Der Theater- und romanautor Simon Froehling im Gespräch mit Thomas Müller, Ensemblemitglied am Zürcher Neumarkt Theater:
Du hast deine Schauspielausbildung in Zürich absolviert und hast danach vier Jahre in Deutschland gespielt. Seit 2008 bist du Ensemblemitglied am Neumarkt Theater. Weshalb diese Rückkehr?
Gute Frage. Ich wäre nicht zurückgekommen, wenn ich das Angebot nicht gehabt hätte. Gereizt hat mich die Arbeit mit Rafael Sanchez, den ich schon ein wenig gekannt hatte, und mit Barbara Weber – zwei junge Leute an einem kleinen Haus. Der Stadttheaterbetrieb ist nicht so meins. Ein kleines Rad in einem solch grossen Apparat zu sein liegt mir nicht. Aber aus Berlin bin ich nur schweren Herzens weg. Ich war verliebt in die Stadt. Und in meine Freundin, mit der ich dort vier Jahre zusammen gelebt habe und die weiterhin dort wohnt.
Viele Schweizer Kulturschaffende machen diese Bewegung; das kenne ich auch von mir. Geht es darum, sich zuerst im so genannten grossen Kanton zu beweisen? Oder geht die Anziehungskraft alleine von der Stadt Berlin aus?
Berlin ist eine Insel. Die Stadt ist wie keine andere in Deutschland. Man spürt den Puls der Zeit. Berlin ist in stetigem Umbruch, was sich auch in der Theaterlandschaft widerspiegelt. Auch vom Theater her ist es genial dort. Man kann sich so viel reinziehen wie an kaum einem anderen Ort – das ist bereichernd und macht Spass. Das Publikum dort hat schon viel gesehen. Es ist an sich experimentierfreudiger, genauso wie auch das Theater. Es hat schon viel erlebt und gesehen. In Berlin bezahlt man viel eher seine zehn Euro und geht einfach mal so ins Theater, egal ob es dann schlecht ist oder nicht. In Zürich wollen die Leute etwas sehen für ihre vierzig Franken. Sie wollen sagen können: Es hat sich gelohnt. In Berlin ist es viel selbstverständlicher, ins Theater zu gehen und sich überraschen zu lassen. Aber auch Zürich hat mittlerweile für mich wieder seinen Reiz. In Zürich ist vieles nur Fassade, vieles läuft nur im Geheimen ab, aber hinter der Fassade … Die Brüche sind hier härter. Man muss sich nur mal die Langstrasse anschauen, das ist ziemlich krass, was da abgeht. In Berlin fliesst alles viel mehr, lustigerweise.
Für mich war es ein grosser Luxus, direkt nach der Schule an einem Haus wie dem Maxim Gorki in Berlin spielen zu können. Meine erste Premiere fand vor dreissig Kritikern statt, und laufenden Fernsehkameras. Das war in «Bible Factory», einem fünfteiligen Projekt von Bruno Cathomas, das relativ breit wahrgenommen wurde in der Stadt. Dementsprechend gross war der Druck. Ich bin als Anfänger ins Wasser geworfen worden und musste schwimmen. Das war nicht immer einfach, aber es ist das Beste, was mir passieren konnte – mit dem zynischen, eisigen Wind konfrontiert zu werden, der manchmal durch Berlin bläst. In Zürich gibt es kaum einen leidenschaftlichen Verriss, alles wird hier mit Samthandschuhen angefasst.
Nach deinem Engagement am Maxim Gorki warst du als freier Schauspieler tätig. Betrachtest du diese Zeit als eine Art zweite Schule?
Sagen wir es so: Ich habe mich erst dann wirklich angefangen, mit diesem Beruf auseinanderzusetzen. Mich zu fragen: Will ich dieses oder jenes Projekt machen? Und weshalb? Wenn man von einem festen Engagement zum anderen geht, muss man sich nicht so stark mit Lebensrealitäten auseinandersetzen wie als freier Schauspieler. Ich habe gelernt, damit umzugehen, nicht immer zu wissen, was als nächstes kommt. Oder ob ich wieder aufs Arbeitsamt muss. Es war wichtig, das für mich zu kapieren und diese Angst zu verlieren.
Nun bist du wieder in einem festen Engagement. Du bist sogar der dienstälteste Schauspieler des Neumarkt-Ensembles, wenn ich so sagen darf. Wie viel Freiraum gibt es, was die Stück- oder Rollenauswahl betrifft?
Eher weniger. Natürlich kann man als Ensemble Vorschläge machen, auch was die Regisseure angeht. Zum Teil hat das auch geklappt. Man merkt, dass sich Rafael und Barbara Leute ausgesucht haben, die ähnliches wollen. Wir tauschen uns alle rege aus.
Du spielst in «Die Jüdin von Toledo», einer Adaption eines historischen Romans von Lion Feuchtwanger, kurz vor Weihnachten wirst du in «Die Banditen» nach der Opéra-Bouffe von Jacques Offenbach zu sehen sein, und vor kurzem habt ihr euch zusammen mit Barbara Weber dem Klassiker «Who’s Afraid of Virginia Woolf» von Edward Albee angenähert. Das sind alles Bearbeitungen oder Projektentwicklungen. Gefällt dir diese Art von Arbeit?
Ich habe zwar einmal gedacht, ich müsse auch mal in einem Klassiker spielen, weil man das halt so macht. Aber schlussendlich liegen mir Projektentwicklungen viel mehr, ja. Ich kann mich stärker einbringen und kann improvisieren, weil ich diesen Raum bekomme, um auszuprobieren und angstfrei peinlich zu sein. Klassiker interessieren mich höchstens, wenn man versucht, sie aufzubrechen. Denn die Sprache alleine regt mich nicht sonderlich an. Sie kommt sehr schnell an Grenzen. Wir haben so und so viele Wörter zur Verfügung, und damit beschreiben wir alles. Theater aber kann Grenzen aufreissen – mit Musik, mit Licht – und hat viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten. Ein interessanter Punkt bei «Die Banditen», der Operette von Offenbach, war die Frage, was es braucht, damit man zu singen beginnt. Wir mussten an den Punkt kommen, wo wir sagten: Wir kommen mit Sprache allein nicht weiter; wir müssen singen. Was nach der Sprache passiert, interessiert mich viel mehr als die Sprache an sich. Ein Schauspieler, der gut artikuliert, gut reden kann und mir etwas einfach nur erzählt? Da lese ich lieber ein Buch und habe eine grös-sere Fantasie. Oder auch bei dem «Virginia Woolf»-Projekt jetzt. Katarina Romana Schröter und ich spielen ein drittes Paar, das im Original von Edward Albee gar nicht vorkommt. Die Szenen mussten komplett neu erfunden werden.
Beim Schreiben geht es für mich persönlich immer auch um einen Erkenntnisgewinn. Wie sieht das beim Spielen aus? Verändern dich deine Rollen? Lernst du mit jeder Rolle etwas über dich?
Ja. Das hat damit zu tun, dass man sich oft acht Wochen lang mit einem Thema oder einer Fragenstellung auseinandersetzt. Bei dem Projekt «Unsterblichkeit kann töten» von Christoph Schlingensief, einer Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich, haben wir uns fünf Wochen mit Religion und Sterbenlernen auseinandergesetzt. Ich glaube, ich bin nicht zuletzt wegen dieser Auseinandersetzung vor zwei Monaten aus der Kirche ausgetreten. Das war ein Schritt, den ich auch vor zwei Jahren hätte machen können. Aber durch die Beschäftigung mit dem Thema wurde ich gezwungen, mich intensiver damit auseinanderzusetzen. Woran glaube ich? Wozu das Ganze? In diesem konkreten Fall habe ich nach der Probenarbeit eine persönliche Entscheidung getroffen.
Stellst du den Anspruch ans Theater, gesellschaftlich oder gar gesellschaftspolitisch wirksam zu sein?
Reine Unterhaltung ist auch in Ordnung; das kann Spass machen. Aber ich mag das Theater lieber unbequemer. Es sollte ein Ort sein, an dem man Fragen stellt. Ich übe meinen Beruf mit Leidenschaft aus. Nicht, weil ich es toll finde, mich auf der Bühne zu sehen. Es muss etwas dahinter sein. Man muss etwas erzählen und auch bewirken wollen. Wenn die Zuschauer wütend oder freudig oder aggressiv aus dem Raum gehen, hat man etwas erreicht, dann war Bewegung im Spiel. Ich mag es, mich mit einem Stoff auseinanderzusetzen. Und ich mag die Reibung – mit Menschen, mit dem Publikum und mit Themen.
Ein Theaterstück zu schreiben oder einen Roman, das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Du nimmst immer wieder Rollen in Kino- und Fernsehfilmen an. Wie unterscheidet sich die Arbeit am Theater von Dreharbeiten?
Drehen auf einem Set und Spielen auf der Bühne, das sind zwei grundlegend verschiedene Dinge. Im Theater spielst du einen Strang von A bis B. Und das jeden Abend und immer vor einem neuen Publikum. Der Film verlangt ein ganz anderes Handwerk. Du drehst nicht chronologisch, musst wissen, wie klein du zu spielen hast, wenn dein Gesicht von nahe gefilmt wird und wie gross, wenn du eine Totale drehst. Du musst mit dem Pfosten auf der Strasse eine Liebesszene spielen können, weil deine Partnerin gar nicht da ist. Du musst viel abstrakter denken können, hast keinen Vorlauf und musst dich viel stärker selber vorbereiten.
Wir Autoren sind bis 40 jung, bei euch Schauspielern sieht das wohl etwas anders aus. Machst du dir Gedanken übers Älterwerden in deinem Berufsfeld?
Für Frauen ist das sicher viel schwieriger. Ausserdem bin ich in einem Alter, wo ich noch gut einen 25-Jährigen spielen kann, wenn ich mich rasiere. Oder einen geschiedenen Vater, wenn ich meinen Bart wachsen lasse. Vor zwei, drei Jahren wäre ich noch nicht so breit besetzt worden. Mein Spielalter erweitert sich; das finde ich schön. Aber das Altern an sich in der Fragestellung: «Was will ich im Leben?», das ist schon ein Thema. Ich merke, dass ich im Moment an einem Punkt bin, wo ich sage: Ich will nur noch das Theater machen, das ich auch gerne schaue. Ich muss nicht auf Biegen und Brechen Theater machen, damit Theater gemacht ist. Ich bin viel klarer bezüglich dem, was ich will und was nicht.
Thomas Müller, geboren 1978, war nach seiner Ausbildung an der Schauspielschule Zürich Ensemblemitglied am Maxim Gorki Theater Berlin. Danach arbeitete er als freier Schauspieler in Saarbrücken und Berlin, unter anderem an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Seit 2008 ist er Mitglied im Ensemble des Theater Neumarkts und steht immer wieder für Kino- und Fernsehproduktionen vor der Kamera.
Derzeit zu sehen in: «Are You Still Afraid of Virginia Wolf?», einem Projekt von Barbara Weber und Michael Gmaj; «Die Banditen. Ausbruchsversuch nach Jacques Offenbach» in der Regie von Sebastian Baumgarten; «Die Jüdin von Toledo» nach Lion Feuchtwanger in der Regie von Rafael Sanchez.
Simon Froehling, ebenfalls 1978 geboren, lebt als freier Autor und Übersetzer in Zürich und Berlin. Für seine Theaterstücke erhielt er zahlreiche Preise, u.a. den Dramatikerpreis der Schweizerischen Autorengesellschaft. Zuletzt erschienen: «Lange Nächte Tag», Roman, bilgerverlag.
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010