Von Ursula Lüthi — Dieser Schlussteil zur fünfteiligen Serie «Burnout» lässt aufblühen und aufleben, nachdem die Veränderungen der Umstände erkannt und beschlossen sind. Als erstes allerdings ein paar Aussichten der Experten sowie eine Beschreibung der Werte, welche dem Betroffenen begegnen. Alle Quellenreferenzen sind aus gestalterischen Gründen unterlassen. Matthias Burisch ist der Ansicht, dass uns Burnout und Stress noch im nächsten Jahrtausend beschäftigen werden. Er ist auch sicher, dass Burnout kein unausweichliches und unabänderliches Schicksal ist und gibt eigene Empfehlungen ab, wie dem Syndrom entgegengewirkt werden kann. Die Empfehlungen sind Enttabuisierung, Selbsthilfe und Supervision, Organisationsentwicklung, bescheidenere Erwartungen, Nähe zu Menschen und anderen Lebewesen, aber auch Kulturgütern wie Musik, Literatur und bildender Kunst und eigenen Beschäftigungen, die sich selbst genug sind, Selbstakzeptierung und Autonomie. Eine Wahrnehmung des Mensch-Seins ohne Produktionsabsichten im industriellen Denken wird angeregt. Es gilt zu beachten, dass jeder Mensch ein wertvoller Mensch ist, und wenn er seinen Wert in funktioneller Arbeit sieht, er mit Grenzen auch in seinen Kräften konfrontiert wird. Die entsprechenden Heilmittel sind Nachsicht und Geduld. Sie verschaffen eine andere, nicht zuletzt bessere Lebensqualität, und dem Menschen können neue Werte und Gefühle, Freude und Mut zukommen. Ein Zitat zu dieser Veränderung wird prosaisch von Hillert und Marwitz geschrieben: «Es geht um den schweren Abschied vom romantischen Ideal, wonach eine Arbeitsbeziehung eine eheähnliche Veranstaltung ist, eine Identität, Sinn und Sicherheit vermittelnder Halt. Diesen hat, im besten Sinne von Selbstmanagement, jeder zukünftig in sich selbst zu finden.» In Situationen von Selbstwertverlust und Zweifel an Leistung und Wertungen kämpft der Mensch mit Schuldgefühlen und sucht den Fehler erstmals bei sich selbst. Er stellt keine Anforderungen und fühlt sich unnütz. Es ist ihm zuerst nicht bewusst, dass Hilfe anzunehmen ist, daher kann er sich auch nicht nach Hilfe ausstrecken. Es braucht einen neuen Bezug zum Selbstwert, dessen Wahrnehmung und Einschätzung. Lebenszufriedenheiten ergeben sich aus Balance von Belohnung bzw. Erholung und Arbeitsaufwand. Wenn dieses Verhältnis gestört ist, können trotz intensiven Einsatz Misserfolge und Kritik zunehmen, bis schliesslich eine selbstbestimmte Wertschätzung für den Einsatz ausbleibt und eine fremdbestimmte Wertschätzung nicht genügt oder nicht mehr wahrgenommen werden kann, nach Litzcke und Schuh. Diese Situationen gelten als Krisen. Jeder Lebensabschnitt beinhaltet eine Krisenmöglichkeit, und jede Krise hat andere Ausgangslagen. Aronson, Pines und Ditsa erklären die Krisen durch die Veränderung und Entwicklung der Menschen und dadurch, dass jede Phase eine ihr entsprechende Krise zeigt. Diese wiederum ermögliche ein Ausbrennen und einen Überdruss in jeder Lebensphase. Das Auftreten von Krisen ist kein Anzeichen von schlechter Anpassung oder mangelnder Reife, sondern eine «Reflexion des lebenslangen Strebens nach Wachstum.» Sie schreiben weiter: «In allen Fällen lässt die Krise unsicher und unwirklich erscheinen, was früher eine festgefügte Welt schien.» Die Netze, die einen wunderbar gehalten hatten bis anhin, sind zu überholen. Es lässt sich mit einer Erneuerung befassen, was alte Bezüge (menschliche und dingliche) anbelangt. Bezüge sind an Wertungen geknüpft, und aus diesen resultieren die aktuellen Selbstwertungen. Eine Veränderung von Werten kann bedeuten, dass von materiellen Werten vermehrt an spirituelle Werte geknüpft werden muss oder umgekehrt, um Situationen gelten zu lassen und veränderte Selbstwertgefühle entwickeln zu können. Es könnte ja sein, dass die alten Netze nur notdürftige Netze waren, doch lässt man diese ungern fallen, weil sie bekannter sind als jedes neue Netz von Bezügen. Um einer Krise positiv zu begegnen, ist eine Einstellungsänderung gegenüber Bekanntem ein unausweichlicher und richtiger Schritt. Eine Horizonterweiterung geht praktisch als Nebenwirkung mit einer Lebenskrise einher, was wiederum als Geschenk des Lebens angenommen werden könnte.
Ver-rückte Aus-sich-ten Das Wahrnehmen und sich Eingestehen, dass Veränderung im Leben ansteht oder man sich an einem Wendepunkt oder in einer Krise befindet, hilft. Es empfiehlt sich eine Wunschliste mit lang ersehnten Wünschen oder spontanen Eingebungen, was es denn noch zu entdecken geben könnte in dieser Welt und im eigenen Leben. Bestimmt findet jeder eine «verrückte» Idee. Verrückt ist nur «ver-rückt», wenn es die eingefahrenen Bahnen verrückt. Diese Rückung verbreitert die eingefahrenen Spuren. Im Erleben dieser verbreiterten Spur können Luft, Aussicht, wohlige oder befremdende Gefühle erfahren werden. Diese veränderte Erfahrung rüttelt an gewobenen Netzen und Mustern. Es öffnen sich unkontrollierbare Momente, wo einzig und allein auf das Leben vertraut werden muss. Denn unbekannte Wege verlangen neuen Halt und da noch nicht bekannt ist, welchen Halt zu erlangen ist, ist diese Erfahrung bewusst mit Mutsprüngen verbunden. «No risk, no fun»! Zur Wahrnehmung und Beurteilung der anstehenden Schritte ist die Ehrlichkeit gefragt. Denn nur in der ehrlichen und selbstbestimmten Handhabung von Entscheiden, kann die nötige Verantwortung mitgehen. Diese Verantwortung und das Umsetzen von Entscheidungen führen zu Selbstvertrauen und zu Selbstwert, wenn sie gelingen. Für das Gelingen ist die Selbstverantwortung zuständig. Daher lohnt sich jede Regung und jedes Recken nach Beleben im Sinne von «verrückt». Verrücken und Gelingen schaffen neue Horizonte und Vertrauen in das Leben! Nur, Vorsicht mit immerzu gleichem Verrücken: In gleichen Mustern liegt auch Gefahr von lustlosem Verfahren, neuem Spur-nicht-mehr-Verlassen beziehungsweise Abnützen. Am geeignetsten sind lustvolle Mutschritte in gewünschte Tiefen und Höhen, damit dem Leben auch bedingungslos vertraut werden kann. Mit den besten Wünschen für Mut und Vertrauen sowie der nötigen Gelassenheit und Freude für stetiges Rücken und einem lustvollen, blühenden Leben.
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2010