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Brennen und Ausbrennen: Burnout Teil 1

Von Ursu­la Lüthi — Mit einem Blick auf Pro­duk­tion und Regen­er­a­tion wird ein kurz­er Abstech­er in den Energiebe­darf und –vor­rat nötig. Die The­matik von Burnout als Syn­drom gewin­nt run­dum an Aufmerk­samkeit und Anspruch. Die einen wollen es erlebt haben, die andern wollen nichts davon wis­sen. Die, die damit betrof­fen sind oder damit umzuge­hen ver­suchen, sind vor allem die anderen! Sel­ber? Nie, und schon gar nicht jet­zt: «Ich arbeite und funk­tion­iere ja noch, bin gewis­senhaft und fleis­sig. Ich schlafe jede Nacht meine Stun­den, also bin ich sich­er nicht von einem Burnout betrof­fen.» «Aber ich kenne wen…, der kon­nte nicht mehr in der Art und Weise weit­er arbeit­en und musste Stelle wech­seln, er ging Reisen, hat­te kör­per­liche Anze­ichen von Unaus­geglichen­heit und wirk­te irgend­wie verän­dert, wenn er mit uns zusam­men war.» Diese Aus­sagen sind häu­fig – wohlge­merkt – über wen anders. Nun, wie weiss ich, dass ich nicht im Feuer «Funk­tion­sprozess» gefan­gen bin und aus­bren­nen kann? Als Erstes gibt es zu bemerken, dass jed­er eine andere Wahrnehmung und Vorstel­lung von Bren­nen und Aus­bren­nen hat. In der eige­nen Vorstel­lung darüber kön­nen zum Beispiel Bilder von Hitze, über­wälti­gen­dem Anblick, Unaufhalt­samkeit und Befan­gen­heit auf­tauchen, bevor die Verbindung zum Aus­bren­nen mit den Bildern von Leerem, Verkohltem und Hohlem führen. Bei genü­gend Luftzu­fuhr und Mate­ri­al­re­serve würde das Feuer lange hal­ten… Doch wo bren­nt Feuer denn so richtig? Und gibt es eine Gren­ze zwis­chen Nutzen und Schaden von Feuer? Nun, nüt­zlich sind bes­timmt die Erzeug­nisse von Wärme, Kraft, Licht und Bewe­gung. Für eine Pro­duk­tion sind diese Energien sog­ar zen­trale Bedin­gung. Zu Beginn «Wärme»: Wärme als erste Form von Energie und poten­tielle Grund­stufe, die zu Feuer gesteigert wer­den kann. Wie komme ich von Wärme zu Feuer, wenn nicht inten­si­vere, länger dauernde For­men von Rei­bun­gen und Kräften mit­spie­len? Der Weg zwis­chen Wärme und Feuer ist eine Schwelle, eine Zone dazwis­chen oder ein Über­gang, den es zu bege­hen und bewirtschaften gilt. An der Gren­z­seite zu Wärme find­et sich das Genü­gen und das Gelin­gen kön­nen als ursprünglich­es Werten. An der Gren­z­seite zu Feuer sind die Werte von «Mehr als», «schneller, höch­er als, wiiter als», beziehungsweise «bess­er als» – im über­tra­ge­nen Sinne – anzusiedeln.

Mit der Spannbre­ite von genü­gend zu nicht genü­gend beziehungsweise mehr als ergibt sich ein bre­ites und zeitlich unbe­gren­ztes Feld von Energievor­rat und Repro­duk­tion von Energiequellen. Somit kön­nte erkan­nt wer­den, wo der Nutzen her­vorge­ht und wo der Schaden begin­nt. «Genügt» es oder braucht es «mehr als genug»? Und wie lange Zeit braucht es wie viel der Wärme oder des Feuers? Ähn­lich ver­hal­ten sich Energiebe­darf und Energievor­rat beim Men­schen. Um von Wärme zu Feuer zu gelan­gen pro­duziert man in sich Energie, und das kann stim­ulierend sein, ja sog­ar förder­lich. Allerd­ings ist der Energievor­rat im Feuer sel­ber – je nach Luftzu­fuhr und Mate­ri­albeschaf­fen­heit – begren­zt. Die Begren­zung find­et sich in zeitlich­er Hin­sicht wie auch in materieller Hin­sicht. Wie sieht denn ein Bild vom gesun­den, «war­men» Men­schen, dem feuri­gen, «hitzi­gen» Men­schen und dem verkohlten, «aus­ge­bran­nten» Men­schen aus? Welche Antriebe brin­gen Bewe­gung und Kraft und wie feurig ist kri­tisch? Warum genügt ein «Genü­gen» nicht (mehr) und warum braucht es «Mehr»? Eine Antwort find­et sich mit Sicher­heit in der Anerken­nung. Anerken­nung aus sich her­aus und Anerken­nung von aussen gewon­nen brin­gen eine Zufrieden­heit. Zufrieden­heit gibt Friede und lässt uns ruhig sein. Ich finde mein Tun anerkan­nt, somit geschätzt, es kriegt einen Wert und ich somit meinen Selb­st­wert. Wie kann dieses gute Gefühl von genü­gend geschätzt und wertvoll zu sein beste­hen bleiben? Bin ich mit meinem Tun und Sein wirkungsvoll beziehungsweise wirkungsvoll genug? Anerken­nung kann sich materiell, funk­tionell und imma­teriell aus­drück­en und in der eige­nen Wahrnehmung gültig sein. Was lasse ich als genü­gend Anerken­nung gel­ten? Brauche ich sie aus­drück­lich von den anderen oder kann ich sie mir allen­falls sel­ber geben? Was ist eine gesunde Wer­tung von Anerken­nung, die ich mir zukom­men lasse? Es drängt sich Bal­ance auf. Die Bal­ance von mir genü­gen und anderen genü­gen, mir «mehr als» zuzu­muten und abrin­gen und «mehr als» gegenüber anderen leis­ten wollen. Wenn ich für mich «mehr als» brauche, brauche beziehungsweise fordere oder erwarte ich das möglicher­weise auch von den andern? Welche Gren­zen gibt es hier zu berück­sichti­gen und was wirkt gesund und gegen­seit­ig stim­ulierend anstelle von lange zeitlich unaufhalt­sam, end­los, feurig? Eine Empfehlung kam mir zu Ohren, die sin­nvoll scheint: Das Leben sei am Genussvoll­sten, wenn es Jahre gebe, in denen der Fluss des Tun die Zeit vergessen lässt und die Zeit unmerk­lich schnell vor­beige­ht, abgelöst von den Jahren, in denen die Zeit einem unendlich langsam vorkommt. Diese Ablö­sung von wellenar­tiger Wahrnehmung der Zeit mache ein gelun­ge­nes Rezept für ein erfülltes Lebens­ge­fühl. Man sollte also keine Verurteilung vornehmen, wenn weniger pro­duk­tive Zeit­en gelebt wer­den gegenüber den Zeit­en, in denen prak­tisch keine Zeit übrig bleibt. Wohlver­standen: Die Abwech­slung und das phasen­weise Tauschen dieser Zustände ist das Rezept: Wed­er das eine noch das andere kön­nen die Würze für einen gesun­den Rhyth­mus alleine aus­machen. Jed­er Men­sch hat in seinem Radius von Wirken und wirkungsvoll Sein einen eige­nen Spiel­raum und kann so sein Leben frei bes­tim­men. In diesem Spiel­raum ist auch jed­er Men­sch alleine ver­ant­wortlich und frei. Das freie Entschei­den und Han­deln in der eige­nen Ver­ant­wor­tung löst das Gefühl von Bedrängt sein gegenüber Anerken­nungs- und Wer­tungsmech­a­nis­men auf und ver­hin­dert nicht zulet­zt einen aus­ge­bran­nten Men­schen. Faz­it: Wer die Bal­ance von Genü­gen zu «Mehr als» ken­nt und sich dafür in der Eigen­ver­ant­wor­tung ein­set­zt, der kann sog­ar Feuer fan­gen, ohne verkohlen zu müssen! In diesem Sinne wün­sche ich genü­gend frische Luft, ein wohliges warmes Innen­leben und starke Kör­p­er, damit kraftvoll und zufrieden erzeugt wer­den kann, was warm und lebendig sein möchte – und bleiben kann –, ohne zu ver­bren­nen!

Foto: zVg.
ensuite, Sep­tem­ber 2009