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Besuch kommt…

Von Stanislav Kutac — Eine Stunde mit Lil­ia Kuster: Besuch kommt vor der Predigt, wenn‘s drauf ankommt. Die Pri­or­itäten von Lydia Kuster, geboren am 15.03.1929, seit 52 Jahren Zol­likoferin, sind ein­deutig: zuerst kommt die Fam­i­lie, danach kommt die Fam­i­lie, dann kommt lange nichts und dann kommt wieder die Fam­i­lie. 4 Kinder hat sie geboren, einige Grosskinder sind gefol­gt und das Schön­ste ist, wenn die zu Besuch kom­men. Ihr Mann, Ernst Kuster oder wie sie es sagen würde, der Kuster Ernst, ist vor 8 Jahren an einem Hirn­schlag gestor­ben. «Wir hat­ten eine gute Ehe, er hat mir gefall­en und er war ein Lieber, auch wenn wir uns manch­mal wüst gesagt haben.» (Lydia lacht wie so oft in unserem 1‑stündigen Gespräch von ganzen Herzen).

«Was soll ich sagen über das Leben? Mir fall­en die Worte nicht mehr so ein. Fra­gen Sie doch etwas.» (Und da habe ich gefragt nach Gott und der Welt. Oft kam dann ein Schmun­zeln und ein Das-weiss-ich-doch-nümme, spielt das eine Rolle? Dann wieder ver­schiedenes – übri­gens so etwas wie ein Lieblingswort von Lydia). «Ja, gute Kinder habe ich erzo­gen, wahrschein­lich (das ist ziem­lich präzise aus­ge­drückt – man weiss es ja wirk­lich nie ganz genau). Sie sind alle was gewor­den und fleis­sig sind sie und das ist auch gut so. Die ersten 3 kamen in 2‑Jahres Abstän­den, der let­zte, der Bern­hard, war ein Nachzü­gler mit 16 Jahren Ver­spä­tung, dafür ist er jet­zt der Jüng­ste. Und Schrein­er­meis­ter ist er gewor­den wie mein Mann, ein Beruf mit Bestand, wie ich finde. Handw­erk­lich­es habe ich immer sehr geschätzt, habe selb­st gerne und viel genäht, nicht nur für mich und meine Fam­i­lie, auch für andere, sog­ar mehrere Brautk­lei­der. Lisme aber war immer meine Lei­den­schaft. Ich habe min­destens 100 Pullis gestrickt. Das Dümm­ste, was mir passieren kon­nte, ist, dass es mit meinen Fin­gern nicht mehr so klappt. Das ist wirk­lich schade. Was ich son­st den ganzen Tag lang mache? Ume­hocke. Was soll ich son­st machen? Ja, lesen tue ich schon noch auch. Die BZ zum Beispiel, Tode­sanzeigen und so. (Ich ein wenig ent­täuscht frage ein­fach weit­er – und Poli­tik?) Ja auch manch­mal. Aber, wis­sen Sie, das sind doch alles Hudigääggel­er – auss­er dem, der wo ger­ade geht, dem Leuen­berg­er, der ist der einzige, der aufrecht gewe­sen ist, nicht wie die Bun­de­spräsi­dentin, wie heisst sie noch, die Leuthard, das ist doch ein Bäbi (Die 2 neuen waren zum Zeit­punkt des Gespräch­es noch nicht gewählt. Sie haben fol­glich noch gewisse Chan­cen. Ich frage mich allerd­ings allmäh­lich warum ältere Men­schen, übri­gens auch Poli­tik­er, die kein Amt mehr bek­lei­den, die Dinge wieder mit einem gesun­den Men­schen­ver­stand zu betra­cht­en begin­nen. Die Pubertät dauert wohl länger als wis­senschaftlich angenom­men.) «Wis­sen Sie, es kann kom­men, wie es will, es kommt nicht gut, nicht nur gut. Früher mussten wir noch auf vieles verzicht­en und kon­nten uns noch auf einiges freuen. Heute sind die Men­schen so ver­wöh­nt, sie haben alles. Was kann da noch kom­men, auss­er weniger, auss­er Verzicht. Und das fällt nie­man­dem leicht. Aber was soll man dazu sagen? Ich weiss es doch auch nicht, wie es mit der Welt weit­er geht. Ich weiss sowieso nümme. (Das war nicht das let­zte Wort, hätte aber gut gepasst).

Gott – ja, ja Gott muss man schon haben. 28 Jahre im Kirchen­chor waren eine schöne Zeit. Ein gutes Essen schmeckt mir auch immer noch. Wir dür­fen fürs z‘Nacht sog­ar Wün­sche äussern. Aber allen kann man es ja nicht recht machen. Den Zim­mer­nach­barn z.B. kann man sich nicht sel­ber aus­suchen. Aber ich habe ja mein­er­seits vor 2 Jahren auch einen Platz gebraucht. So ist das. Und irgend­wann müssen wir dann alle Platz machen, wenns Stündli schlaat. Ob ich mich mit dem Tod beschäftige? Nein. Der kommt ein­fach, nehme ich mal an.» Ja, das ist wohl so. Mein Vater ist vor Kurzem gestor­ben, erzäh­le ich Lydia. Er hat­te sich mit diesem The­ma nie auseinan­der­set­zen wollen. «Ja die Män­ner, die laufen doch vor allem weg. Die wollen gar nichts wis­sen.» (Wir lachen zusam­men).

Zum Abschluss noch ein paar Kurzfra­gen, wie let­ztes Mal: «Musik: Volk­stüm­lich, Marsch- und Mil­itär­musik, und Kirchen­musik natür­lich auch. Lit­er­atur: BZ, aber sie kön­nen auch Bund schreiben, wenn Sie meinen, dass es einen Unter­schied macht. Film: Die Got­thelf­filme sind noch mis Ding. Lieblingsessen: Ich mag gerne Wild mit Knöpfli, aber am lieb­sten habe ich Röschti.»

Liebe Frau Kuster, ich danke Ihnen für die Geduld, die Sie aufge­bracht haben, mich mit meinem hochdeutschen Geplap­per zu ertra­gen. Und wer weiss, vielle­icht haben wir es ger­ade deswe­gen so lustig gehabt.

Mit fre­undlich­er Genehmi­gung des Betagten­heim Zol­likofen (BHZ), aus dem Mag­a­zin JAHRGANG 123.

Foto: zVg.
ensuite, Novem­ber 2010

Artikel online veröffentlicht: 26. November 2018