Von Ruth Kofmel — Musik ist und bleibt die beste Ersatz-droge. Wobei ich der Meinung bin, das Wort Ersatz gehöre gestrichen. Musik ist eine Droge. Unter ihrem Einfluss tun die Menschen Dinge, die sie in nüchternem Zustand nie tun würden: Sie weinen, schreien, tanzen wie die Berserker, driften weg von der Realität, vergessen ihre Quälgeister, und sie warten zittrig auf ihren nächsten Fix von ihrem Lieblingsdrogenlieferanten – ihrer Band der momentanen Gunst. Musik macht die Menschen glücklich, befreit, zornig, überheblich, ungehemmter, und manchmal ist danach Leere, und es bleibt ein leicht depressiver Hangover. Vielleicht könnte ich sogar so weit gehen und verschiedene musikalische Produktionen verschiedenen Drogen zuordnen. In dem Sinne gehörte die neue CD von Brink Man Ship zu den bewusstseinserweiternden Drogen. Ich werfe die CD ein, drücke auf «Play», und da kommt ein tief dröhnender Subbass — der Sog setzt ein und nimmt mich mit auf den Trip.
Brink Man Ship sind schon seit vierzehn Jahren dabei, ihre Musik voranzutreiben, die Ingredienzien sorgfältig abzuwägen, zu mischen, ins richtige Verhältnis zu bringen. Auf «Instant Replay» ist ihnen nun eine äusserst wirkungsvolle Rezeptur gelungen – eine Mixtur, die neu, unverbraucht, kraftvoll und rauschhaft ist. Sie haben diese Rezeptur nicht etwa im Labor gefunden, nicht im Studio, wo sie tagelang über den Klängen gebrütet hätten. Die Musik auf
«Instant Replay» hat ihren Ursprung in den zwei Jahren, in denen die Band bei ihren Konzerten nur noch improvisiert hat. Sie waren irgendeinmal gelangweilt vom Spielen ihrer komponierten Stücke und befürchteten, dadurch auch ihr Publikum zu langweilen. Sie versuchten zuerst noch einzelne komponierte Parts stehen zu lassen und in den Konzerten immer mal wieder darauf zurückzukommen. Aber auch das war nicht genug der Freiheit. Also warfen sie alles Bestehende über Bord. Sie machten über längere Zeit das Experiment: was passiert, wenn man die Mischung hauptsächlich unwillkürlich entstehen lässt. So präparierte beispielsweise der Drummer vor jedem Konzert einen neuen Beat, den die anderen erst am Konzert zu hören bekamen und darauf zu reagieren hatten. Manchmal gelang das gut, manchmal nicht. Aber es habe einzelne Konzerte gegeben, da sei so etwas wie ein Rausch entstanden, erzählt Jan Galega Brönnimann; die Zuhörer seien eingetaucht und danach gut durchvibriert wieder an die Oberfläche gekommen. Genau diesen grossen Bogen wollte er auch auf dieser CD versuchen beizubehalten. Mit der Idee, nicht so sehr einzelne Stücke zu schreiben, und diese dann auf einer CD anzuordnen, sondern vielmehr ein Gesamtwerk zu schaffen, dass sich zwar aus einzelnen Stücken zusammensetzt, die aber in ihrer Abfolge, ihrem Zusammenhang so etwas wie eine Suite ergeben. Das ist ihm absolut gelungen – ich hatte noch selten beim Hören einer CD so sehr Lust darauf, die Musik genau so an einem Konzert zu hören. «Instant Replay» fühlt sich zwar nach einem Live-Konzert an – allerdings gepaart mit der Präzision des Studios.
Jan Galega Brönnimann ist der Kopf von Brink Man Ship. Er entwickelt vor allem die Ideen, und in diesem Fall setzte er den ersten Impuls und bündelte das Ganze am Schluss wieder zu einzelnen Stücken. «Instant Replay» ist eine Internet-basierte Kollektiv-Komposition. Jan Galega Brönnimann hat jeweils ein musikalisches Fragment aufgenommen und in die Runde geschickt, oder aber einen konkreten Wunsch an einen der Musiker geäussert: «Kannst du mir einen ganz schnellen Beat mit sehr dünnen Stäbchen spielen?», beispielsweise. Am Computer wurden dann die eingegangen Klangstücke zu einer Komposition zusammengesetzt. Danach ging es in den Übungsraum, und die digital gefertigten Stücke wurden wieder zurück auf die Instrumente geholt und schliesslich im Powerplay Studio eingespielt. Brink Man Ship ist eine Band, die die Elektronik ganz und gar in ihr Spiel integriert hat. Jeder Musiker holt aus seinem Instrument mit Hilfe technischer Geräte ein Mehr an Klangfarben, Rhythmusdichte und Tempo-über- oder ‑unterschreitungen heraus. Die Elektronik ermöglicht es den Musikern, die Grenzen des Mach- oder Spielbaren weiter nach aussen zu schieben, und Jan Galega Brönnimann sagt, dass er auch einfach möge, wie die elektronisch erzeugten Klänge tönen. Das alles hört sich mal nach psychedelischem Rock, mal nach Drum and Bass, mal nach Jazz, mal nach Rap an. So vielseitig und abwechslungsreich die Musik auf «Instant Replay» aber auch ist, behält sie doch ihren ganz eigenen Klang – unverkennbar Brinkmanship eben. Jan Galega Brönnimann hat ein Flair für schöne Melodien, was auch bedeutet, diese immer wieder in ihr Gegenteil zu verkehren – ins Schräge, Disharmonische, Gebrochene. Er hat auch ein Flair für Rhythmen, die nicht immer vom Drummer oder Computer kommen, sondern oft auch mit Hilfe der Klarinette erzeugt werden. Für «Instant Replay» wollten die vier Musiker einen Schritt in eine neue Richtung tun, eine CD aufnehmen, die sich deutlich von den vorherigen Veröffentlichungen abhebt. Diesen Schritt haben sie getan: Sie sind wuchtiger, radikaler und eigensinniger geworden. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich die vier nie zufrieden geben, mit den erspielten Erfolgen und gefundenen Sounds. Sie hätten nach jedem Gig Diskussionen darüber, was man noch besser machen könnte, was sie noch weiter bringen würde. Das sei manchmal zwar auch etwas nervig – es wäre ja auch mal schön, einfach zufrieden zu sein. Andererseits ist es auch eine Seltenheit eine vierzehnjährige Bandgeschichte zu haben, mit den selben Menschen über so lange Zeit Musik zu erfinden, und dabei nicht in einem besonders erfolgreichen Schema stecken zu bleiben. Das zeugt von Abenteuerlust und Leidenschaft.
Brink Man Ship: «Instant Replay» (Unit Records)
Foto: zVg.
ensuite, April 2011