Von Lukas Vogelsang - Teil 1: Die Stadt Bern hat seit über einem Jahr kein Kulturkonzept mehr. Es sei nicht nötig, alle paar Jahre eine neue Strategie zu entwickeln – so hiess es erst noch. Nun, unter Peter J. Betts ging es um Inhalte und das erste Konzept überhaupt. Christoph Reichenau erstellte ein Budget, nannte es Strategie, hatte aber kein Konzept. Und aktuell Veronica Schaller? Sie verwaltet die Kultur ohne Konzept, ohne Strategie und ohne Inhalt. Es ist Zeit, mit einer losen Folge von Artikeln das Thema einzuläuten.
Seit nun mehr als 10 Jahren diskutiere und kritisiere ich Kulturkonzepte. In dieser Zeit sind einige Ideen gewachsen und ein paar Erkenntnisse haben sich durchgesetzt. Nur, um einen Berechtigungsvergleich anzustellen: Viele KultursekretärInnen, welche solche Konzepte erarbeitet haben, waren nicht einmal annähernd so lange in ihren Ämtern und haben sich nicht annähernd so lange mit diesen Themen befasst. Diese Serie ist also ganz nützlich, vor allem mit dem Hintergrund, dem bernischen Leitpapier auf die Sprünge zu helfen. Eine entsprechende Interpellation ist vom GB/JA! (die Parteien Grünes Bündnis und Junge Alternative) letzten Oktober 2012 eingeworfen worden. Allerdings stellte die Stadträtin Christine Michel die Frage bereits im August 2010 dem Gemeinderat. Die Antwort war lapidar: Die bestehende Kulturstrategie sei bis und mit Jahr 2015 gültig. Ein neues Papier will man erst ab 2016 einsetzen. In diesen acht Jahren hat sich aber bereits eine ganze Generation kulturell durchentwickelt – wir sind also zu spät.
Nun, haben sie die bestehende Strategie mal gelesen? Einige Institutionen gibt es schon gar nicht mehr. Dass wir keine Tanzstadt sind, wissen wir jetzt, wir sind auch keine Jazzstadt mehr, und dem Theater sitzt neu das Symphonieorchester auf dem Schoss, die Museen sind gebaut und wollen vergrössern, der PROGR war damals noch ein Provisorium, das Zentrum Paul Klee in der Starteuphorie. Die Dampfzentrale fängt bei Null an. Mit dem unterdessen abgerundeten Hammer lassen sich schwerlich effizient Nägel einschlagen.
Ganz zu Beginn denke ich in einem neuen Begriffssystem. Nehmen wir ein Beispiel: Das Theater Matte erhielt von der Abteilung Kulturelles eben eine Subventions-Absage mit der Begründung: «Betriebsbeiträge sind für Laientheater nicht vorgesehen». Nun, das Wort «Laientheater» ist in der momentanen städtischen Kulturstrategie nicht zu finden. Und der Nachtrag, «die bisherigen Projekteingaben genügten den Qualitätsansprüchen der Fachkommission nicht», ist nichtssagend. Wir haben hier gleich zwei Fragen, die eine Kulturstrategie eindeutig beantworten müsste. Einerseits wird das Theater als Laientheater deklassiert, als nicht förderungswürdig und kulturell nicht relevant eingestuft. Warum? Andererseits wird die verlangte «Qualität» in der aktuellen Kulturstrategie mit keinem Wort definiert. Wohlbemerkt, dass hier eine «künstlerische Qualität» gemeint ist, und nicht eine kulturelle.
Ein Laientheater ist in der Form ein kulturelles Ereignis. Was auf der Bühne dargeboten wird, ist eine künstlerische Qualität. Diese beiden Begriffe «Kultur» und «Kunst» sind bei einer Gesuchsbeurteilung unbedingt zu trennen – ansonsten richtet sich das Resultat nach Kriterien, die niemand nachvollziehen kann. Und da wir öffentliches Geld verteilen, ist das notwendig.
Die kulturelle Wichtigkeit: Unter diesem Punkt können wir mit Fakten und klaren Indizien einen Betrieb, eine kulturell Institution in Wichtigkeit und Funktion in einer Gesellschaft platzieren: Räume, Gebäudesubstanz, Technik, Besucherzahlen, Programmfrequenzen, Kultursparte, Betriebspersonal – also alles, was nicht mit dem künstlerischen Teil, sondern mit der Funktion und dem Erhalt von Kulturorten zu tun hat. Der Kulturort ist wichtig, denn er ist der soziale Treffpunkt. Hier findet der effektive, wichtige Austausch in der Kultur statt. Das gleiche System gilt natürlich auch für Theatergruppen, Musikbands, AutorInnen, etc… Es gibt immer eine Funktion, eine Quantität, eine Wichtigkeit einer Sache, die nicht künstlerisch ist, aber wichtig für eine Gesellschaft. Zumindest darf man das als Subventionsgeber fordern.
Es ist natürlich möglich, dass nur ein künstlerischer Wert oder nur ein kultureller Wert vorliegt. Dann ist der Spielraum für eine Entscheidung einfach kleiner und eher in Frage zu stellen.
Die künstlerische Wichtigkeit: Das Wort «Qualität» dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht verwenden, solange wir «Qualität» nicht definieren. Ebenfalls muss eine klar umschriebene Kunstdefinition vorliegen, bevor wir künstlerische Massstäbe, Wichtigkeiten danach beurteilen. Eine professionelle Ausbildung macht noch keinen professionellen Regisseur. Und es gibt unzählige Musiker, die nie eine Unterrichtsstunde besucht haben, nie gelernt haben, wie ein Instrument zu spielen ist, aber zu den Weltbesten auf ihrem Gebiet zählen. Lapidares Beispiel, welches mir dabei in den Sinn kommt, ist der Gitarrist Eric Clapton. Andersrum erlebe ich sehr viele junge KünstlerInnen, welche mit Hochschulabschluss unfähig sind, einen künstlerischen Wert zu schaffen. Wen schliesen wir also aus? Diese Entscheidung bleibt Kommissionsarbeit und kann nur durch Fachgremien entschieden werden, wie bisher. Diese müssen aber eine Definition von Kunst, oder zumindest der Vorstellung davon, den Qualitätsbegriff für eine Generation oder eine Epoche, definieren. Diese Definition darf durch die Kommissionen relativ frei geformt werden – wichtig ist nur, dass sie transparent ist und somit auch öffentlich diskutiert werden kann. Diese künstlerische Wichtigkeit ist im Anschluss ein fortwährender Definitionsprozess, also nichts Starres.
Diese beiden Werte geben nun ein nachvollziehbares Bild von einer Institution ab. In unserem Beispiel des Theater Matte überwiegt beispielweise die kulturelle Funktion die künstlerische Wichtigkeit: Bern hat kein anderes professionelles Laientheater. Und professionell sind am Theater Matte die Institution, die Räume, die Ausstattung, die Auslastung, die Programmfrequenz, Besucherauslastung, etc. Künstlerisch können und dürfen wir Abstriche machen. Für die Subventionen heisst dies dann, dass nur der kulturelle Teil gefördert wird und nicht die Kunst. Ein zweites Laientheater hätte Probleme, sich zu rechtfertigten. Da müsste der Dialog mit allen Beteiligen geführt werden.
Mit einem Leistungsvertrag wäre das Theater Matte dazu zu verpflichten, die Bühne in einem bestimmten Rahmen für andere Laiengruppen zur Verfügung zu stellen. Diesen Leistungsvertrag kann man eingehen oder ablehnen. Damit wäre das Kulturgeld effektiv kulturell-allgemeinnützig eingesetzt – und das Problem für die Abteilung Kulturelles belegbar, elegant und korrekt gelöst.
Keine Regel ohne Ausnahme – aber das ist jetzt erst ein Anfang. Ganz so einfach ist es damit dann auch nicht getan.
Foto: zVg.
ensuite, März 2013