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Amygdalaproject

Von Ruth Kofmel — Es gab Zeit­en, da waren die Begriffe «Konzept» und «Pro­jekt» im Zusam­men­hang mit Kun­st gern gehörte und erwäh­nte Schlag­worte. Bis die ersten Feuil­leton-Autoren darauf aufmerk­sam macht­en, dass hier eine Gen­er­a­tion im Pro­jek­te-Übereifer unter­wegs war. Nie­mand war mehr am Arbeit­en, alle waren damit beschäftigt, das neuste Pro­jekt auf die Beine zu stellen, oder wenig­stens davon zu reden. Alles und jedes war ein Pro­jekt, aller­lei noch so abstruse Konzepte wur­den umge­set­zt – man war deswe­gen bald ein­mal etwas über­sät­tigt. Die Begriffe sind momen­tan nicht sehr in Mode. Lieber beto­nen Kün­stler, dass eben ger­ade kein Konzept hin­ter ihrem Pro­jekt stecke, dass es in dem Sinne auch gar kein Pro­jekt sei mit Anfang und Ende, son­dern eher eine Momen­tauf­nahme im Fluss ihres Schaf­fens. Gerne ist die Kun­st ein­fach so ent­standen; Prozess ist vielle­icht das heutige Schlag­wort.

Irgend­wie tut es da richtig gut, zweien zu begeg­nen die sagen: Ja, total Konzept. Wir haben uns fol­gen­des über­legt, und so sieht jet­zt – nach dem Aus­pro­bieren, Rumtüfteln, Auf­set­zen und Ver­w­er­fen – die Umset­zung aus. Und, ja: es ist unser gemein­sames Pro­jekt.

Die zwei sind Nicole Pfis­ter und Lukas Thoeni. Sie ist Mul­ti­me­dia-Kün­st­lerin, er Trompeter, und zusam­men führen sie das Label A NUK. Die bei­den haben sich vorgenom­men, Musik und bildende Kun­st kon­se­quent in Zusam­men­hang zu stellen. Sie wollen auf ihrem Label A NUK die zwei Kun­st­for­men gle­ich stark vertreten wis­sen. So, wie sie das bei Amyg­dalapro­ject, ihrer ersten gemein­samen Veröf­fentlichung umge­set­zt haben, wo sich der visuelle Auftritt im gle­ichen Zug mit der Musik entwick­elt hat. Die Gestal­tung der CD-Hülle beispiel­sweise wurde nicht in einem zweit­en Schritt auf die Musik fol­gend ange­gan­gen, son­dern sie ent­stand gle­ichzeit­ig mit den Kom­po­si­tio­nen. Die zwei Kun­stschaf­fend­en ste­hen in ständi­gem Aus­tausch, und dieser Aus­tausch zieht sich hin bis zu den Visu­als am Konz­ert, wo Musik und Bild in einem Live-Set­ting aufeinan­dertr­e­f­fen. Das ist an sich nichts Neues, es gab schon immer die Plat­ten­hüllen und CD-Book­lets, die Kunst­werke für sich waren, oder die Konz­erte, wo die Pro­jek­tio­nen das musikalis­che Erleb­nis inten­sivierten. In Zeit­en, wo die physikalis­chen Ton­träger eher einen schw­eren Stand haben, lassen aber viele Bands der visuellen Umset­zung ihrer Musik wieder mehr Aufmerk­samkeit zukom­men. Als Musikhörerin, die wegen ihrem per­ma­nent eher schlecht­en Infor­ma­tions-Stand dur­chaus eine Plat­ten­hülle entschei­den lässt, ob die dazuge­hörende Musik nun ein Gehör bekommt oder nicht, kann ich solch­es nur begrüssen. Dazu kommt, dass es ein­fach schön ist, zum Ton­träger auch etwas zum Lesen oder Anschauen zu bekom­men.

Die Idee zum Amyg­dalapro­ject kam Lukas Thoeni beim Lesen eines Artikels über die Gehirn­forschung. Was im all­ge­meinen an der aktuellen Gehirn­forschung beson­ders gefällt ist, dass sie den freien Willen zu rel­a­tivieren scheint. Das nimmt uns etwas aus der Ver­ant­wor­tung. Wir stellen fest, dass wir zu einem nicht gerin­gen Teil noch regel­rechte Dinosauri­er sind: Fressen, Paaren, Schlafen – auch wenn die darüber liegen­den kul­turellen Schnörkel das ursprünglich­ste Motiv weit­ge­hend zu kaschieren ver­mö­gen. Jeden­falls ist die Amyg­dala ein Teil unseres Gehirns, der zwis­chen unserem Dino-Gehirn und dem evo­lu­tionär gese­hen neueren Pri­mat­en-Gehirn liegt, und sie dient als Schalt­stelle dazwis­chen. Sie ist primär für die Angst ver­ant­wortlich – unsere Alar­man­lage, die blitzschnell funk­tion­iert. Sie bear­beit­et aller­lei Sin­ne­sein­drücke und verknüpft sie mit Emo­tio­nen, wägt so ab, wie wichtig ein Ein­druck für uns ist und ob er allen­falls gespe­ichert wer­den sollte, und sie lässt uns schliesslich auf gewisse Schlüs­sel­reize ziem­lich dino-mäs­sig reagieren: Panik, Aggres­sion, oder auch der Sex­u­al­trieb kön­nen durch sie bee­in­flusst sein.

Es ist also ein gut gewählter Aufhänger, wenn man sich mit Emo­tio­nen beschäfti­gen will; mit starken Ein­drück­en, die unseren Puls in die Höhe schnellen lassen, und unser schick­es Grosshirn erst ein­mal auf Pause stellen. Nach dem Lesen des Artikels reifte bei Lukas Thoeni die Idee her­an, Emo­tio­nen in Musik und Bild umzuset­zen.

Dazu hat Nicole Pfis­ter die Musik­er der Band nach beson­ders ein­drück­lichen Erleb­nis­sen befragt, diese Geschicht­en aufgeschrieben und in Bilder umge­set­zt. Lukas Thoeni kom­ponierte aus­ge­hend von den Tex­ten die Musik. Aus bei­dem ist etwas Eigen­ständi­ges gewor­den, das aber auch im Zusam­men­hang funk­tion­iert. Lukas Thoeni kom­poniert und spielt einen Jazz, der leicht zugänglich, aber nie anbiedernd ist. Stilis­tisch bre­it gefächert, spielt er, lock­er wie es scheint, mit den ver­schieden­sten musikalis­chen Ein­flüssen. Ganz klar prof­i­tiert das Pro­jekt von den glänzen­den Musik­ern, die wohl noch zum Nach­wuchs gehören, aber ihren eige­nen Klang längst gefun­den haben – so wirkt es nie beliebig. Man hört nicht irgen­deinen Schlagzeuger, son­dern Rico Bau­mann, und nicht irgen­deinen Pianis­ten, son­dern Beni Külling, eben­so bei Niko­lai Karagorgiev an der Gitarre und André Pousaz am Bass. Das funk­tion­iert live wie ab Kon­serve. Span­nend ist auch die visuelle Umset­zung, sei es mit den Live-Visu­als, die Nicole Pfis­ter sehr ruhig gestal­tet, so dass sie nicht mit der Musik konkur­ri­eren, oder beim Book­let, das die Musik­er in schwarz-weis­sen Auf­nah­men zeigt, die mit Illus­tra­tio­nen verse­hen sind. Weiss man, dass dahin­ter jew­eils Erleb­nisse der Musik­er ste­hen, gle­icht es schon einem Bilder­rät­sel: Was zum Geier hat Beni Külling da erlebt, wie geht es dem Herzen von Rico Bau­mann, und was hat es mit dem Spielplatz im Dazwis­chen von André Pousaz auf sich?

Nicole Pfis­ter und Lukas Thoeni ist eine schöne Arbeit gelun­gen, die in ihrer klaren Aus­rich­tung ein in sich geschlossenes Ganzes bildet, und dabei immer sinnlich und kreativ bleibt.

Foto: zVg.
ensuite, März 2011