Von Micha Zollinger - Im April und Mai dieses Jahres findet die 26. Ausgabe des AUAWIRLEBEN-Theaterfestivals in Bern statt. Grund genug, um Nicolette Kretz, die Beatrix Bühler in der Programmation und Organisation des Festivals unterstützt, ein paar Fragen zu stellen. Dabei geht es nicht nur um das Festival selbst, sondern auch um heikle Punkte wie theatrale Übersättigung, Nachwuchsprobleme im Publikumsbereich oder um die Daseinsberechtigung des Theaters an sich.
AUAWIRLEBEN gibt es schon seit einiger Zeit. Wie ist es entstanden, und wer stand am Anfang dieser Idee?
Da ich erst seit zwei Jahren aktiv am Festival mitarbeite, kann ich über seine Anfänge leider nicht allzu viel sagen. Gegründet wurde es vor 26 Jahren und seit 1988 wird es von Beatrix Bühler geleitet, sie ist quasi die AUA-Mutter.
Wie sieht es aus mit der Grösse des Anlasses, die diesjährige Ausgabe umfasst vierzehn Theatergruppen, das ist ziemlich viel.
Das ist tatsächlich so. In den Anfängen waren es zwischen sieben und zehn, generell peilen wir mindestens zehn oder elf Gruppen an. Und dieses Jahr haben wir vierzehn geschafft.
AUAWIRLEBEN ist ein viel sagender und doch verwirrender Name für ein Festival. Woher kommt er und was soll er ausdrücken?
Der Titel ist an ein Theaterstück mit dem Namen «Hoppla, wir leben» (ein Drama von Ernst Toller. Anm. d. Red.) angelehnt. Das «wir leben» ist voller Lebensfreude, währenddem das «aua» diesen Eindruck wieder relativiert und leicht zynisch auf die Schippe nimmt. Eigentlich ist es eine Anspielung auf das Leben selbst, das zwar schön ist, aber immer auch schmerzt. Dazu passt das diesjährige Festivalthema «Generationen» besonders gut, man denke beispielsweise an Generationenkonflikte, oder an das Entstehen und Vergehen des Lebens.
Das Thema des Festivals ist ein gutes Stichwort. Es sollte Raum lassen für vielseitige Interpretation, und doch das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren. Auf welche Art und Weise wird ein Festivalthema ausgewählt?
Ganz am Anfang steht der Besuch von bestehenden Produktionen; so sind wir jetzt schon daran, potenzielle Projekte fürs AUAWIRLEBEN 2009 anzuschauen. Dabei merkt man natürlich, welche Themen behandelt werden, welche Fragen im Moment gerade unter den Nägeln brennen. Sobald sich eine Fragestellung herauskristallisiert hat, wird dann gezielt nach entsprechenden Stücken gesucht. Die Themenfindung geschieht also nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern geht Hand in Hand mit den aktuellen Interessen und Fragestellungen in der Theaterlandschaft.
Der nächste Schritt ist die Verpflichtung von Theatergruppen. Welche Arten gibt es, um an diese heranzutreten?
Durch die ganzjährige Sichtung von Projekten entstehen neue Kontakte, und bestehende werden gepflegt. Die estnische Gruppe NO99 beispielsweise haben wir fürs letzte AUA entdeckt, sind mit ihnen in Kontakt geblieben, und haben sie deshalb auch für die diesjährige Ausgabe verpflichten können. Andererseits kriegen wir auch viele Anfragen und Premiereneinladungen von neuen Gruppen, welchen wir so gut wie möglich Rechnung tragen. Und nicht zuletzt können wir auf ein Netzwerk von Intendanten anderer Theaterfestivals zurückgreifen, mit welchen ein Thema frühzeitig besprochen wird. So wird man auf einzelne Produktionen aufmerksam gemacht, und kann nebenbei bestehende Kontakte nutzen.
Ein Theaterfestival in der Provinzhauptstadt Bern: Wie sieht es aus mit der internationalen Ausstrahlung, wird AUAWIRLEBEN im Ausland wahrgenommen?
Ja. Gerade weil es schon seit 26 Jahren durchgeführt wird und seit jeher ausländische, anfangs vor allem deutsche, Produktionen eingeladen wurden, ist AUAWIRLEBEN international ein Begriff. Dank dieser Kontinuität geniessen wir trotz zunehmender Konkurrenz ein gewisses Ansehen im Ausland. Dies zeigt sich auch am regen Interesse der Theatergruppen, so dass wir als doch eher kleines Festival eigentlich keine Probleme haben, interessante Gruppen zu verpflichten. Es scheint ihnen zu gefallen hier in Bern.
Und wie gefällt das Festival den Bernern?
Die letzten Ausgaben waren sehr gut besucht. Unsere Erwartungen wurden insbesondere letztes Jahr übertroffen, umso mehr, als dass Bern doch ein relativ kleines Zielpublikum hat für ein zehntägiges Theaterfestival.
Braucht Bern ein solches Festival?
Unbedingt! Bern hat zwar eine gute Schauspielschule und ein Institut für Theaterwissenschaft an der Universität, ist aber eigentlich keine grosse Theaterstadt. Dem Stadttheater fehlt momentan die überregionale Ausstrahlung, und die Freie Szene findet fast nur noch im Schlachthaus und im Tojo statt. Da ist es für Bern wichtig, einmal im Jahr eine geballte internationale Top-Theater-Ladung verabreicht zu bekommen.
Kommt dieser Theatermarathon nicht einer Übersättigung des Berner Publikums gleich?
Scheinbar nicht, wobei natürlich jeweils auch viele Zuschauer aus anderen Schweizer Städten anwesend sind, um internationalen Produktionen beiwohnen zu können. Insbesondere mit Inszenierungen, die sonst nicht in der Schweiz gezeigt werden, können wir natürlich viel auswärtiges Publikum anziehen.
Das Interesse des Publikums scheint da zu sein, trotzdem waren die wenigsten Leute in meinem persönlichen Umfeld überhaupt einmal in einer Theatervorstellung. Wie legitimiert das Theater die nicht unbedeutende Unterstützung durch die öffentliche Hand? Oder anders formuliert, warum braucht es Theater?
(Zögert kurz) Ich gehe oft ins Theater hier in Bern, und meistens sind die Vorstellungen gut besucht. Wenn ich hingegen ins Kino gehe, finde ich mich sehr oft in beinahe leeren Sälen wieder. Offenbar findet das Publikum immer noch, oder immer wieder von Neuem, Gefallen am Erlebnis der Unmittelbarkeit, der Spontaneität und der Intensität eines Theaterstücks. Trotz allen Entwicklungen in der Unterhaltungsindustrie ist das Theater immer noch lebendig, es hat Radio, Kino und TV überlebt, und es wird auch das Internet überleben. So hat es viele Krisen durchgestanden, weil die theatrale Konstellation scheinbar einem urmenschlichen Bedürfnis entspricht. Ausserdem kann das Theater auch andere Themen aufgreifen als beispielsweise ein Spiel lm, der sich an ein Massenpublikum richtet. Eine Theaterproduktion kann provokativer, politischer und von regionalerem Interesse sein, weil sie per se auf ein vergleichsweise kleines Publikum ausgerichtet ist.
Von aussen betrachtet scheint das Zielpublikum tatsächlich sehr eng begrenzt und einseitig verteilt, nämlich wenig Junge und viele ältere Semester. Hat das Theater auf der Publikumsseite ein Nachwuchsproblem?
Ich persönlich erlebe das in Bern eigentlich nicht so. Im Gegenteil, ich sehe an den Aufführungen sehr viele junge Leute, gerade auch Studierende. Entscheidend ist wahrscheinlich, dass die Freie Szene in Bern an Orten spielt, welche dem jungen Publikum von anderen Veranstaltungen her bekannt ist, wie zum Beispiel der Reithalle oder der Dampfzentrale. Denn da ist einerseits die Chance grösser, dass die Programmhefte gelesen werden, und andererseits besteht eine gewisse soziale Vertrautheit. Das Nachwuchsproblem haben dementsprechend eher die grossen Theaterhäuser. Auch AUAWIRLEBEN profitiert von «jungen» Veranstaltungsorten. Zudem kann das Rahmenprogramm im PROGR durchaus als Nachwuchsförderung verstanden werden. Denn dort haben junge Leute die Möglichkeit, in ihrer gewohnten Umgebung mit der Theaterwelt in Kontakt zu treten. Allgemein beobachten wir beim Festival aber schon jetzt ein sehr junges Publikum, wobei darunter natürlich viele Schauspielschüler und Studenten des Theaterwissenschaftlichen Instituts sind.
Das tönt ein wenig nach «die Szene trifft sich».
Tatsächlich ist es ein Phänomen, dass im Publikum der Anteil an Leuten aus der Theaterszene im weitesten Sinn sehr gross ist. Allerdings scheint mir das in der bildenden Kunst, zum Beispiel, nicht anders zu sein.
Um noch einmal auf AUAWIRLEBEN zurückzukommen, was macht Dir persönlich am meisten Freude am Festival?
Ich geniesse die ganze Festivalzeit sehr, weil ich mich da voll und ganz aufs Theater und dabei auf ein spezifisches Thema konzentrieren kann, welches mir kompakt und doch facettenreich dargestellt wird. Wichtig ist dabei sicher auch das Festivalzentrum im PROGR, wo eine Bar und ein kleines Restaurant für das richtige Festival-Feeling sorgen werden.
Bild: Nothing Company, © Gabi Vogt
ensuite, April 2008