Von Ruth Kofmel — Schweizerdeutscher Rap war eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Bis ich dann eines Abends auf einem Bildschirm diesen jungen Mann sah, der mit seltsam hochgekrempelten Trainerhosen auf einem Bett bei einer Tankstelle sass und rappte, dass es eine wahre Freude war. Wie sich herausstellte, war dieser Mann Basil Anliker aka Baze und es dauerte noch ein paar Jahre, bis sich die Wege im kleinen Bern kreuzten. Die ersten zwei seiner Solo-Platten sind mehr oder weniger ungehört an mir vorbeigegangen, und ich hatte den extrem morgenmuffeligen Mann erst bei der Promo der Boys on Pills-Platte als Interviewpartner vor dem Mikrofon. Die zwei Boys on Pills-Alben fand ich äusserst unterhaltsam. Ich war davon angetan, wie Baze die Worte aneinanderreihte, wie er seine Geschichten erzählte; simpel, lebensnah und auf den Punkt gebracht. Mir gefielen seine Melodien, sein Flow; jeder Rapper hat seine Ton-Abfolgen, seine Rhythmik, die ihn im Idealfall unverkennbar machen und im schlechtesten langweilig. Die Boys on Pills-Alben gaben also schon einmal die Richtung vor, aber Baze versteckte sich da noch hinter viel Ironie und Übertreibung, was zu diesen Alben zwar durchaus passte, einen als Zuhörerin aber doch irgendwie unbefriedigt zurückliess. Was ich hören wollte, war die erwachsene Version des rappenden Baze, eine Solo-Scheibe, die einem als Mitdreissigerin nicht vor die Entscheidung stellt, diesem Musik-Stil ein für alle Mal abzuschwören, weil Rap schlussendlich doch nur als Musik des Jugendkults funktioniert.
Jetzt habe ich diese Scheibe endlich in meiner Anlage. Sie heisst «D’Party isch vrbi» und fängt mit einem melancholischen Abgesang auf die wilden, durchwachten Nächte an. Mit Hilfe von Endo Anaconda wird da eine hoffnungserfüllte Endzeitstimmung heraufbeschworen, dass einem ganz schummrig wird. Die Geschichten sind einmal mehr aus dem Leben gegriffen und spielen oft auf den etwas raueren Seiten des Alltags. Sie widerspiegeln die Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden, den Abschied einer Generation von ihrer Jugend. Was mich daran entzückt ist, dass es Baze gelingt, dieses metaphysische Gefühl derjenigen zu erfassen, die sich mit dem Verlassen der Jugendwelt nicht ganz leichttun – es gibt dafür sogar einen Begriff: wir stecken in der Odysee-Phase. Uns ist nicht ganz klar, was eigentlich das Erwachsensein nun ausmachen sollte. Einfach nicht mehr an Parties gehen, die Liebe des Lebens finden, Kinder machen und den Garten umgraben — das klingt zwar auch verlockend, aber wir stellen leicht konsterniert fest, dass sich dieser Plan nicht einfach so mir nichts dir nichts umsetzen lässt, dass wir es nicht schaffen, diese Schablone auszufüllen, ohne uns weh zu tun, uns zu verlieren, und wir bleiben mit der Frage stehen, was dann noch kommen soll. Baze schafft es, diese für uns typische Ambivalenz einzufangen, und das ist eine sensationelle Leistung. Schwere Themen geht er mit Humor an, leichten Themen hängt er etwas Blei an die Füsse, und balanciert so die ganze Kiste sicher und kompakt aus. Benfay und Marton di Katz haben die Beats beigesteuert und bauen Kulissen für die Geschichten, wie sie besser nicht sein könnten. Musik und Texte haben etwas gemeinsam, was schwer hinzukriegen ist, sie sind gleichzeitig eingängig und tiefgründig. Die Melodien hat man nach einmal hören im Ohr, manche Songs sind richtig süffig und surfen nahe am Kitsch, aber immer gibt es da die kleinen Brüche und Unterströmungen, die sie davon bewahren ins Seichte abzudriften. Baze sucht sich bewusst Beats aus, die nicht einfach per se eine Wucht sind, sondern solche, die ihm eine Stimmung vorgeben und die noch Platz genug bieten, in einer zweiten Phase, auf den Text zu reagieren. So entsteht eine äusserst bestechende Dynamik, die dafür sorgt, dass die Scheibe auch nach dem zehnten Durchgang immer noch in ganzer Länge und voller Lautstärke gehört werden will. «D’Party isch vrbi» ist grosses Theater und gerade bekomme ich nicht genug davon.
Zuvor durfte ich an einem grauen Sonntagnachmittag zu Baze und Benfay in den Keller runtersteigen, mich in einen Bürostuhl vor Boxen setzen, die Füsse hochlegen und zuhören. Ich war sehr glücklich an diesem Nachmittag. Vielleicht war es das quere Mittagessen, in einer Beiz, die ich alleine nie und nimmer besucht hätte, oder die Frau dort, die mich einfach so umarmte und meinte: «I respect women like you!» (ähm, merci – sehr lieb – irgendwie), vielleicht war es schlicht die Tatsache, dass diese zwei Männer gerade dabei waren, etwas Einzigartiges zu schaffen, und ich da ein paar Stunden mitten in den Beats und Lines mitschwamm. Musik ist Geschmackssache, aber es gibt auch immer Fakten, die sich festnageln lassen: Baze rappt perfekt. Da wird nichts im Nachhinein geschnitten, nichts gepitched. Baze rappt so, dass die Worte sich wie ein geschmeidiger Lederhandschuh um die Beats legen. Er sagt, er habe etwas Angst davor, dass die Leute beim Zuhören davon ausgehen, dass das alles er sei, dass die Geschichten ihn eins zu eins widerspiegeln. Und auch wenn er etwas Angst davor hat, hat er genau das getan. Er hat alles abgelegt, was ihn distanziert, überheblich und grossmäulig erscheinen lässt, und erzählt mit nichts als Boxershorts auf dem Leib aus dem Leben. Das ist kein Weltverbesserungs-Rap, kein Klischeegangster-Rap – es ist die Umsetzung dieser Musikform, wie sie ursprünglich gedacht war; als erzählendes Medium, als ein Hybrid aus Poesie und Musik. Und zu guter Letzt lässt einem Baze nicht einfach so im Regen dieses melancholischen und nackten Albums stehen, sondern gibt uns noch einen letzten Song mit auf den Weg; es geht darin um diese Nachmittage in Kellern, um diese Momente, wo die Zweifel für einen kurzen Augenblick Ruhe geben. Das ist keine Neuigkeit, aber gut, mal wieder zu hören; es sind diese Momente, die zu suchen sich lohnt — nicht mehr und nicht weniger.
Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2010