Offener Brief von Hans Ruprecht
Der Verein ‚Literatur in Bern’ bemüht sich seit längerer Zeit um eine weltoffene und der schweizerischen Hauptstadt angemessene Präsenz von Literatur: mit Lesungen, Diskussionen, Förderung von jungem Schaffen, Gedankenaustausch mit anderen Kulturkreisen Europas, sowie dem Berner Literaturfest. Dies, obwohl dafür im Vergleich zu anderen Formen der kulturellen Tätigkeiten sehr wenig öffentliches „Kulturgeld“ gesprochen wird.
Im nächsten Jahr hätten wir gerne die zweite Ausgabe des Europa-Projektes ABSOLUT ZENTRAL präsentiert. Diesmal sollten bedeutende Literaten, Historiker und Kulturphilosophen aus dem Südosten Europas zusammen mit Autorinnen und Autoren aus der Schweiz deren Position in Europa und die sich entwickelnde europäische Identität dokumentieren und diskutieren. In Lesungen, Vorträgen und Podien mit neuen inhaltlichen und formalen Ansätzen und Darbietungsformen sollte das Publikum angeregt werden, sich über politische, kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg mit Kultur, Gesellschaft, Werthaltungen und Lebensbedingungen des neuen Europa auseinanderzusetzen. Bern hätte so international vernetzte, innovative Persönlichkeiten von Rang und Namen in einem inspirierenden Kontext erleben und eine wesentliche Katalysatorfunktion erfüllen können. Leider bleibt dies nun bloss noch Wunschdenken.
Denn die Stadt Bern will dieses einmalige Projekt nicht mehr finanzieren. Eine „Kulturpolitik“, die den Namen kaum mehr verdient, verunmöglicht ein national und international ausgerichtetes Projekt, das in seiner ersten Ausgabe (2011, mit dem Fokus auf Mittel- und Osteuropa) auch im Ausland Beachtung fand.
Mir ist unverständlich, dass ein solches Projekt, das sich nicht im Mainstream bewegt, in der Bundeshauptstadt Bern keinen Platz finden kann.
Gewiss hat die erste Ausgabe dieser Plattform noch nicht den ihr angemessenen Publikumszulauf gefunden. Aber solch innovative Projekte verlangen eine gewisse Anlaufzeit, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Viele begeisterte Rückmeldungen haben die Wichtigkeit und die hohe Qualität des Dargebotenen bestätigt. Und bekanntlich ist Mund-zu-Mund-Propaganda wirksam: auch Verpasstes gewinnt dabei eine Chance, zum Gedankengut einer breiteren Schicht zu werden.
Für ihren negativen Entscheid macht die städtische Kultursekretärin kaum Begründungen geltend: Weder kann sie sich auf ein vorhandenes Kulturkonzept berufen noch zeigt sie ein Interesse an Inhalten und Zielen des Projekts. Ihre Abteilung verwaltet nach inhaltlich unbenannten Grundsätzen Geld mit dem Ziel, möglichst wenig auszugeben, Wirkungspotential hin oder her.
Bern könnte die Literaturstadt der Schweiz sein. Neben den Liedermachern sind es zahlreiche Literaten, die der Stadt eine Identität geben und sie über die Stadt- und Kantonsgrenze hinaus bekannt machen. In Bern sind literarische Institutionen von nationaler Bedeutung zu Hause: das Schweizerische Literaturarchiv, die Nationalbibliothek und das Robert Walser Zentrum. Die Hochschule der Künste Bern bietet als einzige Kunsthochschule der Schweiz auch jungen Autorinnen und Autoren Ausbildungsmöglichkeiten. Trotzdem gibt es kaum eine von der Stadt geförderte Plattform der aktuellen Literatur.
Als Literaturvermittler habe ich mich jahrelang mit viel Herzblut darum bemüht, der Literatur den ihr gebührenden Platz und Stellenwert im Kulturleben der Stadt Bern zu verschaffen sowie die Bernerinnen und Berner (sowohl Schreibende wie Lesende) an in der Welt und in Europa stattfindenden Denkprozessen teilhaben zu lassen. Weitere Schritte in dieser Richtung hätten es der Stadtregierung erlaubt, Bern im nationalen und internationalen Zusammenhang als Kulturhauptstadt zu profilieren.
Stattdessen weist die Präsidialabteilung der Kultur nun, ohne nachvollziehbare Begründung, wertvolles Knowhow und Vernetzungswissen zurück und blockt kulturpolitisch wertvolle Initiativen ab. Angesichts dieser Haltung sehe ich für mich wenig Sinn an einer weiteren Arbeit für Literatur in der Stadt Bern. Gegen offenbar erwünschte Kulturprovinzialität kann ich nicht ankämpfen. Ich werde, bei dieser Konstellation der Präsidialabteilung für Kultur, keine Gesuche mehr einreichen und meine Aktivitäten an all jenen Orten im In- und Ausland weiter führen, wo meine Arbeit schon bisher geschätzt wird und auch weiter gedeihen kann.
Bern, 8. Dezember 2012
Hans Ruprecht
Der Verein Literatur in Bern
Peter J. Betts
Daniel Rothenbühler
Susanne Petermann
Rudolfo Meerstetter
Hans Ruprecht, 60, studierte nach einer Lehre als Tiefbauzeichner an der Essener Folkwangschule Schauspielerei und Theaterregie. Von 1987 bis 2007 veranstaltete er unter dem Label „Taktlos Bern“ Konzerte, welche Jazz und improvisierte Musik mit Literatur verbanden. Ende der 90er-Jahre begann er mit der Durchführung von „Trafo-Lesungen“ in der Berner Dampfzentrale. 2006 übernahm Hans Ruprecht von Ricco Bilger die Leitung und Programmierung des Internationalen Literaturfestivals Leukerbad. Im gleichen Jahr initiierte er das erste Berner Literaturfest und gründete seine auf Literaturvermittlung und –veranstaltungen spezialisierte Firma „Sprachform“. 2008 verlieh ihm der Kanton Bern den Kulturvermittlungspreis.