Von Simone Weber — An der Olympiade der Kleiderfarben steht Schwarz seit langer Zeit unangefochten auf dem Siegertreppchen. Mit seinen einzigartigen, hervorragenden Eigenschaften überzeugt es die Menschheit seit Jahrzehnten. Warum ist Schwarz in unserer Gesellschaft als Kleiderfarbe so wahnsinnig beliebt? Physikalisch betrachtet handelt es sich bei Schwarz um eine Nicht-Farbe, die alle Farben absorbiert und nichts nach aussen abgibt. Greifen wir folglich, wenn wir uns in Schwarz hüllen, unbewusst das Thema der Abgrenzung auf? Nimmt es vielleicht sogar eine Art Schutzfunktion ein, wie ein Schild, das uns von allem Bedrohlichen und Beängstigendem fernhält? In Schwarz steckt ein Ausdruck des Nicht-Angepasstseins, der Rebellion und damit einhergehend eine Form der Individualität. Besonders Jugendliche im Teenager-Alter bevorzugen schwarze Kleidung. Sie drücken damit die Opposition gegen Autoritäten in ihrem Umfeld aus und verleihen ihrer Aggression Ausdruck. Die farbig-fröhliche Kindermode wird im Pubertätswahn in einen Sack gesteckt und auf Nimmerwiedersehen in die grosse weite Welt geschickt.
Auch im Universum der Erwachsenen überwiegen oft die schwarzen Teile im Kleiderschrank. Dies verwundert nicht, passt Schwarz doch hervorragend in unserer Gesellschaft, wo Funktionalität, Sachlichkeit, Härte und vor allem Coolness sehr angesagt sind. Emotionalität ist verpönt, denn wer Gefühle zeigt ist schwach – ein riesiger Trugschluss, der jedoch ins Fundament unseres Systems einbetoniert ist.
Die dunkelste aller Farben hat aber auch ganz praktische Seiten. Wir können in einem schwarzen T‑Shirt beruhigt Tomaten-Spaghetti schlürfen, uns auf warme, feuchte Wiesen legen und unbesorgt knallroten Lippenstift tragen. Abstossende Schweissflecken unter den Achseln sind in schwarzen Ärmeln unsicht-bar, und beim Waschen wird das gute Ding nicht zu einem schmuddelfarbigen Irgendwas. Beliebt ist es auch bei den Kollegen aus dem Farbenkreis. Schwarz bringt Blau, Grün, Gelb zum Leuchten und tritt dafür selbst in den Hintergrund. Den bewundernswerten Status als Kleiderfarbe schlechthin hat sich Schwarz dank seiner fabelhaften Attribute, seiner ungeheuren Vielfältigkeit und Beständigkeit meiner Meinung nach mehr als verdient. Mit seiner vornehmen Distanziertheit ist es unbestritten die ewige Trendfarbe auf den Strassen der westlichen Welt. Und zugegeben: Es gibt kein Kleidungstück, das in Schwarz nicht gut aussehen würde! Schuhe, Röcke, Jeans, Anzüge, Taschen, simple Shirts, Dessous, Lederjacken und Hüte in diversen Formen – allem verleiht Schwarz allem einen Hauch verruchter Eleganz. Ob puristisch, avantgardistisch, düster, romantisch, wild oder verspielt – Schwarz ist in jedem Winkel modischer Vielfalt vertreten.
Schwarz faszinierte schon Coco Chanel in den 20er-Jahren. Sie erkannte das Potenzial der Farbe, die damals überwiegend Witwen und verheirateten Frauen vorbehalten war. Mit ihrer Kreation des «Kleinen Schwarzen» übernahm sie deshalb eine Trendsetterfunktion und löste in der Mode eine Revolution aus. Dieses legendäre Kleid war schmal geschnitten, ohne Taille und überdeckte gerade Mal das Knie – für diese Zeiten sehr gewagt! Heute ist es ein Klassiker, eine Allzweckwaffe für alle Frauen, die nicht wissen, was sie anziehen sollen. Es besticht durch seine Schlichtheit und Ele-ganz, ist zeitlos und passt zu jedem Anlass. Im kleinen Schwarzen kann frau ins Theater, ins Büro oder auf einen Bummel in die Stadt. Das «Kleine Schwarze» besticht durch seinen klassischen Stil, und wie Chanel es selbst ausdrückte, ist Stil – im Gegensatz zur Mode – nie-mals vergänglich.
Ohne Schwarz hält es die Mode nicht aus, weder in Tokio noch in New York, Mailand oder Paris. Schwarz ist überall. Auf den Laufstegen grosser Modemetropolen hält sich die Farbe von Saison zu Saison. Grosse Designer wie Hugo Boss und Karl Lagerfeld schwören auf Schwarz und verwenden es in ihren Kollektionen. Nur diese eine Farbe kann Materialien und Formen so schön präsentieren, denn sie stellt sich niemals in den Vordergrund. Schwarz setzt harte Grenzen und betont Konturen, unterstreicht somit die Form anstatt davon abzulenken.
Keine andere versprüht eine derartige Eleganz, ist so simpel kombinierbar und zeitlos wie Schwarz. Nein, Schwarz ist nicht bloss irgendeine Farbe, es ist DIE Modefarbe schlechthin. Schwarz ist sensibel, Schwarz ist dramatisch, ist anmutig, ist einzigartig. Es beinhaltet gleichsam Strenge, Macht, Magie und Autorität. Längst steht es nicht mehr nur für die Demut der Trauernden in der westlichen Zivilisation und die dunklen Seiten des menschlichen Daseins. Schwarz will nicht in den Topf des Bösen und Bedrohlichen geworfen werden, denn Schwarz hat auch eine feine, weiche und sinnliche Seite! Wer sonst würde seinen Sieg so würdig vertreten wie diese Farbe, die eigent-lich gar keine ist.
ensuite, März 2010