kopf nicht nur auf grosse Dichtung und sich selber gerichtet, sondern auf ein gemeinsames Mensch-Sein, das viel mehr ist als Ruhm, Besitzanspruch und Egozentrik.