Von Sonja Wenger — «Wasser», sagt Peter Brabeck, «Wasser ist ganz klar ein Menschenrecht.» Halleluja! Gepriesen sei die Vernunft, mag man hier versucht sein zu rufen. Doch leider gilt für Brabeck, dem Chef des gigantischen Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé, dem weltweit grössten Anbieter für Flaschenwasser, nicht automatisch der Umkehrschluss: «Dass Wasser ein grundsätzliches Bedürfnis des Menschen ist und deshalb keine Ware sein darf.»
Für Brabeck wäre dieser Umkehrschluss eine «Extremlösung» und so stellt der Konzernchef gerne öffentlich die Frage, ob denn «Wasser nicht vielmehr ein Lebensmittel ist und deshalb, so wie jedes andere Lebensmittel auch, einen Marktwert haben sollte.»
Der Dokumentarfilm «Bottled Life – The Truth about Nestlé’s Business with Water» der Journalisten und Filmemacher Urs Schnell (Regie) und Res Gehriger (Recherche) hat sich zum Ziel gesetzt, genau diese Widersprüchlichkeit in den Aussagen aufzuzeigen, die von Brabeck und seinen GenossInnen gebetsmühlenartig wiederholt werden.
Der Untertitel ist hierbei Programm und Krux zugleich, denn die «Wahrheit über Nestlé’s Geschäft mit dem Wasser» kriegt man von Brabeck natürlich nicht geboten. Doch er entlarvt sich mit schöner Regelmässigkeit selbst. Besonders in jenen Sequenzen, in denen Brabeck seine Lieblingsformulierungen «nachhaltig» und «langfristig» in jedem noch so absurd anmutenden Zusammenhang verwendet und auch dann darauf besteht, dass Nestlé nur das Beste der Menschheit möchte, wenn die Handlungen des Konzerns derart offensichtlich auf den eigenen Profit ausgerichtet sind, dass einem die Spucke wegbleibt.
Gehriger und Schnell sind um die halbe Welt gereist, um genau für diesen Vorwurf Beweise zu sammeln und sie zeigen auf, dass es mit der vielzitierten Unternehmensverantwortung von Nestlé nicht weit her ist. So hat sich der Konzern seit sechs Jahren nicht mehr in einem äthiopischen Uno-Flüchtlingslager blicken lassen, nachdem er dort den Bau einer Wasserpumpstation und einer Wasserleitung finanziert hatte – preist auf seiner Webseite das Projekt jedoch nach wie vor als Beispiel für seine «nachhaltige Unternehmenspolitik» an. In Pakistan oder Nigeria zapft Nestlé das Grundwasser ganzer Regionen ab, und verkauft der Bevölkerung dann ihr eigenes Wasser zu absurd überteuerten Preisen – ohne sich um die langfristigen Folgen des sinkenden Grundwasserspiegels zu kümmern. Und in den USA pumpt Nestlés Tochterfirma Poland Spring für einen lächerlichen Preis jährlich hunderte Millionen Liter Quellwasser aus dem Boden, um es danach für einen stolzen Preis auf den Markt zu schleudern – mit einer schwindelerregenden Gewinnmarge.
Transnationale Konzerne wie Nestlé seien schon immer nur auf Profit ausgewesen, sagt Maude Barlow, die ehemalige Chefberaterin der Uno für Wasserfragen. Doch der fehlende Zugang zu sauberem Trinkwasser sei weltweit die Todesursache Nummer eins. «Jährlich sterben deswegen mehr Menschen als durch HIV/Aids, Malaria, Kriege und Verkehrsunfälle zusammengenommen», sagt Barlow. Vor diesem Hintergrund könne eine Unternehmenspolitik wie jene von Nestlé nur als «kriminell» bezeichnet werden.
Für ihren Dokumentarfilm, der bei den Solothurner Filmtagen uraufgeführt wird, haben sich die Macher für das einfachste Mittel entschieden, dass jeder Recherche zur Verfügung steht: Sie lassen die Protagonisten selbst zu Wort kommen und zeigen gleichzeitig anhand ihrer Beispielen weltweit, dass man die Firmenleitung von Nestlé offen der Lüge bezeichnen kann, ohne sich dabei in die Nesseln zu setzten.
Dass die Gegenseite dabei häufiger zur Wort kommt, hat einen einfachen Grund: Trotz mehrfachen Aufforderungen zur Stellungnahme und Anfragen um Interviews hat Nestlé bis heute auf keine der Fragen von Gehriger geantwortet. Statt dessen wurde ihm offen deklariert, dass die Tore des Konzerns verschlossen bleiben – und zwar weltweit. Eine Tatsache, die im Film immer wieder bestätigt wird.
Umso auskunftsfreudiger sind die Betroffenen, denn es ist ja nicht so, dass es gegen Nestlé keinen Widerstand gäbe. Doch häufig sehen sie sich mit der geballten Macht eines Konzerns konfrontiert, der jährlich hundert Milliarden Franken Umsatz macht und über endlose Ressourcen für juristische Kämpfe, Medienkampagnen und Werbung verfügt. Nestlé, so scheint es, kann sich den triefenden Zynismus seines Chefs leisten: «Der Bericht über unsere Unternehmensverantwortung ist so dick wie über unsere Finanzen», sagt Brabeck zu Beginn von «Bottled Life». Es ist eine jener vielen Aussagen, die inhaltslos bleiben, solange im Konzern keine Transparenz herrscht und der Öffentlichkeit auf kritische Fragen keine Antwort gegeben wird.
Es sei «der falsche Film zur falschen Zeit», sagte ein Nestlé-Mann zu Gehriger. Das Gegenteil ist der Fall.
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2012