Von Barbara Roelli — Auch beim Apéro ist der Pferdefleisch-Skandal das Thema. Es fängt bereits damit an, dass ich beim Traiteur einige Canapés dafür aussuche. Er empfiehlt mir die Variante mit Tartar. Dies sei aus ganz frischem zartem Rindfleisch gemacht, mit wenig Salz und nicht überwürzt, wie es auf manchen Canapés so ist. Und ja – in diesem Tartar habe es also kein Pferdefleisch. Diese Bemerkung gebe ich mit einem Augenzwinkern weiter in die Apéro-Runde, als ich die Canapés herumreiche. Der Pferdefleisch-Skandal bietet für jede und jeden etwas, vorüber sie oder er sich ergelstern kann. Allem voran der Diskussionsgrund Nr. 1, warum es überhaupt zum Skandal kam: In England wird in Fertigprodukten Pferdefleisch gefunden, obwohl dieses auf der Packung als Rindfleisch deklariert ist. Skandalös ist dies nicht nur wegen der Täuschung, sondern scheinbar auch deswegen, weil für die Briten das Essen von Pferdefleisch tabu ist. Diskussionspunkt Nr. 2: Der Skandal weitet sich auf mehrere europäische Länder aus, unter anderem sind Deutschland und auch die Schweiz betroffen. Coop meldet schliesslich, dass die eigene Fertig-Lasagne nicht nur mit Rind‑, sondern auch mit Pferdefleisch hergestellt wurde. «Blick am Abend» kreiert aus «Lasagne verdi alla bolognese» «Lasagne pferdi». Auch die Schweizer können sich also nicht mehr sicher sein. Die böse Lebensmittelindustrie belügt die Konsumenten. Und daraus ergibt sich Diskussionspunkt Nr. 3: Kaufen wir in Zukunft überhaupt noch Fertigprodukte? Die abendliche Gratiszeitung macht eine Umfrage dazu. Überraschend übereinstimmend tönen drei Antworten der fünf Befragten: «Ich bin Anhänger von individuellen, frisch zubereiteten Speisen. Fertigprodukte kommen bei mir deshalb nicht auf den Tisch.» «Ich kaufe keine Fertigprodukte.» «Der Skandal hat mich nicht betroffen, und er hat meine Meinung auch nicht geändert: Ich habe schon zuvor nie Fertigprodukte gekauft.» Diese Aussagen regen wiederum Diskussion Nr. 4 an: Am besten, man kocht selber. Dazu kauft man das Hackfleisch für die Bolognese Sauce beim Metzger seines Vertrauens. Am gescheitesten ist ja eh das Hack vom Rind aus der Region. Da braucht es keine langen Transportwege wie bei der ökologisch fragwürdigen Skandal-Lasagne. «Blick am Abend» erklärt diesen Aspekt visuell – mit einer Europakarte, Pfeilen, Ross- und Fleischwolf-Symbolen: Das Ross wird in Rumänien gemetzget, in Italien und Frankreich zu Hackfleisch verarbeitet und weiterverkauft. Zum Beispiel an eine Firma in Frankreich, die in Luxemburg ihre Fertig-Lasagne herstellt. Und von dort landen die verarbeiteten rumänischen Pferde dann in den Kühlregalen der europäischen Supermärkte; etwa in denen von Coop in der Schweiz. Vorsorglich wird die Coop-Lasagne aus den Regalen genommen. Aber weshalb eigentlich? Diskussionspunkt Nr. 5: Rossfleisch ist doch Teil unserer Esskultur. Klar ist es Geschmacksache, aber für ein Pferde-Entrecôte mit Kräuterbutter braucht man nicht in einen Gourmet-Tempel zu gehen; man findet es auch auf der Menükarte der Quartierbeiz. Radio SRF 3 fragt sogar, ob man auf der Coop-Lasagne nicht einen Kleber anbringen kann, mit dem Hinweis «mit Pferdefleisch», statt sie einfach zu vernichten. Diskussionspunkt Nr. 5: Wie ist das eigentlich mit dem Schmerzmittel, das in Pferdefleisch nachgewiesen wurde, und welches für den Menschen angeblich tödlich sein kann?
Sicher ist: Dieser ganze Skandal ist Würze für die Tagespresse, ein Stein des Anstosses für Konsumenten- und Tierschützer, und eine weitere Baustelle für Behörden. So kommt noch mancher auf den Geschmack von Rossfleisch.
Foto: Barbara Roelli
ensuite, März 2013