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Cecilia Bartoli und Marc Storace an einem Abend

Von Hein­rich Aerni — Als am 1. Dezem­ber 2009 Cecil­ia Bar­toli mit ihrem neuen Pro­gramm in der Zürcher Ton­halle auf­trat, war der Saal samt Durch­gang zum Kleinen Saal bis auf den let­zten Platz gefüllt. Die pas­sion­ierte Hör­erschaft war offen­sichtlich einzig wegen Bar­toli gekom­men und hat­te zu einem grossen Teil ihre neue CD «Sac­ri­fi­ci­um» bere­its im Vor­feld dünn und durch­sichtig gehört. Wie im Pop-Bere­ich war die Plat­te zwei Monate zuvor auf den Markt gebracht wor­den, auf dem Umschlag­bild eine Fotomon­tage mit Bar­to­lis Kopf auf einem männlichen, im Schritt ein­ban­dagierten Mar­mor­leib, von der weisslich-mar­mor­nen Farb- und von der Namensge­bung ganz in der Nähe der ECM-Pro­duk­tio­nen. Und mit dieser CD wird jet­zt getourt. Hat­ten darauf noch Il Gia­rdi­no Armon­i­co begleit­et, die in Fachkreisen zu den Besten ihres Fachs zählen, so spielte in Zürich La Scin­til­la, die Darm­sait­en­split­ter­gruppe des Opern­hau­sor­ch­esters.

Beim Pro­gramm han­delt sich um eine Auswahl von Arien aus dem Opera Seria-Reper­toire, das in der ersten Hälfte des 18. Jahrhun­derts in Ital­ien für Kas­trat­en kom­poniert wor­den war und von ihnen gepflegt wurde. Die Werke stam­men weit­ge­hend aus dem Zeitraum zwis­chen 1725 und 1735, von Kom­pon­is­ten, deren Namen heute nur noch weni­gen Fach­leuten geläu­fig sind, etwa Nico­la Por­po­ra, Leonar­do Leo oder Anto­nio Cal­dara. Die Idee, zehn Jahre aus der Kom­po­si­tion­s­geschichte her­auszu-schnei­den, scheint in ihrer Kon­se­quenz einem musik­wis­senschaftlichen Sem­i­nar entsprun­gen. Doch genau vom anderen Ende der Fah­nen­stange ist sie aus­ge­gan­gen, vom Super­star des Bel­can­to per­sön­lich. Da muss von einem Glücks­fall gesprochen wer­den, dass eine Sän­gerin aus der ersten Liga sich ausklinkt aus dem hal­ben Dutzend an Opern­pro­duk­tio­nen pro Sai­son, um sich eines Reper­toires anzunehmen, das so gut wie nie aufge­führt wird, wed­er in spezial­isierten Ensem­bles noch an der Periph­erie der Opern­welt. Dass die Auswahl der Stücke auf­grund der Fokussierung auf Kas­trat­en zus­tande kam, tut der Sache keinen Abbruch, im Gegen­teil, die Fasz­i­na­tion der «Engelsstim­men», die nur noch in der Phan­tasie existieren, ist unge­brochen, geschweige denn die Fasz­i­na­tion des boule­vardesken Schaud­erns, das damit ver­bun­den ist.

Wo ist also der Hak­en? Nir­gends, muss man sagen, denn die Sache ist musikalisch, künst-lerisch und wis­senschaftlich eine gute, vielle­icht zuweilen zuviel des Guten. Die Pro­gramme sind vollgestopft mit drama­tis­chen Seria-Arien und ihren End­los-Koloraturen, die den Kas­trat­en damals erst ihre Exis­tenzberech­ti­gung gaben, angere­ichert zu einem kleineren Teil mit den lar­moy­an­ten Num­mern, wom­it die Bar­toli wahrhaftig ganze mod­erne Konz­ert­säle zu Trä­nen zu rühren ver­mag. Nur macht sie das während dreier Stun­den, ein kün­st­lerisch­er Höhep­unkt jagt den anderen. Das ist etwa so, wür­den unsere Fre­unde von der Bern­er Aus­gabe sagen, wie wenn man nacheinan­der zwölf Teller voll «Merängge mit Nidle» essen müsste. Man lechzt förm­lich nach den spär­lich eingestreuten Instru­men­tal­num­mern und ent­deckt dabei ganz neben­bei neu die Fasz­i­na­tion des Instru­men­tal­en. Dazu kommt Bar­to­lis Sendungs­be­wusst­sein, das in ihren Inter­views immer wieder zum Aus­druck kommt und sich auch beim Betreten des Podi­ums man­i­festiert, schon bevor sie zum ersten Ton anset­zt: Musik als Heils­botschaft, als Trägerin des Wahren und Guten in die Welt hin­auszu­tra­gen. Aber es scheint zu funk­tion­ieren, und das ist gut so.

Am sel­ben Abend trat im «Mas­cotte» der mal­te­sis­che Hard Rock-Sänger Marc Storace auf, der Sänger der leg­endären Schweiz­er Band Krokus, hier allerd­ings mit Tea, ein­er Band aus den Siebzigern. Im anschliessenden «Karaoke from Hell», ein­er Karaoke-Ver­anstal­tung mit ein­er Live-Band, die ein Reper­toire von etwa 100 Songs aus dreis­sig Jahren harten Rocks pflegt, gab er dann noch die AC/DC-Num­mer «Whole Lot­ta Rosie» zum besten. Entspan­nt geal­tert, die Jeans irgend­wo am Bauchn­abel wie vor dreis­sig Jahren, und ver­glichen mit Bar­to­lis äusser­er Form klar auf Rang zwei, war doch etwas da, das man bei Bar­toli so schmer­zlich ver­mis­ste. Da war ein Zug in sein­er Stimme, der ans Inner­ste ging, eine Verbindlichkeit, die den Augen­blick abso­lut stim­mig erscheinen liess.

Die Bei­den nun auf kün­st­lerisch­er Ebene nebeneinan­derzustellen, würde bedeuten, Äpfel mit Bir­nen zu ver­gle­ichen. Zu ver­schieden ist ihr Stil­bere­ich, zu ver­schieden auch ihr Pub­likum. Auf der Ebene des gesun­den Men­schen­ver­standes muss man aber Storace seine abgek­lärte Hal­tung, seine Ver­ankerung im Hier und Jet­zt zugute hal­ten, während Bar­to­lis blauäugigem Eifer eine Kindlichkeit innewohnt, die regelmäs­sig zum Fremd­schä­men Anlass gibt. Es ist eine Frage der Authen­ti-zität und let­ztlich auch eine poli­tis­che. Bar­toli singt ein Reper­toire, das mit der herrschen­den Schicht ver­bun­den war, im Konz­ert­saal, der eben­falls der Elite zugedacht ist. Das ist nichts Neues. Aber ihr unre­flek­tiert­er Umgang mit diesem Sachver­halt hin­ter­lässt eine gefährliche Leer­stelle, die sich von Ver­anstal­tern und Pub­likum instru­men­tal­isieren lässt. Auch Storace bringt seinen Anti-Estab­lish­ment-Song unge­brochen, doch scheint er zu wis­sen, was er tut und wo er zuhause ist. Und das macht ihn authen­tisch.

Foto: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2010

Artikel online veröffentlicht: 12. Oktober 2018