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Betonung: be|wu|scheln; Bedeutung: bedächtig und sanft überragen.

Von Luca Zac­chei — Ich war nicht dabei als Christoph Spy­cher, unter Fre­un­den auch «Wuschu» genan­nt, zum ersten Mal einen Fuss­ball berührt hat. Wahrschein­lich spielte er lachend im Haus­garten und sog noch an seinem Nug­gi. Mit seinem linken Fuss hat er den Plas­tik­ball getrof­fen, und ist dann hin­ter­herg­er­an­nt. Wahrschein­lich hat­te er bere­its als 2‑Jähriger Beine wie kleine Baum­stämme und einen blonden Kruselkopf. Und ich war eben­falls nicht dabei, als er als Junior für den FC Ster­nen­berg auf dem Schlatt seine Geg­n­er mit Leichtigkeit Schachmatt set­zte. Wie es aber bei Leg­en­den so üblich ist, kan­nte ich Wuschu vom Hören­sagen, noch bevor ich ihn zum ersten Mal auf dem Fuss­ballfeld per­sön­lich getrof­fen habe.

Damals, bei mein­er ersten Fuss­ball-Schul­meis­ter­schaft in Nieder­scher­li, war ich unge­fähr dreizehn Jahre alt. Es war ein schön­er Früh­lingstag. Der Spiel­rasen roch nach frischem Tau, und das Son­nen­licht wurde so stark von der Feuchtigkeit reflek­tiert, dass die Augen wehtat­en. Es kur­sierten bere­its einige Geschicht­en über den Wun­derkn­aben mit dem starken Schuss. Die Schüler aus unser­er Klasse tuschel­ten untere­inan­der: es sei prak­tisch unmöglich, Wuschu mit fairen Mit­teln zu stop­pen. Das Spiel ver­lief aber span­nend, und wir kon­nten kurz vor Schluss noch aus­gle­ichen. Das Aus­nah­metal­ent wurde kurzzeit­ig ent­thront. Und dann zauberte Wuschu, zeigte sein ganzes Kön­nen und uns gle­ichzeit­ig unsere Gren­zen auf. Wir wur­den ver­wün­scht und «bewuschelt»! Zla­tan Ibrahi­movic ist mit dem Verb «zla­tanieren» ins nationale schwedis­che Wörter­buch einge­gan­gen, was so viel heisst wie «stark dominieren». Wuschu überzeugte hinge­gen auf eine san­fte und fre­undliche Weise und nahm schon damals in meinen per­sön­lichen Fuss­ball-Duden Einzug.

Sein Tor war typ­isch für die Art und Weise wie er während sein­er gesamten Kar­riere gespielt hat: Schritt für Schritt, vielle­icht unspek­takulär, aber doch immer effizient. Stets ziel­gerichtet und mit dem richti­gen Tem­po unter­wegs. Er umspielte die Gegen­spiel­er, liess sich nicht weg­drän­geln, robust wie er damals bere­its war, und dirigierte gekon­nt seine Mit­spiel­er. Nicht mit der Arro­ganz der Diva, son­dern mit dem Charis­ma eines gut­müti­gen Cap­tains. Das entschei­dende Tor erzielte er damals in unser­er ersten Begeg­nung flach und diag­o­nal. Wie so oft schnörkel­los und solide. Ich habe mich geärg­ert, und wie! Wuschu liess sich feiern, teilte aber sofort Ruhm und Lob unter seinen Mit­spiel­ern auf. Und dann war ich nicht mehr verärg­ert und nei­disch, son­dern nur über­rascht.

Später, während des Gym­na­si­ums, hat­te ich dann das Glück, mit ihm in der­sel­ben Schul­mannschaft zu spie­len. Das Gewin­nen fiel mir plöt­zlich bedeu­tend leichter … Wuschu schaffte es nur noch ein­mal, mich zu ärg­ern: als Ital­ien gegen Frankre­ich an der Fuss­ball-Europameis­ter­schaft ver­lor, und er mit den Fran­zosen über­trieben jubelte. Ich habe nie ver­standen, wieso damals so viele Schweiz­er Jugendliche für Les Bleus schwärmten. Vielle­icht, weil dies das kleinere Übel war? Das Wichtig­ste war wahrschein­lich, dass nicht die Ital­iener oder die Deutschen gewan­nen. Oder vielle­icht, weil damals der grossar­tige Zine­dine Zidane die Grande Nation auf dem Fuss­ballfeld führte und der beste Fuss­baller auf Erden war? Der­selbe Zidane, den Wuschu später als Spiel­geg­n­er ken­nen­ler­nen durfte und selb­st als Vor­bild beze­ich­nete?

Wahrschein­lich schaute Wuschu damals ähn­lich zum franzö­sis­chen Bal­lvir­tu­osen auf, wie wir damals in Nieder­scher­li zu ihm. Andere Spiel­stät­ten, andere Dimen­sio­nen. Er wurde auf dem Spielfeld «zidanisiert», während wir «bewuschelt» wur­den. Ob er von Zizou ent­täuscht wurde, als dieser im WM-Finale aus­gerastet ist? Das weiss ich nicht. Ich weiss aber, dass Christoph Spy­cher für viele immer noch ein Vor­bild ist. Zum Anfassen und trotz­dem nicht ganz erre­ich­bar. Nie auf­brausend und gle­ichzeit­ig bes­tim­mend. Hin­ter den Kulis­sen des BSC YB wird Wuschu jet­zt zum Tal­entspäher. Jedes Ende ist ein neuer Anfang. Ich hoffe, dass seine Men­tal­ität, seine Wesen­sart weit­er­hin in das Inner­ste des Clubs ein­dringt: das «Very­oung­boy­sen» muss der Ver­gan­gen­heit ange­hören, während die Zeit des «Bewuschelns» anbrechen soll. Viel Glück in dein­er neue Rolle, Wuschu!

Foto: Illus­tra­tion: Rod­ja Gal­li / www.rodjagalli.com
ensuite, Juni/Juli 2014