Von Sandra D. Sutter - 2 x 50 Kilo Kunst ins Auto laden. Dann vorbei an rotgrünhellblaulilaorange-undsoweiter farbigen Riegelbaufassaden, noch nie gesehen. Letztes Dämmerblau im Himmel, unterwegs sein nach Paris und mit dem Laserstrahlscheinwerfer von der Eiffelturmspitze über die Dächer der ganzen Stadt schweifend, im Quartier Latin ankommen. Kurz vor Mitternacht.
Im Jardin de Luxembourg 2 x 50 Kilo Kunst aus dem Auto lupfen, zu zweit, zu dritt, tragen, schieben, um den Baum herum aufstellen. Begutachten. Zusammenschrauben. Plazieren. Schwarzes Klebband kaufen. Am Kunstwerk Luftbläschen aufstechen, flachdrücken. Mit drei Baguettes im Arm über die Place Sainte Geneviève schlendern, ein Stück weit der Seine entlang. Grossstadtsound und ‑stille.
Die Tour touristique ohne Museumsbesuche bitteschön, kein Schlangestehen! RER mit Metro nicht verwechseln. Die Lungen mit Blüten- und anderem Staub von Sturmwindböen füllen. So mancher und manche reibt sich die Augen, wischt sich die Träne von der Wange. Dem Louvre einen Blick von draussen widmen, mit der Metro in die Défense fahren und dort im Rundherum staunen. Die moderne Kapelle finden, drinnen sitzen und dem Wolkenbruch entgehen. Trockenbleiben.
Meditieren. Im «le quatre temps» etwas zu essen kaufen wollen, eintauchen, sich verirren, fast verrückt werden in der Masse der Produkte, des Angebots, der Menschen — untergehen — flüchten nach dem Ausgang, finalement. Dann auf der Route de l’Etoile im Bois de Boulogne sich erholen, um den Lac Inférieur spazieren. Orangen picknicken und den Joggern beim Rundenlaufen zusehen, vom schönen Pavilliontürmchen auf der Insel gegenüber träumen. Die Samstagmorgenluft so rein und aromatisch, duftet. Schöne Stadt, schönes Leben — die 10 Uhr Sonne auf dem Gesicht, im Nacken — herrlich! In die Rue Soufflot einbiegend den Eiffelturm von weitem grüssen. Im Internet Café auf französischer Tastatur nach den Buchstaben suchen, stocken… konzentriert Grüsse nach New York und in die Schweiz verschicken. Alleenblätterdächer rauschen wie das Meer. Dann endlich Sacre Cœur besuchen. In der Kirchenbank sitzen und ein improvisiertes Liedchen summen, so friedlich ist es hier… und wieder heraustretend Paris zu Füssen erleben — welche Weite! Und sich vom Hell und Anblick den Atem nehmen lassen, für ein paar Augenblicke. In der Brasserie von Amélie Poulain (Café des 2 Moulins, 15 Rue Lepic) ein «entrecôtepommessautéesundcrèmebrulée» essen. Unter Parisern sein. Interessante Leute sehen und zum Abschluss dann auf dem Viaduc des Arts die Promenade plantée begehen. Im Café Flore (Boulevard St. Germain des Prés 172) geniessen und den Sonntag feiern — un café au lait et un verre d’eau — mit den gekochten Eiern vom Nebentisch links — und dem Spiegelei-Omelette vom Nebentisch rechts liebäugeln, mit sonntagsfrischrasierten Männern Zeitung lesen. Im Parc André Citroën auf einer Holzliege dösen. Die Parkbussen, wie aus einheimischer Nachbarschaft und von Kennern empfohlen, sowieso ignorieren und am besten gleich entsorgen.
In der Gare de Lyon «le train bleu» aufsuchen und Gewürztee trinken. Sich entzücken lassen von den Wand- und Deckenmalereien, von all den Kostbarkeiten. Und auf ausgebreitetem Stadtplan Postkarten schreiben. The Beatles aus den Lautsprechern hören. Die Ausflüge der vergangenen Tage ordnen, schüchtern Gedankenpläne in die Zukunft wagen, wünschen. Noch einmal quer durch den Jardin de Luxembourg an George Sand vorbei, mein Lächeln verschwenderisch in alle Richtungen verschenken. Ein Médallion von Auguste Rodin an Stendhal betrachten. Vorbei an in Stein gehauenen Löwen mit dichten Mähnen, den Blick dem Palais zugewandt, knurrend und gefährlich. Die Augen schon wieder von Windtränen klarwischen. Dann vor FOFO lux* verweilen. Das Kunstwerk prüfen, encore une fois. Weisse Tauben, wunderschön. Paris en long et large, müde Beine.
Vernissage Orangerie. Chic-Chic hier und dort, Parfumdüfte durcheinander, Wind und viele Leute, schwarze Schuhe werden staub-weiss… offizielle Fotografen, Filmer, les gardes lassen nur hinein, wer rein gehört: les invités… «Man riskiert etwas, wenn man zeitgenössische Kunst ausstellt…», «il y a ici, des qualités, des formes, des sources profondes pour le future…» Es wird applaudiert und losgeplaudert. Merci, pardon, s’il vous-plaît, excusez-moi, chers amis, oui, non, pourquoi, voilà, à plus tard — oder auch nicht. Die Ausstellung ist eröffnet.
Die ungefähr zehn Wächter pfeifen auf Trillerpfeifen die Besucher aus dem Garten; ein Konzert, spéciale et exotique. Neun Uhr, fast alle müssen gehen. Die Enten dürfen bleiben, die Löwen auch.
* Der Kunstausflug fand mit Verena Lafargue Rimann, im Zusammenhang mit der Artsénat 2006 «TAILLE HUMAINE» statt, wo ein FOFO lux (Installation Verena Lafargue Rimann, Biel / Fotografie Sandra D. Sutter, Biel) noch bis zum 18. September im Jardin de Luxembourg in Paris zu besichtigen ist.
Bild: zVg.
ensuite, Juni 2006