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«Büchner legt einen immer wieder rein»

Von Sarah Stäh­li - Am 17. April wird am Bern­er Stadtthe­ater die Oper Leonce und Lena uraufge­führt. Ein Inter­view mit dem Kom­pon­is­ten Chris­t­ian Henk­ing.

Warum ger­ade Leonce und Lena?
Ja, das war eine lange Suche. Ich bekam vom OPUS Orch­ester den Auf­trag eine Oper zu schreiben und habe dann sich­er ein Jahr lang Texte gesucht. Zuerst wollte ich eigentlich einen Text schreiben lassen. Ich habe auch Kon­takt mit Autoren aufgenom­men, doch da bekam ich plöt­zlich Angst, dass mir der Text dann nicht gepasst hätte… Dann habe ich Leonce und Lena gefun­den und gewusst: das ist es. Ich habe das Stück übri­gens vorher nicht gekan­nt, eine Bil­dungslücke von mir. Das war 1999, dann begann ich zu schreiben und nach ca. zweiein­halb Jahren lag die End­fas­sung vor.

Eignet sich Büch­n­ers Text zur Ver­to­nung?
Sehr. Der Text ist sehr musikalisch, sehr sec und klar. Und die Dra­maturgie ist gut umset­zbar. Der Text ist auch sehr vielschichtig. Es gibt da eine erste Schicht, da wird ein­fach eine Geschichte erzählt, die nicht so inter­es­sant scheint, ein Märchen, oder eine Komödie, dann gibt es aber sehr viele psy­chol­o­gis­che Schicht­en, satirische, zynis­che und poli­tis­che, das ist ein gefun­denes Fressen!

Du hast das Libret­to sel­ber geschrieben, ist das eigentlich üblich?
Es gibt bei­des, häu­fig macht es jemand anderes. Ich wollte es sel­ber machen, ich kann nicht genau begrün­den warum, ich wollte den Text sel­ber zusam­men­schicht­en, entschei­den was ich wollte und was nicht. Diese Arbeit war sehr span­nend.

Was hat dich am Stück so fasziniert?
Büch­n­er schreibt ja, es sei ein Lust­spiel, für mich ist es ein ganz dun­kles Stück. Es geht um Langeweile, aber es ist viel mehr als Langeweile, für mich ist es eine Art Lebensekel, an dem Leonce lei­det. Eine faszinierende The­matik, wie man mit dieser Leere umge­ht. Die andere Grundthe­matik ist für mich die Hier­ar­chie. Wer wo in dieser Hofhier­ar­chie sitzt und gegen oben arschleckt oder gegen unten die Leute fer­tig macht. Dann gibt es die Under­dogs, wie den Schul­meis­ter und den Lan­drat, die die Bauern fer­tig machen und gegen oben schar­wen­zeln. Wie Büch­n­er diese Hier­ar­chie beschreibt, ist faszinierend. Dazu kommt die Psy­cholo­gie der betrof­fe­nen Men­schen; span­nend ist, wie das zusam­men­spielt mit diesen Automa­tis­men, mit dieser Leere, mit diesen Hofritualen, die unglaublich mor­bid sind. Die Fig­uren sind wahnsin­nig inter­es­sant beschrieben. z.B. König Peter, der ein debil­er Toll­patsch ist und trotz­dem Macht hat, eigentlich ein sehr gefährlich­er Men­sch. Auch Leonce ist nicht direkt fass­bar. Das Stück beschränkt sich nicht auf gut und böse, es ist nicht ein klares Stück. Man weiss auch nicht ob Büch­n­er es ernst meint, oder iro­nisch oder sarkastisch, diese Unklarheit ist natür­lich sehr inter­es­sant, auch im Bezug zur Musik. Büch­n­er legt einen immer wieder rein. Man kann das Stück ganz lock­er ver­ste­hen. Das Ende z.B. kann man als Hap­py End ver­ste­hen, aber für mich ist es eine Selb­stäuschung oder eine Illu­sion, eine Utopie, wenn man es so ver­ste­ht, wird das Stück plöt­zlich ganz dunkel. Diese Vielfalt, in der man das Stück ver­ste­hen kann, finde ich sehr span­nend.

Was für Erfahrun­gen hast du beim Kom­ponieren ein­er Oper gemacht, was war anders als bei deinen anderen Arbeit­en ?
Ich habe bere­its ein­mal eine ganz kurze Oper geschrieben, eine DreiminutenOp­er, aber im Prinzip ist dies meine erste Oper. Der grösste Unter­schied ist die Länge. Ich habe noch nie ein so langes Stück geschrieben. Da gibt es ganz neue Prob­leme: wie man diese zweiein­halb Stun­den überblick­en kann. Ob es funk­tion­iert, weiss ich erst wenn ich dann das Ganze gese­hen und gehört habe, da werde ich merken, ob es nicht plöt­zlich Brüche oder Län­gen drin hat!

Wie sieht ein Tag im Leben eines Kom­pon­is­tens aus?
Wie im Büro! Ich ste­he auf, set­ze mich zum Arbeit­en, ans Klavier, oder an den Schreibtisch, dann esse ich zu Mit­tag, mache mich wieder ans Kom­ponieren und mag dann irgend­wann nicht mehr. Das ganze ist sehr rit­uell, wie nach Stun­den­plan.

Gibt es Tage an denen dir gar nichts ein­fällt?
Würde ich ein­fach auf eine Inspi­ra­tion warten, müsste ich hun­dert Jahre warten. Ich fange ein­fach an, lasse den Motor warm laufen und dann kommt irgend­wann etwas, man muss immer dran bleiben, manch­mal fällt dann auch ganz viel weg, aber ein­fach gar nichts zu machen ist nicht gut.

Hast du Vor­bilder?
Das Wort Vor­bilder mag ich nicht, das klingt so nach nachah­men. Kom­pon­is­ten, die ich bewun­dere, gibt es zu viele, als dass ich sagen kön­nte, der und der. Natür­lich sind diese Ein­flüsse immer vorhan­den; dage­gen muss man manch­mal auch kämpfen. Es ist aber nicht so konkret, klar, man hat­te Unter­richt bei Kom­pon­is­ten, ken­nt die Stücke und der Ein­fluss der Lehrer ist präsent, aber man schält sich aus dem her­aus. Wenn man dann das Stück aus Dis­tanz betra­chtet, kön­nte man sich­er sagen, dieser oder jenen Fleck kön­nte man von dort… nicht her­leit­en, aber man sieht so einen Bezug. Es gibt keine Kun­st aus dem Nichts, das ist klar. Aber natür­lich will man einen eige­nen Stil vertreten.

War es schwierig, dein Werk an einen Regis­seur „abzugeben“ ?
In diesem Fall war es nicht so schwierig, da ich mich zuvor bere­its mehrmals mit dem Regis­seur getrof­fen habe. Da habe ich gemerkt, dass er das Stück genau gle­ich ver­ste­ht wie ich. Er macht jet­zt zwar Dinge anders als ich sie mir beim Schreiben vorgestellt habe, aber es stimmt trotz­dem noch, da die Grun­daus­sage stimmt. Ein Glücks­fall. Auch mit der Beset­zung bin ich sehr zufrieden.

Kön­nte deine Oper auch ein nicht opern­typ­is­ches Pub­likum ansprechen?
Der Text ist witzig, man kann lachen, er ist wirk­lich sehr sehr witzig neben all dem Dunkeln. Das habe ich ins Stück rein genom­men, diesen Humor. Ich hoffe, dass der Men­sch, der meine Musik hört, das Dun­kle wahrn­immt; das wäre gut, aber er muss es nicht merken, dann kann er immer­hin lachen. Vielle­icht kann man mit diesem „Trick“ eine grössere Palette von Leuten ansprechen. Der mod­erne Humor, die unglaublich mod­erne Sprache Büch­n­ers kön­nen auch ein junges Pub­likum ansprechen. Auch die Bühne kön­nte inter­es­sant wer­den. Eine Art Kinosaal mit einem Riesen­so­fa, die Sänger wer­den zum Teil auf der Bühne direkt gefilmt und gross auf die Lein­wand pro­jiziert. Es wird eine mod­erne Insze­nierung, wed­er Schic­ki — Mic­ki noch pathetisch.

Christian Henking

Geboren 1961, Dozent an der Hochschule der Kün­ste Bern, Kom­pon­ist, Diri­gent und Chor­leit­er

Leonce und Lena, 1836, Lustspiel von Georg Büchner

„Ich glaube, es gibt Men­schen, die sind unglück­lich, nur weil sie sind.“ Prinz Leonce, Sohn von König Peter, lei­det an der „Langeweile“ seines Lebens. Angeödet vom höfis­chen Treiben und auf der Flucht vor ein­er Pflichtheirat mit Prinzessin Lena, reist er mit seinem Fre­und Vale­rio nach Ital­ien. Unter­wegs tre­f­fen die bei­den in einem Wirtshaus ein Mäd­chen mit sein­er Gou­ver­nante, das eben­so melan­cholisch ist wie Leonce. Er ver­liebt sich in sie.

Bild: TOBS (The­ater Orch­ester Biel Solothurn)
ensuite, April 2004

Artikel online veröffentlicht: 15. Juni 2017