Von Guy Huracek — Larry Gropnik lebt ein beschauliches Leben in einer kleinen jüdischen Gemeinde im Mittleren Westen der USA. Er ist ein liebender Ehemann, fürsorglicher Vater und erfolgreicher Physikprofessor. Doch plötzlich läuft alles aus dem Ruder: Seine Frau Judith verlangt plötzlich die Scheidung, Sohn Danny schwänzt die Schule, Tochter Sarah bestiehlt ihn, anonyme Briefschreiber verbreiten falsche Anschuldigungen über ihn, und ein Student versucht ihn zu bestechen. Larry sucht Hilfe und hofft, diese bei einem Rabbi zu finden, doch dieser ist zu sehr mit Denken beschäftigt, um ihm helfen zu können.
Ein fast schon klassischer Hollywood-Plot, wäre Gropnik nicht konservativer Jude — die Coens zeigen einmal mehr die komödiantischen Seiten ihres Glaubens. Ein Film, der ihre Kindheit wiederspiegelt. Auf ihre Herkunft aus einer jüdisch-amerikanischen Akademikerfamilie bezieht sich die Geschichte ihres Films. Die Coen-Brüder sind in St. Louis Park, einem Vorort von Minneapolis, in einer jüdischen Nachbarschaft aufgewachsen. Ihre Eltern, Edward und Rena Coen, waren Professoren, der Vater im Bereich Wirtschaft und die Mutter im Bereich Kunstgeschichte. Joel Coen sparte sich als Kind durch Rasenmähen genug Geld zusammen, um sich eine Super-8-Kamera zu kaufen, und die beiden Brüder drehten zusammen mit einem Nachbarsjungen Filme aus dem Fernsehen nach. Den Bezug von «A Serious Man» zu ihrer Kindheit streiten die Coen-Brüder jedoch in ihren Interviews ab. Unbeantwortet bleibt somit die Frage, warum zahlreiche Figuren nach ihren Jugendfreunden benannt sind.
Ein schräger Heimatfilm, gespickt mit tragischen und komischen Elementen. Genickschläge folgen auf Genickschläge. Obwohl das Drehbuch konsequent einem roten Faden folgt, geschehen unvorhersehbare Handlungen, die dem ganzen Film einen absurden Touch verleihen. Beispielsweise muss er ausgerechnet dem Rabbi erklären, was ein «Gett», eine kirchlich sanktionierte Scheidung, ist, die seine Frau braucht, um wieder heiraten zu dürfen.
Genau wie in «Burn After Reading» spielen auch diesmal Kino-Unbekannte. Weiter fällt auf, dass die Frauen bei den Coens die Hosen anhaben — vor allem jüdische Mütter sind unbesiegbar. Das macht schon der Jiddisch gehaltene Vorspann klar, eine kleine Geschichte aus dem Shtetl, in der eine resolute Ehefrau dem Dybbuk die Tür weist — nachhaltig und endgültig. Eine weitere Eigenart der Coens ist das Pseudonym Roderick Jaynes, dass sie benützen, wenn sie als Cutter an ihren Filmen arbeiten.
Die Message des Films könnte folgendermassen zu deuten sein: Lerne deine Probleme schätzen, denn es kann immer noch schlimmer kommen. Der Film wirft viele Fragen auf, doch beantwortet die wenigsten. Es ist wie im wahren Leben — man hat das Gefühl, es trifft immer nur einen selber, man weiss nicht, ob alles nur Zufall ist oder ob man einen Gott beleidigte. Unter den vielen absurden Charakteren wirkt Larry fast schon normal, als ob er im falschen Film sitzt. Der Humor von «A Serious Man» ist schwierig zu beschreiben. Es ist die Art und Weise, wie die Charaktere ihre Dialoge sprechen, weniger der Inhalt. Die Mimik und Gestik der Figuren bergen einen ausgefeilten, hintergründigen Humor, der auch in den Dialogen vorwiegend wegen dem Nichtgesagten funktio-niert. Für eine unheimliche Vorahnung sorgt die musikalische Untermalung, die, wie bei einem Horrorfilm, den Zuschauern Angst einflösst. So baut sich in vielen Szenen Spannung auf, die sich jedoch nicht in den erwarteten Ereignissen entlädt, sondern ihre Bedeutung erst später offenbart — oder eben nicht -; ganz wie im wahren Leben.
Wer «A Serious Man» sehen will, muss sich noch ein wenig gedulden. Er kommt am im 21. Januar 2010 ins Kino. Ein kleiner Vorgeschmack liefert der Trailer: Geräusche von Schlägen, Röcheln und die Stimme von Larrys künftiger Ex-Frau fliessen ineinander und verleihen dem Trailer eine enorme Spannung.
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2009