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Auf der Suche nach dem Urberliner

Von Till Hill­brecht — In der ein­sti­gen Todeszone um den Mauer­park beim Pren­zlauer Berg wird das alte Leben auf einem riesi­gen, all­son­ntäglichen Flohmarkt feilsch geboten, der so gross ist wie die gesamte Verkaufs­fläche der Bern­er Alt­stadt. Die Gassen sind gedrängt, jed­er will eines der selb­st bedruck­ten T‑Shirts ergat­tern, alte Schuhe, ein gebraucht­es Velo. Am Mauer­park, da wohnt eine Fre­undin. Noch ger­ade im let­zten Haus auf der ehe­ma­li­gen Ost­seite. Sie würde niemals über die ehe­ma­lige Gren­ze in den West­en ziehen. Und ich weiss noch nicht ein­mal, auf welch­er Seite ich ger­ade ste­he.

Dabei ist es mit dem Pren­zlauer Berg schon fast vor­bei. Das ein­stige Arbeit­erquarti­er wird heute von der oberen Mit­telschicht bevölk­ert, nur in dün­nen Nis­chen zwis­chen ren­ovierten Häusern und Neubaut­en hal­ten Kleinthe­ater und alte Kneipen der Schraubzwinge stand. Arbeit­er­schicht und zuge­zo­gene Kün­stler haben sich nicht gebis­sen. Nur: Der Einzug des Kun­st- und Kul­tur­mark­ts sprengte den alten Quartierkos­mos und baute einen neuen, der den Stadt­teil so fest aufw­ertete, dass den Kün­stlern die Trend­set­ter fol­gten. Die steigende Nach­frage nach dem aufge­blüht­en Wohn­raum war zügig nur noch mit Geld zu beant­worten. Der Pren­zlauer Berg ist ein Parade­beispiel für die so genan­nte Gen­tri­fizierung, die «Vere­delung» eines ein­sti­gen Arbeit­er- oder sog­ar Prob­lemvier­tels.

Nur: Das alleine ist kein Phänomen, welch­es Berlin vor­be­hal­ten ist. Auch nicht die Meth­o­d­en, mit denen sich in die Ecke gedrängte Aktivis­ten gegen den Wan­del wehren. In der Nacht wer­den unbekan­nte Sport­wa­gen kurz­er­hand abge­bran­nt, um die Wohnge­gend für den Wohl­stand unat­trak­tiv zu hal­ten. Stärk­er als ander­swo aber regt sich in Berlin auch eine leise Abnei­gung gegenüber der Kul­turszene. Die war anfangs nur ein lokaler Kloss, wurde aber unter dem Druck des Trends weit­er und weit­er aus­ge­wallt, bis sie als dünne Masse auch jene Orte bedeck­te, wo man heute von ihr gar nichts wis­sen will. Die Szene belebt den Gen­tri­fizierung­sprozess nun ständig neu. Es war Pren­zlauer Berg, es ist Friedrichshain, Kreuzberg, und es wird Neukölln sein. Das ehe­ma­lige Prob­lemvier­tel Kreuzberg, mit der weltweit grössten türkischen Dias­po­ra, ist heute zukun­ft­strächtiger Stan­dort für Wohlfühloasen und vielver­sprechende Bou­tiquen mit find­i­gen Namen aus Hol­ly­wood-Streifen. Und für lux­u­riöse Carlofts, in denen der Sport­wa­gen per Auto­lift auf dem Dachgarten parkiert und vor dem Mob geschützt wird. Der Spätka­u­fall­er­welts-Laden von Mon­sieur Ibrahim weicht dem Bio­markt, der Ende März schon Erd­beeren verkauft. Die Eck­kneipe weicht der Chill Out-Lounge. Die ist noch wenig besucht in Neukölln. Aber seit der angren­zende Flughafen Tem­pel­hof geschlossen wurde, ist es teuer gewor­den um die ehe­ma­lige Flugschneise. Bess­er man investiert jet­zt, auch wenn der Markt noch schwach ist.

Der Berlin­er iden­ti­fiziert sich mit seinem Kiez. Doch mit dem Wan­del im Kiez gehen auch seine Anwohn­er. Wer heute den Kreuzberg­er Leben­sraum gestal­tet, kann mor­gen hier vielle­icht nicht mehr leben. Und die Suche nach dem Urber­lin­er ist schwieriger als erwartet. Vielle­icht, weil er anders ist, als man meint? Ist nicht der Türke aus Kreuzberg genau­so der Urber­lin­er wie die Char­lotte, die am Eck hin­ter dem Tre­sen ste­ht und Weisse auss­chenkt? Im Trend­vier­tel wird der­weil der Frei­heits­drang ver­mark­tet. «Reclaim the Streets» avanciert vom Schlachtruf zum Label, welch­es in fettge­druck­ten Buch­staben auf schick­en T‑Shirts prangt und den Touris­ten ausweist, dass sie dabei waren. «Reclaim the Streets» rufen in Berlin alle: Teenag­er kaufen die Rev­o­lu­tion in der Bou­tique, Aktivis­ten pla­nen sie von ihrem bedrängten Wohn­raum aus. Strassenkun­st hängt in den Gale­rien, deren Anzahl in Berlin reko­rd­verdächtig hoch ist. Genau­so wie die Arbeit­slosigkeit. Heute ist Berlin die Stadt mit dem offiziell besten Club der Welt, für den man zwei Stun­den anste­ht und eine Unsumme an Ein­tritts­geld bezahlt. Die Stadt mit ein­er der­art starken Klien­tel, dass selb­st Nis­chen eine Mag­netwirkung auf das Pub­likum haben.

Der Urber­lin­er ist richtig schwierig zu find­en. So viele ziehen hier her, so viele weichen. Die Fre­undin im let­zten Haus zur West­gren­ze ist eine Urber­liner­in. Auch Char­lotte hin­ter dem Tre­sen. Der Strassen­musik­er mit dem Sax­ophon an der Schön­hauser Allee ist ein Urber­lin­er. Und noch eine, die in Neukölln gegen die Plas­tikrev­o­lu­tion kämpft und nachts Stüh­le auf die Strasse stellt, weil die Park­bänke let­zthin präven­tiv ent­fer­nt wor­den sind.

Foto: Till Hilbrecht
ensuite, Mai 2010