Von Roja Nikzad — Über den Dächern von Zürich, an einem der anerkannt schönsten Plätze der Stadt, mit einem gewaltigen Ausblick über die Lichter der urbanen Welt thront das Theater Rigiblick am Ende der Seilbahn.
Mit der in einer Schlangenlinie verlaufenden Busfahrt den Berg hinauf (die Seilbahn macht gerade Winterpause) kommt man Kurve um Kurve näher an die magische Welt des Theaters, und damit näher an die Erfüllung der Vorfreude. Heil oben angekommen, erwarten den Zuschauer bereits einladende Windlichter, die den Eingang des Theaters säumen. Beim Eintreten schlägt einem eine warme, freundliche Atmosphäre entgegen; die Frage kommt auf, warum man diesen Gang nicht öfters tätigt. Obwohl das Stück bereits am 1. Dezember 2010 Premiere gefeiert hat, ist das Foyer gerammelt voll. Da sind noch andere, die erwartungsvoll auf die folgende Vorstellung blicken.
Die Plätze eingenommen, bequem installiert, bemerkt man bereits die Damen, die mit Headset ausgerüstet an kleinen Tischchen sitzen und Anrufe entgegennehmen – das unspektakuläre Innenleben eines Auskunft Call Centers. Keine persönlichen Utensilien, keine Bilder an der Wand, sogar die Telefonistinnen heben sich in ihren gräulich-grünlichen Outfits kaum vom Schwarz der Bühne ab. Es ist nichts speziell Spannendes absehbar, was den Auskunftsfrauen in dieser Samstag Nacht widerfahren könnte. Das einzige, wenngleich traurige Highlight des Tages ist, dass Elisabeth Grossmann (Graziella Rossi) nach langjähriger Arbeit beim Call Center aus Gründen der Effizienz – sie wird viel zu persönlich mit den Anrufern, wickelt die Anfragen nicht produktiv genug ab – gefeuert worden ist, und an diesem Abend ihre letzte Schicht antritt.
Selma Frei (Laura Lienhard) und Barbara Weiss (Nina Hesse) sind zwar nicht froh über die Entlassung von Elisabeth, andererseits aber ist sie der wahre Profi und provoziert auch mal Neid unter den Telefonistinnen, da doch ein etwas stutenbissiger Wettbewerb herrscht. Wohl ist es nicht ganz richtig, die 58 jährige zu feuern; doch bietet dies auch neue Chancen zur Profilierung für die anderen.
Franz Hohler lässt die Trostlosigkeit des Auskunftslebens in seinem Text aber nicht auf sich beruhen. Bald wird diese mit gehöriger Ironie aufgepeppt. Die Anrufer melden sich mit den absurdesten Anfragen: Anrufe von Senilen, Fragen nach Sportresultaten und Nummern von Infostellen zu Becel Margarine oder vom lieben Gott höchst persönlich. Manchmal geduldiger, manchmal weniger, verbinden die Telefonistinnen mit den gewünschten Stellen. Nur Elisabeth beantwortet jeden Anruf mit einem freundlichen «ein Augenblicklein bitte». Bald wird der guten, gefeuerten Seele klar, dass sie einige Anrufer ein grösseres Bild zeichnen lassen. Tagesaktualität ist nämlich, dass ein kleiner Junge entführt wurde. Falls die Polizei eingeschaltet würde, drohte dem Kind der Tod.
Schnell entlarvt Elisabeth den kontinuierlich anrufenden Babysitter, der ein Kind mit Pseudokrupp-Anfällen nicht beruhigen kann, als Jans Entführer. Sie nimmt die Sache in ihre eigenen Hände und flechtet zufällige Anrufe zu einem Plan zur Rettung des Kindes zusammen.
Es gelingt ihr mit Hilfe von Frau Reutimann-Fuchs – Naturheilerin und zufällig kantonale Meisterin im Pistolenschiessen – und Louis – Besitzer eines Handyortungsgerätes – trotz Behinderung durch Selma, zusammen mit der Kripo den Fall zu lösen. Ihre letzte Arbeitsnacht wird zum Krimi, aus dem Elisabeth als Heldin und Besitzerin von 100’000 Franken Belohnung in die Arbeitslosigkeit entlassen wird.
Call Center entspricht eher einer Lesung mit szenischen Momenten als einem klassischen Theaterstück. Demensprechend knapp fällt auch die Inszenierung aus. Sehr reduziert inszeniert Klaus Henner Russius den Text von Franz Hohler. Nicht die Handlung steht im Vordergrund, sondern der Text, der sachte den Verlauf der Geschichte vorantreibt, gesäumt von vielen skurril witzigen Passagen, die als kleine abgeschlossene Zwischenhandlungen die Geschichte vervollständigen. Vielleicht fallen Inszenierung und Bühnengestaltung etwas gar knapp aus, wenig werden Elemente wie Licht und Ton kreativ eingesetzt. Viel hätte es nicht gebraucht, auch für die Schauspielerinnen grösseren spielerischen Freiraum zu schaffen. Die Handlung findet effektiv einzig über den telefonischen Kanal statt, weshalb auch der Auftritt des Kripobeamten (Jaap Achterberg) etwas konstruiert erscheint, und nicht so recht ins Konzept passen will.
Durch die unspektakuläre Inszenierung liegt der Fokus umso mehr auf den Leistungen der Schauspielerinnen. Graziella Rossi vermag mit ihrer Ausstrahlung dem Hin und Her zwischen alternder, «abgeschobener» Frau, und gleichzeitig dem jugendlich spritzigen Elan sehr zu überzeugen. Die Kombination aus Güte und Fatalismus (wenn man gefeuert ist, kann man auch gleich noch ein paar Grenzen überschreiten) stellt sie sehr glaubwürdig dar. Dies hat zur Folge, dass ihre beiden Co-Darstellerinnen, natürlich auch schlicht aufgrund der Rollenverteilung, etwas in den Hintergrund geraten. Trotzdem haben auch Laura Lienhard und Nina Hesse ihre schrägen Momente, in denen sie mit Witz überzeugen können.
Wenngleich nicht besonders ins Gewicht fallend, ist Call Center doch eine unterhaltsame, durchaus empfehlenswerte Produktion mit viel Sprachwitz, an einer Location, die einen Besuch allemal wert ist.
Foto: zVg.
ensuite, März 2011