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Am Rad der Zeit gedreht

Von Belin­da Meier — 10 Jahre argen­tinis­che und glob­ale Geschichte auf der Bühne, im zweistündi­gen The­ater­stück erzählt und dargestellt – das ist «El pasa­do es un ani­mal grotesco» von Mar­i­ano Pen­sot­ti. Diese geballte Ladung Men­schen­leben und His­to­rie zugle­ich ist ein Road­movie durch die Zeit, frag­men­tarisch und mon­tagear­tig arrang­iert und am indi­vidu­ellen Leben der Pro­tag­o­nis­ten fest­gemacht.

Eine runde Drehbühne, die unaufhör­lich kreist und in vier Räume aufgeteilt ist. Wie bei einem Karus­sell hat man in die einzel­nen Räume nur solange Ein­blick, wie die Drehgeschwindigkeit sie auf der Zuschauer­seite vorüber gleit­en lässt. Die Räume stellen mit jed­er Umdrehung wech­sel­nde Schau­plätze dar: ein­mal sieht man ein Wohnz­im­mer, ein anderes Mal eine Disko, dann wieder eine Küche, eine U‑Bahnstation, eine Tier­arzt­prax­is, ein Stu­dio, ein Film­set und vieles mehr. Darin agieren zwei Schaus­pielerin­nen (Pilar Gam­boa und Juli­et­ta Val­li­na) und zwei Schaus­piel­er (Javier Loren­zo und Juan Min­u­jín). Sie schlüpfen in die unter­schiedlich­sten Rollen, und erzählen dabei Geschicht­en, in denen min­destens 40 Fig­uren Gestalt annehmen. Mit­tels Mon­tagetech­nik und frag­men­tarisch­er Erzählweise ist es dem argen­tinis­chen Regis­seur Mar­i­ano Pen­sot­ti gelun­gen, all das in eine zweistündi­ge The­ater­pro­duk­tion zu pack­en.

Indi­vidu­elle Lebensepiso­den «El pasa­do es un ani­mal grotesco» (Die Ver­gan­gen­heit ist ein groteskes Tier) erzählt von jun­gen Men­schen im Alter von zwis­chen 25 und 35 Jahren. Da ist beispiel­sweise Mario, der eigentlich Musik­er wer­den wollte. Nun beschliesst er, Filme zu machen, hat aber wed­er Geld noch Ideen. Pablo ist Mar­ket­ingstu­dent. Eines Tages wird ihm per Post ein Paket mit ein­er abgeschnit­te­nen Hand zugestellt. Sein Leben wird for­t­an von dieser Hand bes­timmt, die er als bös­es Omen deutet. Vicky find­et her­aus, dass ihr Vater eine Zweit­fam­i­lie auf dem Land hat. Lau­ra will Kün­st­lerin in Frankre­ich wer­den. Später wird Mario einen Film­preis in Berlin erhal­ten, Lau­ra einen Job im The­men­park «Heiliges Land» als Maria Mag­dale­na, die Jesus liebt. Vicky wird einen Hund kas­tri­eren, dabei hätte sie ihm nur die Nägel schnei­den müssen – und Pablo ist immer noch von der abgeschnit­te­nen Hand besessen. Unglaublich flink und ver­wand­lungs­fähig schlüpfen die Schaus­piel­er in die zahlre­ichen Rollen.

Zeit­geschichtlich­er Rah­men Die kurzen Episo­den wer­den von ein­er Erzählstimme kom­men­tiert, die abwech­sel­nd jew­eils von einem Akteur über­nom­men wird. Die dargestell­ten Geschicht­en erhal­ten durch diese Off-Stimme mehr Dichte und Gehalt, wer­den zugle­ich in einen Kon­text gestellt, der zeitlich wie räum­lich grössere Dimen­sio­nen annimmt. Um genau zu sein sind es 10 Jahre argen­tinis­che und glob­ale Geschichte, von 1999 bis 2009. Da ist der Wirtschaft­szusam­men­bruch in Argen­tinien, der Anschlag auf das World Trade Cen­ter, die 2. Intifa­da, der Irakkrieg und die Wall­street-Finanzkrise.

Fik­tion trifft auf His­to­rie Film­reif und mit grossem Fin­ger­spitzenge­fühl arrang­iert Mar­i­ano Pen­sot­ti die Szenen, die jew­eils kurz und präg­nant daher kom­men, um sogle­ich zur näch­sten Szene mit anderen Fig­uren in neue Schau­plätze zu wech­seln oder zu überblenden. Wie er dabei Fik­tionales und His­torisches miteinan­der verbindet, und dem Betra­chter damit einen umfassenden Blick auf 10 Jahre Zeit­geschichte ein­er­seits und 10 Jahre indi­vidu­eller Leben­szeit­en ander­er­seits gewährt, ist uner­hört beein­druck­end. Die Schaus­piel­er Pilar Gam­boa, Juli­et­ta Val­li­na, Javier Loren­zo und Juan Min­u­jín erbrin­gen während zweier Stun­den kör­per­liche Höch­stleis­tun­gen – ob als Off-Stim­men oder in ein­er ihrer Rollen. Gewandt und mit einem Höch­st­mass an Präsenz verkör­pern sie die unter­schiedlich­sten Fig­uren und Charak­tere. Die zahlre­ichen Meta­mor­pho­sen von der einen zur anderen Fig­ur meis­tern sie dabei unglaublich leicht­füs­sig.

Info: www.marianopensotti.com

und: www.theaterspektakel.ch

Foto: Anna Lupi­en
ensuite, Juni/Juli 2011

Artikel online veröffentlicht: 28. Januar 2019