Von Andreas Meier — In den letzten Jahren scheint das Interesse an mittelalterlichen Szenerien auf Leinwand und Bildschirm wieder gewachsen zu sein. Nach Ridley Scotts «Robin Hood» (2010), der Verfilmung von Ken Folletts «Pillars of the Earth» (2010) u.a. kommt nun die neue HBO-Serie «Game of Thrones» hinzu, die auf dem gleichnamigen ersten Buch von George R.R. Martins Reihe «A Song of Ice and Fire» beruht. Die Handlung dreht sich vornehmlich um das Schicksal der Adelsfamilie Stark, deren Haupt Eddard Stark in der Serie ausgezeichnet von Sean Bean verkörpert wird, und die nach etlichen Intrigen und Mordkomplotten im Verlauf der Handlung in einen blutigen Bürgerkrieg zwischen den Adelshäusern der Sieben Königreiche hineingezogen wird. Während das Land vom Krieg verwüstet wird, brauen sich jenseits des Königreichs andere Gefahren zusammen. Im Süden plant die verstossene Prinzessin Daenerys (Emilia Clarke), aus ihrem Exil zurückzukehren und den Thron der Sieben Königreiche zurückzugewinnen. Und im Norden breiten sich Gerüchte aus über eine übernatürliche Gefahr aus der Eiswüste. Die Geschichte verbindet gekonnt wie keine andere epische Fantasy mit jeder Menge unromantischem Schmutz und Gewalt.
Durch diesen Trend zu mehr Blut und Dreck verliert das Mittelalterszenario mehr und mehr seinen Ruf als Schauplatz für naive Märchengeschichten für Kinder und Teenager, doch an unserem grundlegenden, recht widersprüchlichen Bild vom Mittelalter hat sich wenig geändert.
Denn das Mittelalter in Buch und Film repräsentiert keine historische Epoche, sondern eher einen Ort des anderen und der Gegensätze, der all das ist, was unsere moderne, kapitalistische Welt gerade nicht zu sein scheint. Die Monotonie und Beherrschtheit unseres Alltags wird kontrastiert mit wildem, gewalttätigem Nervenkitzel und unkontrollierter, offen ausgelebter Leidenschaft im Krieg und in der Liebe. Unserer selbst-postulierten Vernunft und Modernität wird die angebliche Primitivität, die Gewalt, der Dreck und die Ignoranz des Mittelalters entgegengesetzt.
Doch Vernunft hat einen hohen Preis, und so muss unsere entzauberte Welt mit dem Zauber der alten mittelalterlichen Mythen und Sagen aufgewogen werden, die der Autor mit einer ganzen Schatzkiste voller Monster, Magie und heldenhaften Recken ausstattet. Egal ob «Braveheart» (1995) oder «Lord of the Rings» (2001), egal ob böse Engländer oder Orks: immer wieder muss der Held seine Furchtlosigkeit und Heldenhaftigkeit im Angesicht tödlicher Gefahr beweisen, und am Ende triumphiert ritterliche Tugend über das Böse. Und selbst «Pillars of the Earth», das nicht in einer mythischen Welt spielt und grösstenteils auf ritterliche Heldenfiguren verzichtet, kann es sich nicht verkneifen, durch eine Prophezeiung doch noch etwas Mystik und Magie in die Geschichte einfliessen zu lassen. Die Mystik des Mittelalters eignet sich auch für Symbolik und Allegorie, wie Filme wie Ingmar Bergmans «Das Siebente Siegel» (1957) zeigen.
Nach einem flüchtigen Blick auf die Serie oder den Roman «Game of Thrones» scheint es sich dabei genau um so eine verzauberte Mittelalterwelt zu handeln. Der Titel der Reihe, «A Song of Ice and Fire», impliziert schon eine Verbindung zu mittelalterlichen Heldenliedern, und es sind auch viele Charakteristika da, die man mit High Fantasy wie «Lord of the Rings» verbindet. Einen weltumspannenden Krieg in einer frei erfundenen, mittelalterlichen Welt voller alter Sagen und Mythen, über der die Gefahr einer nahenden Katastrophe schwebt, kommt wohl den meisten bekannt vor. Später dann werden sich dann auch noch allerhand Märchenwesen dazugesellen, wie Drachen, aber auch Untote.
Doch «Game of Thrones» spielt mit den Klischees nur, um sie danach wieder zu untergraben. Denn diese verzauberte Welt ist so schmutzig und verkommen, wie man sie sich nur vorstellen kann, und wenn dann Blut fliesst, hält die Kamera schon einmal eine ganze schmerzhafte Einstellung über ihren Fokus auf dem Gesicht eines Sterbenden mit dem Splitter einer Lanze im Hals. Blutige Brutalität ist keine Seltenheit in Mittelalterfilmen, doch hier gibt es keine heldenhafte, glorifizierte Gewalt wie in «Kingdom of Heaven» (2005), «Braveheart» oder «Lord of the Rings». In «Game of Thrones» ist die Gewalt immer niederträchtig und verstörend. Es wird aus dem Hinterhalt und mit Gift gemordet, Unschuldige werden von Rittern niedergemacht, und selbst Kinder sind nicht sicher in dieser Welt. Der Tod macht nicht einmal vor den Protagonisten halt, und im Verlauf der Handlung sterben immer wieder unerwartet Charaktere, an die man sich bereits über viele hundert Seiten hinweg gewöhnt hat. Über ritterliche Tugenden wie Loyalität und Ehre wird zwar immer und immer wieder gesprochen, aber sie sind nicht viel mehr als leere Floskeln und werden kaum jemals gelebt: Verrat und hinterhältiges Morden sind an der Tagesordnung.
«Die Lieder der Sänger», sagt König Robert (Mark Addy) einmal voll grimmiger Nachdenklichkeit, «haben nichts mit der Realität des Krieges zu tun und verschweigen alles, was nicht angenehm zu hören ist.» Die Desillusionierung der Kinder in dieser Welt ist dann auch ein wichtiges Thema der Bücher, und Sansa (in der Serie dargestellt von Sophie Turner) muss auf brutale Art und Weise erkennen, dass die edlen Ritter aus ihren Lieblingsgeschichten weniger real sind als Sagenwesen. Diese düstere Ironie, die sich selbst den Spiegel vorhält, ist es, was «Game of Thrones» so interessant macht, und uns einiges über unser Bild der Vergangenheit verrät.
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2011