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Catch Me If You Can: Claas Relotius und der Fall Harvey Weinstein

Von Dr. Reg­u­la Stämpfli — Dem Feuil­leton ist nichts aufge­fall­en. Dabei ist die Ähn­lichkeit verblüf­fend. Ronan Far­row hat das für die amerikanis­che Pres­se­land­schaft wichtig­ste Buch «Catch and Kill» über seine Recherchen zu Wein­stein, Kor­rup­tion und Medi­en­skan­dale geschrieben. Juan Moreno erk­lärt in «Tausend Zeilen Lüge» das «Sys­tem Relotius und den deutschen Jour­nal­is­mus». Zwei uner­lässliche, essen­zielle, medi­engewichtige Werke unser­er Gegen­wart und: Sie erzählen in vie­len Punk­ten die gle­iche Geschichte.

Doch dem Feuil­leton ist nichts aufge­fall­en. Oder gar den Polit­teilen der grossen Nachrichten­zeitschriften. Näm­lich die Tat­sache, wie erschreck­end ähn­lich die bei­den muti­gen Jour­nal­is­ten klin­gen, dies­seits und jen­seits des grossen Teichs. Ronan Far­row und Juan Moreno haben unter den widrig­sten, miss­gün­stig­sten und auch gefährlich­sten Umstän­den Sys­teme aufgedeckt, die hor­ren­den Macht­miss­brauch in den ober­sten Eta­gen der Macht ent­lar­ven. Als Ronan Far­row Har­vey Wein­steins sex­ueller Gewalt auf der Spur war, wurde er beschat­tet, ver­lor seinen geliebten Job bei NBC und wurde wieder und wieder mit dem Trau­ma sein­er Herkun­ft kon­fron­tiert. Als Juan Moreno in Sachen Claas Relotius recher­chierte, mit dem er einen gemein­samen Artikel geze­ich­net hat­te, wurde er von den «Spiegel»-Vorgesetzten als miss­gün­stiger Kol­lege, ja als Lügn­er dargestellt, und es fehlte nur ganz wenig, bis Juan Moreno nicht nur arbeit­s­los gewor­den wäre, son­dern auch nie mehr Aus­sicht darauf gehabt hätte, jemals wieder im Jour­nal­is­mus zu arbeit­en. Die Büch­er von Far­row und Moreno lesen sich wie Krim­is und lassen die Leserin fas­sungs­los zurück. Erstens, weil sich die Akteure im Macht­miss­brauch so unfass­bar ähn­lich sind, zweit­ens, weil selb­st die übel­sten Charak­tere dank beispiel­sweise White­wash­ing bei Wikipedia, «gold­en hand­shakes» und den immer noch funk­tion­ieren­den alten Seilschaften nicht wirk­lich für ihre medi­alen und realen Ver­brechen Ver­ant­wor­tung übernehmen müssen.

Bei bei­den, Far­row und Moreno, wur­den im Nachzug ihrer bren­nen­den Büch­er mit Schmierenkomö­di­en und per­sön­lichen Schmutzkam­pag­nen Dif­famierun­gen ver­sucht. NBCs Andrew Lack, Noah Oppen­heim und Matt Lauer starteten eine Medi­enkam­pagne gegen Ronan Far­row, die bis heute andauert. Die Punk­te der NBC-Het­zkam­pagne gegen Far­row ähneln den Vor­wür­fen, die in Deutsch­land auch «Die Zeit» gegen Juan Moreno vor­bringt. Da behauptet das Blatt tat­säch­lich, dass Moreno und Relotius mehr gemein­sam hät­ten als gedacht. Dies u. a. deshalb, weil Relotius sich über die man­gel­nde Wahrheit bei sein­er erfun­de­nen Schwest­er beklagt.

Sie haben richtig gele­sen. Claas Relotius wirft Juan Moreno vor, bei der Krankheit der Schwest­er von Claas Relotius gel­o­gen zu haben. Moreno habe wieder­holt, Relotius habe behauptet, seine Schwest­er habe Krebs. Von Krebs habe Relotius nie gesprochen, son­dern nur von Krankheit. Fakt ist: Claas Relotius hat gar keine Schwest­er. Doch das deutsche Feuil­leton nimmt den soge­nan­nten «Stre­it» auf. Ein «Stre­it», bei dem es sich um Lüge und Wahrheit han­delt. Und darum, welch­es Zitat über eine erfun­dene Schwest­er in einem Reporta­gen­buch über den jour­nal­is­tis­chen Jahrhun­dertlügn­er Relotius ver­wen­det wer­den darf.
Die Welt, vor allem die Medi­en­welt, ist defin­i­tiv aus den Fugen.

Far­row und Moreno wer­den seit ihren Reporta­gen ver­fol­gt. Sie sind schliesslich wirk­lich mächti­gen Leuten auf den Schlips getreten. Diese schla­gen zurück, indem sie die Wahrheit ver­drehen, um das Image der Wahrheitssuchen­den Far­row und Moreno nach­haltig zu beschmutzen. Dig­i­tal­en Kampfhun­den gle­ich, ziehen die miss­gün­sti­gen und macht­durchtränk­ten Kol­le­gen Far­row und Moreno durch den Medi­en­boule­vard mit der Absicht, die Best­seller­autoren anzuschwärzen. Nicht nur die Wein­stein-Affäre und der Relotius-Skan­dal ver­weisen auf gar erschreck­ende Zustände in den Medi­en-eta­gen der Macht respek­tive in den mächti­gen Zeitschriften und Fernsehkanälen, son­dern auch die fol­gen­den Nach-Sto­ries und Falschin­ter­pre­ta­tio­nen. So, als würde es bei sex­ueller Gewalt und riesiger Medi­en­ma­nip­u­la­tion um eine «Inter­pre­ta­tions­frage» han­deln. Statt Far­row und Moreno alle Preise zu erteilen, statt ihnen Pro­fes­soren­stellen für Reportage und Recherche anzu­bi­eten, geben sich einige Jour­nal­is­tenkol­le­gen dafür hin, diese Vor­bilder so schnell als möglich kleinzu­machen.
Es ist für einen Jour­nal­is­ten ja auch eine unglaubliche Ver­let­zung, wenn er real­isiert, dass die meis­ten Leute um ihn herum nicht nur schön­er, gescheit­er, informiert­er, son­dern in erster Lin­ie auch tausend­mal mutiger sind als er, der sich in einem Beruf ein­genis­tet hat, der alles Gute zer­stören und das Schlechte porträtieren will. Zudem eignen sich Ronan Far­row und Juan Moreno als Has­s­sub­jek­te für Kleingeis­ter.

Ronan Far­row ist ein Mil­lionärskind von Woody Allen und Mia Far­row, wobei man beto­nen muss, dass Ronan mit seinem Vater nie mehr in seinem Leben was zu tun haben will. Sehr ein­leuch­t­end übri­gens, wenn man «Catch and Kill» sorgfältig liest. Eben­so ein­leuch­t­end, wie die Filme von Woody Allen ein­fach nie mehr zu schauen, egal wie lustig sie in der Zeit gewe­sen sein mögen: Es gibt unzäh­lige andere gute Filme, die frau stattdessen schauen kann.
Ronan Far­row machte während sein­er Recherchen zu Har­vey Wein­stein die Erfahrung, dass Opfern sex­ueller Gewalt und Opfern gesellschaftlichen Macht­miss­brauchs nie zuge­hört wird. Wein­stein kon­nte jahrzehn­te­lang Frauen bedrän­gen, bedro­hen, ein­schüchtern, verge­walti­gen, ohne dass ihn auch nur ein einziger sein­er Kol­le­gen gestoppt hätte. Dies brachte Ronan Far­row auch zum Nach­denken über seine Schwest­er Dylan. Jahre­lang hat­te sie ver­sucht, Woody Allen den Miss­brauch von ihr als Kind nachzuweisen. Sie und ihre Mut­ter wur­den in der Öffentlichkeit lächer­lich gemacht und let­ztlich zugrunde gerichtet. Ronan Far­row hat jahre­lang ver­sucht, seine Schwest­er dazu zu überre­den, doch endlich zu schweigen. Erst nach sein­er gefährlichen und schmerzhaften Reportage über die mächti­gen Män­ner real­isierte Far­row, wie plau­si­bel seine Schwest­er klang. Und wie unendlich mächtig doch sein Vater in der Hol­ly­wood­szene immer noch ist. Woody Allen dreht einen Film nach dem anderen: Jed­er wird im Feuil­leton schon fast hym­nisch besprochen. Die Schaus­pielerin­nen reis­sen sich darum, ihren jun­gen Kör­p­er vor der Linse des Altregis­seurs in Pose zu set­zen. Noch dieses Jahr ist es Woody Allen gelun­gen, mit Net­flix einen geheimen Deal abzuschliessen. Far­rows Recherche und Reportage über die mächti­gen alten, weis­sen Män­ner, die Gewalt, vor allem sex­uelle Gewalt vor aller Augen ausübten, haben sein Leben schw­er gemacht. Doch dies war nichts im Ver­gle­ich zu den Äng­sten, die ein Juan Moreno aus­ge­s­tanden haben muss. Denn im Unter­schied zu Far­row, dessen finanzielle Äng­ste schlicht nicht exis­tent sind, war sich Moreno des Abgrun­des und des Absturzes wegen sein­er Reportage bewusst. Juan Moreno ist ein Ein­wan­derungskind, Sohn andalu­sis­ch­er Bauern, Vater von vier Kindern, freiberu­flich, beim «Spiegel» immer­hin seit eini­gen Jahren als fes­ter Reporter angestellt. Als Moreno das «Spiegel»-System von Claas Relotius aufzudeck­en begann, standen ihm alle wichti­gen Män­ner und Elitesys­teme im Weg. Relotius ist ein Meis­ter im Lügen, Ver­schleiern, Dif­famieren, Verdeck­en, Hin­terge­hen, Erfind­en, Fan­tasieren, Plau­si­bil­isieren. Die Dreistigkeit, mit der Relotius es geschafft hat, alle Kol­le­gen beim «Spiegel» und vor allem natür­lich die Vorge­set­zten so gegen Juan Moreno aufzubrin­gen, dass diese Moreno nicht ein­mal glaubten, als er ihnen einen extra in den USA ange­fer­tigten Videobe­weis in die Redak­tion brachte, ist unfass­bar. Ähn­lich mon­strös wie die dama­li­gen «Spiegel»-Chefs, die wohl noch heute eher Relotius glauben möcht­en als dem lästi­gen Juan Moreno recht geben. Relotius’ E‑Mails der Recht­fer­ti­gun­gen, als einige sein­er Geschicht­en hauchdünn vor dem Auf­fliegen waren, sind schlicht genial. In klas­sis­ch­er Whataboutism-Manier, auf eng beschriebe­nen Seit­en, mit Tausenden von Worthülsen gelingt es Relotius, die Wahrheit der­massen zu erstick­en, dass man am Schluss der Lek­türe über­haupt nicht mehr weiss, was nun eigentlich der Vor­wurf an Relotius gewe­sen war.

Die Büch­er Ronan Far­rows und Juan Morenos sind span­nende Real­i­ty-Krim­is: Skan­dale, die die west­lichen Demokra­tien bis aufs Mark erschüt­tern, weil die grossen The­men analysiert wer­den. Was tun, wenn ein Täter die Macht und die Mit­tel hat, die Opfer zu beschat­ten, zu dif­famieren und bis an den Rand der psy­cho­tis­chen Verzwei­flung zu brin­gen? Wein­steins Kom­plizen haben all dies getan und noch mehr. Relotius hat mit unendlich genialen Schachzü­gen Juan Moreno um Haares­bre­ite schachmatt geset­zt. Auch sein jüng­ster Coup, mit grossem Medi­en­brim­bo­ri­um zu behaupten, Moreno habe fälschlicher­weise 40 Medi­en­preise erwäh­nt statt nur 19, ist unglaublich frech. Selb­st wenn es nur neun Preise wären, ändert dies nichts an der Tat­sache, dass Juan Moreno beim «Spiegel» ein gigan­tis­ches Lügen­sys­tem aufgedeckt hat. Ein Lügenge­bäude, das in der deutschen Medi­engeschichte hof­fentlich in der Form nir­gends und niemals mehr vorkommt. Christof Siemes redet in der «Zeit» sträflicher­weise sog­ar vom «Mor­bus Relotius» und wirft Juan Moreno vor, dage­gen auch nicht gefeit zu sein. Es ist zu hof­fen, dass Juan Moreno respek­tive der Rowohlt-Ver­lag «Die Zeit» verk­lagt und auch eine zivil­rechtliche Klage anstrebt: Denn dreis­ter ist eine Imagebeschädi­gung und Dif­famierungskam­pagne gegen einen Kol­le­gen noch sel­ten veröf­fentlicht wor­den.

Hier ein paar Auss­chnitte aus den zwei Büch­ern, die allen Medi­en- und Krim­i­in­ter­essierten wärm­stens emp­fohlen wer­den. Ronan Far­rows «Catch and Kill» ist im Orig­i­nal zitiert, da die deutsche Über­set­zung «Durch­bruch» etwas prob­lema­tisch klingt.

«Ich sprach am Anfang des Buch­es von Relotius als Solok­let­ter­er, von einem Men­schen, der ungesichert eine Steil­wand bezwin­gen will und das Gefühl der Panik, das andere läh­men würde, in ein Leis­tungselix­i­er ver­wan­delt hat­te. Solok­let­ter­er Relotius hat­te an diesem Mon­tag­mor­gen mit dieser Mail an Matthias Gey­er (Leitung Gesellschaft ‹Spiegel›) gezeigt, wie gut er wirk­lich war. Diese Seit­en waren bril­lant. Selb­st der aufmerk­sam­ste Leser kon­nte nur schw­er die winzi­gen Unstim­migkeit­en bemerken, die seinen Brief als gros-sen Lügen­berg ent­lar­ven. Das aller­meiste ist erfun­den. Ich war nie in irgendwelchen E‑Mails cc geset­zt. Es gab keinen Fotografen, der ihm sagte, dass die NYT sich wom­öglich ver­tan hat­te. Und Tarn­na­men sind auch nicht üblich in amerikanis­chen Bürg­er­wehren, denn ‹die Feinde› sind in der Regel unbe­waffnete Flüchtlinge beim ille­galen Gren­züber­tritt, darunter viele Frauen und Kinder. (…) Meine Fra­gen wur­den von Relotius nicht ein­fach nur beant­wortet. Sie wur­den, nach und nach, atom­isiert, gewis­ser­massen crescen­do, erst mit dem Flo­rett, dann mit dem Schw­ert, schliesslich mit der Abriss­birne.» (S. 189)

Tex­tauss­chnitt aus Juan Moreno, Tausend Zeilen Lüge. Das Sys­tem Relotius und der deutsche Jour­nal­is­mus, Rowohlt Berlin Ver­lag 2019.
«Since the estab­lish­ment of the first stu­dios, few movie exec­u­tives had been as dom­i­nant, or as dom­i­neer­ing, as the one to whom McGowan was refer­ring. Har­vey Wein­stein cofound­ed the pro­duc­tion-and-dis­tri­b­u­tion com­pa­nies Mira­max and the Wein­stein Com­pa­ny, help­ing to rein­vent the mod­el for inde­pen­dent films with movies like ‹Sex, Lies, and Video­tape›; ‹Pulp Fic­tion›; and ‹Shake­speare in Love›. (…) Meryl Streep had once jok­ing­ly referred to Wein­stein as God.» (S.9)

«As Wein­stein pre­pared for the crim­i­nal tri­al, a small item about him ran in ‹Page Six›. (…) How­ev­er far he had fall­en, there was Har­vey Wein­stein, with his mer­ce­nar­ies, plot­ting, plan­ning, and brac­ing for fights to come. For Wein­stein and oth­ers like him, the army of spies was alive and well.» (S. 357)

Artikel online veröffentlicht: 27. Dezember 2019

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