Von Caroline Ritz – Katzen sind scheue Tiere. Schön, graziös und geschmeidig, ja das sind sie. Im alten Ägypten wurden sie sogar für heilig erklärt. Und Pharaonen wie Tutenchamun und der mächtige Ramses verehrten die Katzengöttin «Bastet» als Göttin der Fruchtbarkeit und der Liebe. Durch eines dieser Geschöpfe erhielt der Hauptprotagonist aus Oscar Wildes Buch «Das Bildnis des Dorian Grey» sogar ewige Jugend, was ihn jedoch handkehrum in den Wahnsinn trieb. Sieben Leben haben diese Tiere. Stur, eigensinnig und unbeugsam sind sie. Und doch überwiegt die Faszination, die von ihnen ausgeht. Cat Power alias Chan Marshall gehört unbestritten zur gleichen Gattung. Sieben Alben, die wie sieben Leben gehört werden können. Voller Weltschmerz und fragiler Entrückung besingt sie eine schmerzhafte Vergangenheit, eine tragische Gegenwart und eine hoffnungsvolle Zukunft. Die Melodien ihrer Musik sind verhalten, ruhig und verborgen und umso mehr erschreckt die brutale Direktheit und Offenheit, mit der sie über ihre Gefühle spricht. Als Veranstalter ist es offenkundig ein Wagnis, dieses «wilde Kätzchen» zu buchen. Es kann sein, dass sie im letzten Moment abspringt oder dass Konzertbesucher Zeuge werden von sentimentalen Ausbrüchen oder kommentarlosen Abgängen von der Bühne. Aber ohne Einsatz kein Gewinn. Und wer in den Genuss kommen sollte, sie wirklich live zu sehen, der weiss, dass langes Warten und Bangen gerechtfertigt sein können. Unwiderstehlich und erotisch ist ihre Präsenz. Die Stimme warm und einlullend. Sie ist durch und durch ein Südstaatenmädchen. Ihre Musik trägt die Handschrift ihrer Geburtsstadt Atlanta: Folk, Country, Blues und Singer/Songwriter-Einflüsse sind wichtiger Bestandteil ihrer Stücke. Das neue Album «The Greatest» ist in Memphis aufgenommen worden, und zwar mit keinem geringeren als dem Al-Green-Gitarristen Teenie Hodges. Im Unterschied zu ihren sparsam arrangierten Vorgängern ist «The Greatest» reich an Instrumenten. Neben Chans Pianound Gitarrenspiel kommen in vielen Songs Bläser und Streicher zum Einsatz.
Diesen Sommer war eine «The Greatest»-Tour in den USA und Grossbritannien angesetzt, die aber aus gesundheitlichen Gründen abgesagt werden musste. In einem kürzlich erschienenen Interview mit der New York Times gestand Marshall offen, dass sie in all den langen und psychisch belastenden Tourneejahren seit 1998 alkoholabhängig war. Chan Marshall: «Even playing all my shows I was always intoxicated, always kind of not there, which led to the depression… It was more about the uncomfortableness with just being in my own skin, and that’s why the alcohol was always with me.» Solche Aussagen erklären auch die abrupten Konzertabbrüche oder Ausbrüche auf der Bühne. Ihre ernorme kreative und musikalische Power scheint nun wieder gebündelt zu sein. Positiv und energisch arbeitet sie schon an einem neuen Album namens «Sun». Der Titel hört sich ja schon um einiges lebensfroher an. Und die Chancen scheinen diesmal für Veranstalter und Publikum nicht schlecht zu stehen. Sie fühle sich so gesund und lebendig wie seit langem nicht mehr. Hoffentlich dauert dieses Hoch noch länger an. Das Zürcher Kaufleuten kann sich jedenfalls auf eine wunderbare Lady freuen.
Bild: zVg.
ensuite, November 2006