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Bern, eine Brutstätte

Von Corin­na Möller — Der Besuch der Eröff­nungs­feier der Som­mer­akademie im Zen­trum Paul Klee kon­nte in diesem Jahr nicht nur emp­fohlen wer­den, um sich mit der Materie ver­traut zu machen, son­dern auch, um das zunächst recht abstrakt klin­gende The­ma bess­er oder über­haupt erst zu ver­ste­hen: «You are HERE. Here is wher­ev­er I lay my head». Ein Inter­pre­ta­tion­sansatz kann in etwa so laut­en: Das Du ist das Ich, der erste Satz ist die Stimme aus dem Off oder der schweigende Stadt­plan, der mit einem roten Punkt den eige­nen Stan­dort an einem frem­den Ort markiert. Der eigene Stan­dort, das eigene Hier ist das Hier der Kün­st­lerIn­nen, deren Gedanken der zweite Satz zum Aus­druck bringt. Extern und intern, zuhause und unter­wegs: Gegen­sätze, die für das Kün­st­lerIn­nen­leben heute nicht mehr notwendi­ger­weise Gegen­sätze sind.

HIER erk­lärt die diesjährige Gastku­ra­torin der Som­mer­akademie Sue Williamson zum einen als eine «Meta­pher für den nomaden­haften Lebensstil der mod­er­nen Kul­turschaf­fend­en» und zum anderen als Veror­tung im eige­nen Leben. Durch indi­vidu­elle Ein­flüsse und Erleb­nisse ist man an dem Stand­punkt ange­langt, an dem man sich zur Zeit befind­et, örtlich und kün­st­lerisch also, und auch hin­sichtlich der eige­nen Iden­tität. Der geografis­che Stand­punkt der zwölf Teil­nehmenden (Fel­lows) – von ein­er Jury aus über 160 Bewer­bun­gen aus­gewählt – war vom 21. bis zum 31. August Bern, und auch hier­für galt es, eine Reise anzutreten. Zwölf indi­vidu­elle Reisen, um genau zu sein, denn eigentlich war in diesem Jahr kein Land mehrfach vertreten. Uneigentlich war Deutsch­land das Land, mit dem doch einige der Teil­nehmenden auf­grund ihres aktuellen, ehe­ma­li­gen oder zukün­fti­gen Wohnortes Berlin in Verbindung standen. Diese Unein­deutigkeit in der Zuord­nung des Lan­des, das man in Klam­mern hin­ter die Kün­st­lerIn­nen schreiben kann, ver­an­schaulichte let­ztlich aber genau das, was inhaltlich im Zen­trum ste­hen sollte.

Ganz all­ge­mein ste­ht bei der Som­mer­akademie, 2005 von der gle­ich­nami­gen Pri­vat­s­tiftung der Bern­er Kan­ton­al­bank ins Leben gerufen, gegen­seit­iger Aus­tausch und Inspi­ra­tion im Zen­trum. An vier Tagen durfte auch die Öffentlichkeit an den Inspi­ra­tionsquellen für die Kün­st­lerIn­nen teil­haben: Neben den soge­nan­nten Lec­tures gab es eine Tanzper­for­mance und Kurz­filme zu sehen. «Die Öffentlichkeit» kon­nte dann gemein­sam mit den Fel­lows auf den Stühlen und Sitzen des Zen­trums Paul Klee und in den Ses­seln des Kino Kun­st­mu­se­um sitzen, um den Vorträ­gen und Kom­mentaren der ein­ge­lade­nen Kün­st­lerIn­nen und Kura­torIn­nen zu lauschen, die Auss­chnitte eigen­er Kunst­werke oder Teile ihrer Ausstel­lun­gen präsen­tierten, kom­men­tierten und teil­weise disku­tierten. Die Vor­tra­gen­den wer­den in jedem Jahr von den Gastku­ra­torIn­nen aus­gewählt und ein­ge­laden, die Präsen­ta­tio­nen sollen sich auf das jew­eilige The­ma beziehen. The­ma­tisch kreis­ten die Inhalte der öffentlichen Ver­anstal­tun­gen nun fast auss­chließlich um Südafri­ka und die Apartheid-Poli­tik. Dass Südafri­ka als Heimat­land Sue Williamsons eine Rolle spie­len würde, war zu erwarten. Dass das The­ma wahrschein­lich in irgen­dein­er Verbindung zur Herkun­ft der Gastku­ra­torin ste­hen würde, war auf­grund der Bezüge zum Hier und Dort und zur indi­vidu­ellen Lebenser­fahrung – und nicht zulet­zt, weil es sehr unwahrschein­lich erscheint, von der Geschichte Südafrikas wed­er kün­st­lerisch noch per­sön­lich inspiri­ert und bee­in­flusst zu wer­den – eben­falls zu erwarten. Dass Südafri­ka als sta­bil­er inhaltlich­er Rah­men geset­zt wer­den würde, blieb im Voraus trotz­dem uner­wäh­nt, sodass sich manch ein Besuch­er gefragt haben mag, welch­er Aspekt von «You are HERE. Here is wher­ev­er I lay my head» den so starken Bezug zu Südafri­ka und «sein­er» Geschichte impliziert.

Die Kün­st­lerin Can­dice Bre­itz, die sich in ihren Foto- und Videoar­beit­en mit der Ein­wirkung der Medi­en, vor allem der Pop­kul­tur, auf Indi­viduen und Grup­pen beschäftigt, hat ihre Präsen­ta­tion als Ein­stieg in die öffentliche Vor­tragsrei­he insofern auf das diesjährige The­ma bezo­gen, als sie für ihre Arbeit­en um die Welt reist und sich nach eigen­er Aus­sage wed­er in Südafri­ka als ihrem Geburt­s­land noch in ihren bish­eri­gen Wahlhei­mat­en New York und derzeit Berlin wirk­lich heimisch fühlt. In den Vorträ­gen von Sue Williamson und dem nige­ri­an­is­chen Kura­tor und Autor Okwui Enwe­zor wur­den dann Arbeit­en vorgestellt, die die Apartheid und ihre Auswirkun­gen – die Kun­st als eine davon – zum The­ma hat­ten; die Südafrikaner­in Nelisi­we Xaba ver­ar­beit­ete in ihrer Tanzper­for­mance den ras­sis­tis­chen Blick der west­lichen Gesellschaft auf afrikanis­che Frauen, und die Kurz­filme von Pen­ny Siop­sis, eben­falls aus Südafri­ka, ver­mit­tel­ten dem Pub­likum Ein­blicke in das Leben und in (gesellschafts-) poli­tis­che Ereignisse aus den Jahren der Apartheid. Alle ein­ge­lade­nen Speak­ers set­zen sich mit ihrer Kun­st gegen Diskri­m­inierung und Aus­gren­zung ein, die Abwe­sen­heit von Kun­st, die nur dem Selb­stzweck dient, war offen­sichtlich – und offen­sichtlich auch ein dem diesjähri­gen The­ma implizites Kri­teri­um für die Auswahl der Fel­lows. Den Kopf kann und sollte man auch an ungemütliche Stellen leg­en, das HIER­sein, die eigene Sit­u­a­tion kann auch unbe­quem sein und vor allem auch unfrei­willig. Und dass die Apartheid wie kaum ein anderes The­ma Fra­gen nach der eige­nen Iden­tität und Veror­tung aufwirft, kann nicht bezweifelt wer­den. Dass ein­deutiger hätte angekündigt oder gekennze­ich­net wer­den kön­nen, dass das über der Akademie schwebende The­ma, zumin­d­est öffentlich, in einem wesentlich eingeschränk­teren Rah­men bzw. wesentlich punk­tueller behan­delt wer­den würde, als es auch bei der Eröff­nungs­feier präsen­tiert wurde, kann und sollte allerd­ings auch gesagt wer­den. Vor allem, weil das öffentliche Pro­gramm die einzige Verbindung zum The­ma und zu den Fel­lows her­stellt:

Es ist das Konzept der Som­mer­akademie, dass die Aktiv­itäten der Fel­lows, für die die Akademie in erster Lin­ie stat­tfind­et, mit der Öffentlichkeit nicht geteilt wer­den, nicht unter ihrer Beobach­tung ste­hen. Die Work­shops, in denen sich die Fel­lows mit den Speak­ers und untere­inan­der über (deren und ihre eigene) Kun­st aus­tauschen, sind intern, genau so wie auch die Exkur­sio­nen in die unmit­tel­bare Umge­bung Berns, für die die Fel­lows von Sue Williamson mit einem «Sur­vival Kit» aus­gerüstet wur­den. Da ein wichtiger, wenn nicht sog­ar der wichtig­ste Bestandteil der Som­mer­akademie, die als Weit­er­bil­dungsange­bot zu ver­ste­hen ist, die Ver­net­zung zwis­chen den Teil­nehmenden ist, braucht es einen «geschützten» Raum, der das Ken­nen­ler­nen und den Erfahrungsaus­tausch gewährleis­ten kann. Die Fel­lows stellen sich und ihr kün­st­lerisches Wirken, das zumin­d­est in Teilen mit dem jährlichen The­ma der Akademie zu iden­ti­fizieren sein muss, dem Pub­likum bei der Eröff­nungs­feier in ein­er Kurz-Präsen­ta­tion vor. Darüber hin­aus gibt es jedoch keinen wirk­lichen Zugang zu den von ein­er Jury gewählten Teil­nehmenden – es sei denn, man ver­sucht mit ihnen während oder in den Pausen der Ver­anstal­tun­gen ins Gespräch zu kom­men. Dazu ist the­o­retisch jed­er ein­ge­laden – ob diese Gele­gen­heit von in den Kun­st- oder Kul­turbere­ich nicht involvierten Per­so­n­en, von den «nor­malen» BesucherIn­nen auch wahrgenom­men wird oder wer­den kann, ist allerd­ings schw­er zu beurteilen.

Fes­thal­ten lässt sich im Nach­hinein zwar nicht das von den Fel­lows während der zehn Tage pro­duzierte (Gedanken-)Material, fes­thal­ten lässt sich aber, dass die Som­mer­akademie des Zen­trums Paul Klee ihrer sich selb­st geset­zten Auf­gabe, den Kün­st­lerIn­nen Raum und Zeit zum Nach­denken und Reflek­tieren zu bieten, gut nachzukom­men scheint. Die Förderung von Kun­stver­mit­tlung an eine inter­essierte Öffentlichkeit, die sich die Som­mer­akademie eben­falls zur Auf­gabe gemacht hat, scheint hinge­gen noch etwas verbesserungswürdig.

Infos: www.sommerakademie.zpk.org

Foto: zVg.
ensuite, Okto­ber 2013

 

Artikel online veröffentlicht: 1. Juli 2019