Von Walter Rohrbach — Sein Name steht für Qualität und Kontinuität. Seit nunmehr 20 Jahren kennt man ihn als Karikaturisten (korrekt: politischer Cartoonist) für verschiedenen Printmedien. Aktuell für «Le Temps», «NZZ am Sonntag» und «International Herald Tribune». Seit längerem hat er eine weitere Spielart entdeckt: die Comic Reportage. Sie lesen ein Interview mit dem welschschweizerischenweltenbürger Patrick Chappatte.
Ich kenne sie von meinem Grossvater. In dem Satiremagazin, das allwöchentlich auf seinem holzigen rauen Stubentisch lag, strahlten und grinsten überzeichnete Personen und Geschehnisse um die Wette. Bis heute kann ich mich erinnern an diese herrlichen Übertreibungen. Diese überdimensionierten Köpfe und Augenbrauen. Diesen Bildwitz. Diese Gemein- und Treffsicherheiten. Mittlerweile hat das Satiremagazin einiges an Glanz und Popularität verloren, die überzeichneten Cartoons, die spitzfindig die Geschehnisse karikieren, glücklicherweise nicht. Im Gegenteil. Politische Cartoons sind bis heute lebhaft geblieben und der Grund meiner Reise an einem halbtristen Wochentag in Richtung République de Genève «änet em Röschtigrabe». In einem altehrwürdigen, uni-nahen Gebäude (die Strasse wollen wir nicht nennen) treffe ich ihn: Patrick Chappatte, politischer Cartoonist und Comic Reporter. Er sieht sich selbst als Genfer. Man kann ihn aber auch als Schweizlibanesen (Vater aus dem Jura, Mutter aus dem Libanon) bezeichnen. Dunkles volles Haar, glattrasiertes Gesicht mit feinen Zügen, mittelgrosse Statur sind die Kennwerte seines Äusseren. Höflich und unprätentiös öffnet mir Patrick die Türe zu seinem Atelier und offeriert mir erst mal einen Kaffee in der kleinen, sympathischen, zum Atelier gehörigen Küche. Hier kommen ihm auch die besten Ideen, meint er mit einem schalkhaftem Lächeln und fragt, ob wir das Interview auf Englisch machen können. Natürlich, denn mein Französisch bewegt sich leider auf dem Niveau eines SVP-Lokalpolitikers der Region Hinterfultigen, und Patrick ist es wichtig, präzise und unmissverständliche Antworten geben zu können. Daran erkennt man den Profi Chappatte, der, ähnlich seiner veröffentlichten politischen Cartoons, sich seiner Botschaft sicher sein will. Sicher ist ebenso sein Stil, mit dem er es schafft, die Sachverhalte pointiert und witzig auf den Punkt zu bringen. Gekonnt arbeitet er die Eigenheiten und die Hauptfakten der Aktualität heraus, um sie überspitzt ins Bild zu setzen. Angefangen als 21ig jähriger Jungspund und Kind zweier Nationalitäten, denkt Chappatte schnell global – ohne der Schweiz den Rücken zu kehren. Auch in seinen Zeichnungen. Mit spitzer Feder skizziert er punktgenau Welt-und Schweizbewegendes aufs weisse Blatt. Weiss, allerdings, bleibt das Blatt nie. Denn Ideen hat er mehr als genug. Ein wichtiger Teil seiner Arbeit ist die der Eliminierung. Dies mit offensichtlichem Erfolg. Im Mai 2012 erhält der zeichnende Genfer als erster Nichtamerikaner den prestigeträchtigen Thomas Nast Award, die US-Auszeichnung für Karikaturisten. Auch für seine Nebentätigkeit des Comic Reporters hat er diese erhalten. Seit 15 Jahren reist Chappatte zu verschiedenen Brennpunkten der Welt um, wie er betont, «die Humanität hinter der Aktualität» darzustellen. So entführt uns Chappatte in seinen comicähnlichen Reportagen mit zu den Slums in Nairobi, zu den Aufständen in Tunesien, oder dokumentiert seine Eindrücke im Gaza-Streifen nach dem Krieg.
Patrick, was bist du eigentlich in erster Linie? Karikaturist? Reporter? Journalist? Weltverbesserer?
(Lacht.) Nun Weltverbesserer ist nicht wirklich ein Beruf. Aber ich bin einiges von dem was du eben erwähnt hast. Auf Deutsch würde man wohl sagen: Karikaturist. Das sagen wir im Französischen auch: «caricaturiste». Wir haben ein noch präziseres Wort: «dessinateur de presse», den Pressezeichner. Man benutzt aber eher den Begriff des Karikaturisten. Unter den Leuten, die Cartoons für die Medien zeichnen, gibt es diverse Unterkategorien: Beispielsweise gibt es den Illustrator, der aber keine politischen Kommentare abgibt. Die Kunst der Karikatur hingegen ist jene des übertriebenen Zeichenstils und der Überspitzung. Da gibt es einige sehr gute deutsche und österreichische Zeichner. Ich dagegen bin nicht so gut im karikierten Zeichnen von Porträts. Meine Tätigkeit ist die des politischen Cartoonisten. Ähnlich einem Kolumnisten beobachte ich die Welt und tue meine Meinung kund. Ich übersetze die Geschehnisse aus meiner Sichtweise in Cartoons. Schliesslich bin ich neben dieser Tätigkeit seit 15 Jahren auch ein Comic Reporter. Dies ist mein Nebenjob, könnte man sagen. Allerdings gibt es für diesen Beruf keinen deutschen Ausdruck. Ebenso auf Englisch und Französisch ist der Begriff problematisch, da es keine einheitliche Begriffsverwendung gibt: «Comic journalism», «graphic journalism» und «cartoon reporting» werden häufig dafür verwendet. Vielleicht gelingt es ja dir, für das, was ich mache, einen optimalen deutschen Begriff zu finden.
Welche Frage wird dir am häufigsten gestellt und welche Frage nervt dich am meisten im Zusammenhang mit deiner Tätigkeit?
Muss ich diese jetzt nennen und dann beantworten? Was denkst denn du sind die am meisten gestellten Fragen an mich?
Was ist ein guter Cartoon? – wird sicher häufig gefragt. Oder: Welches ist deine Lieblingsperson, die du gerne zeichnest? Ebenso wird sicherlich häufig gefragt, ob viele deiner Cartoons abgelehnt werden.
Ja, das stimmt. Sehr gut. Deshalb wirst du diese Fragen sicher nicht stellen und wir können zu den nächsten, relevanteren Fragen gehen. Das wichtige bei meinen Cartoons ist nicht, ob Personen schwierig zu zeichnen sind oder wie sie aussehen. Dies ist nicht der Inhalt und der Kern meiner Tätigkeit. Vielmehr geht es darum, welche Aussage ich machen will und was der Hintergrund des Cartoons ist. Es geht um den Kommentar und den Witz, den ich konstruiere. Beim editorischen Zeichnen will man einen Punkt machen. Schlussendlich, wie ich bereits erwähnt habe, bin ich kein guter Karikaturist. Ich habe einige Freunde, die besser darin sind, und die Eigenheiten von Personen präziser ausarbeiten und darstellen können als ich. Ich versuche, die Personen in meinen Cartoons erkennbar zu gestalten. Ich übertrage sie auf meinen Stil und in meine Welt. Dies ist aber nur ein Detail meiner Arbeit. Wichtiger ist die Perspektive und die politische Rolle, die ich den Personen in meinen Bildern gebe.
Es ist eine sehr herausfordernde Tätigkeit die du ausführst, die viele Fähigkeiten voraussetzt. Was treibt dich an, dich diesen Herausforderungen jede Woche erneut zu stellen?
Richtig, es braucht einen Mix aus verschiedenen Fähigkeiten (die ich hoffentlich habe) und Interessen. Zudem ist ebenso eine bestimmte Art von Humor notwendig. Der Grund, wieso ich diesen Beruf ausübe, ist einzig: Ich tue es für mich. Es ist die Gelegenheit, das Weltgeschehen zu verarbeiten, die grossen und kleinen Events darzustellen und zu kommentieren. Die Bandbreite ist enorm: Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kunst. Ich kann die Aktualitäten aufnehmen und habe die Chance, diese in meinen Cartoons zu verarbeiten, und habe die Möglichkeit, meine Gefühle in ein Bild zu übersetzen. So tue ich dies alles in erster Linie für mich und hoffe, dass der Leser und die Leserin die gleiche Zufriedenheit erfahren kann wie ich.
Demzufolge musst du eine sehr interessierte Person sein – insbesondere interessierst du dich sehr für die Menschen und ihre Schicksale?
Ja. Und das ist der Unterschied zwischen einem Journalisten und einem Künstler. Ich sehe mich als Journalisten! Nicht als Künstler, der seine eigene Welt hat. Ich bin in der Welt! Beispielsweise fokussieren die meisten Comic-Autoren sehr stark nach innen, während ich meinen Blick nach aussen richte.
Es sind zwei verschiedene Gebiete in denen du tätig bist: Einerseits die Arbeit als politischer Cartoonist, und andererseits bist du als Comic Reporter in verschiedenen Regionen unterwegs. Dabei hast du viele Schicksale und Einblicke erhalten. Welches hat dich bis heute am meisten berührt?
Man muss die beiden Sachen unterscheiden. Es sind zwei verschiedene Gebiete, zwei verschiedene Herangehensweisen und zwei verschiedene Stile. Bis heute habe ich über zwanzig verschiedene Comic Reportagen gemacht. Die meisten waren sehr traurig. Als Comic Reporter ist man den Menschen enorm nahe und nicht «lediglich» klinischer Beobachter der Geschehnisse. Diese Nähe und Direktheit ist mein Antrieb in die unterschiedlichen Regionen zu gehen und vor Ort zu arbeiten. Daraus ergibt sich eine andere Arbeitsweise und Philosophie als bei der Tätigkeit als politischer Cartoonist. Dieser arbeitet oft mit schwarz-weiss Gegensätzen. Als Comic Reporter geht das nicht. Meine letzte Reportage beispielsweise machte ich in Guatemala. Die vorherrschende Strassengewalt ist ähnlich gross wie in Kriegsgebieten, und ich porträtierte das Leben in den «Gangs». Die Schicksale, die mich am meisten berühren, sind jene, die gerade am aktuellsten sind. Ich kam sehr bewegt aus Guatemala zurück. Ich sah dort junge Menschen mit grossen Hoffnungen und Wünschen, in einer sehr dunklen Umgebung mit wenig positiven Perspektiven und Chancen. Ebenso eindrücklich war meine Reportage in Gaza, welche sehr Nahe am Krieg war. Kinder zu erleben, die sterbend in den Spitälern liegen – solche Situationen gehen schon sehr nah.
Denkst du, dass du etwas bewirken kannst mit deinen politischen Cartoons oder Reportagen? Möchtest du das überhaupt oder ist das für dich gar nicht von Relevanz?
Als politischer Cartoonist würde ich sagen, dass es nicht möglich ist, mit politischen Cartoons die Meinung von irgendjemandem zu ändern.
Aber man kann sie doch durchaus als Instrument benutzen!
Es ist ein Werkzeug der Kommunikation. Es kann eine bestimmte Mitteilung in eine einfache Form umwandeln und darstellen. Das beste Kompliment, das ich als politischer Cartoonist gekriegt habe, war, als mir jemand gesagt hat, dass er aufgrund meines Cartoons einen bestimmten Sachverhalt besser und klarer verstanden hat. Demzufolge glaube ich nicht, dass politische Cartoons die Welt verändern können. Doch ich gehe schon von einem Effekt auf die Leser aus. Ich kriege ja auch Feedbacks von ihnen. Die Rolle von politischen Cartoons ist aber eine andere. Ich bringe die Rezipienten zum Lachen. Im Gegensatz zu meinen Reportagen, wo ich die Leute manchmal zum Weinen bringe. Ich will aber die Macht (die ich mehr oder weniger habe) nicht ausnutzen. Schlussendlich präsentiere ich Themen, die mich interessieren, und die so wahrscheinlich nicht in den Medien thematisiert würden.
Du bist ein guter Beobachter und aktiver Verfolger der Berichterstattung. Es ist oftmals erstaunlich, welche Themen thematisiert und welche ausgeblendet werden. Bist du manchmal frustriert über die Handlungslogik und die Themensetzung der Medien?
Ja. Der Wechsel der Themen und die Aufmerksamkeit der Medien ist schon erstaunlich. Es ist eine Art Entertainmentindustrie in der fast alle Medien dieselben Geschichten zur gleichen Zeit erzählen. Die Comicreportage ist ein Weg für mich, dem zu entgehen. Hier kann ich auf bestimmte Personen und Themen ausserhalb der Medienlogik fokussieren. Wie beispielsweise in Guatemala oder in den Slums in Nairobi. Es ist auch ein guter Wechsel für mich.
Bist du manchmal müde und angewidert von den Nachrichten?
Nein! Wenn ich müde davon würde, müsste ich mir eine andere Beschäftigung suchen. Ich finde es immer noch faszinierend. Jede Woche kommt wieder etwas Neues. Schau doch nur was in der Eurozone passiert. Wir wissen nicht wohin wir hinsteuern. Die Welt hat sich verändert. Es wird spannend und beängstigend werden. Ich bin sicher wir werden politische Cartoons brauchen, die daraus einem Sinn zu machen versuchen.
Für die nächste Frage muss ich mich schon fast entschuldigen. Trotzdem muss ich das Thema Mohammed ansprechen. Es ist ein heikler Bereich für die Karikaturisten, der enorme Auswirkungen auf dich und deine Berufskollegen gehabt hat, und der wieder sehr aktuell ist. Wie ist dein Standpunkt zwischen den Extremen: Alles darf dargestellt und karikiert werden, oder gibt es klare Grenzen?
Ja, unser Freund Mohammed. Natürlich habe ich meine Regeln, woran ich mich halte. Jedoch will ich nicht für die eine oder die andere Seite kämpfen. Einige der Leute, die für eine absolute Darstellungsfreiheit einstehen, sind «Islamophobe», die das Thema lediglich ausnutzen, um den Islam zu attackieren. Auf der anderen Seite sind «mittelalterliche» Fundamentalisten, die das Thema instrumentalisieren. Ich will hier nicht Geisel eines Lagers sein, sondern lediglich so frei sein, Mohammed nicht zeichnen zu müssen.
Aber hättest du die enormen Ausschreitungen 2005 nach der Veröffentlichung der Karikaturen mit einigen Toten und gewalttätigen Auseinandersetzungen erwartet?
Nein, natürlich nicht. Niemand hätte das erwartet. Eindeutig hat dies die Welt für uns Zeichner verändert. Es war der 9/11 der Cartoonisten. Für meine politischen Cartoons hat sich aber nichts verändert. Ich fahre weiter wie bisher und thematisiere Inhalte, die mich interessieren und die ich als wichtig erachte. Der politische Islam ist ein wichtiges Thema, Mohammed zu zeichnen dagegen nicht. Allerdings hat dieses Ereignis auf meine Tätigkeit als Comic Reporter sehr grosse Auswirkungen gehabt. Die Welt ist viel gefährlicher geworden für Cartoonzeichner als vor diesem Vorfall. Wenn ich in ein Land der «Hamas» gehe, ziehe ich es vor, wenn diese nichts von meinem Beruf als Cartoonist wissen. Beispielseise konnte ich nicht nach Kandahar in Afghanistan reisen, weil es einfach zu gefährlich für mich war.
Musst du aufgrund der neuen Medien und der globalen Aufmerksamkeit, die man dadurch erreichen kann, stärker aufpassen, was du so von dir gibst?
Das ist nun mal ein Faktum dieser Welt in der wir leben. Alles, was du in deiner lokalen Zeitung machst, könnte global werden. Ich hatte eine einzige grosse Gelegenheit in meinem Leben, als wirklich clever zu erscheinen. 2005 (vor der Veröffentlichung der Mohammed Karikaturen) wurde ich in einem Interview gefragt, welches aus meiner Sichtweise das Hauptthema sein wird, welches die Welt beschäftigen wird. Wow. Was für eine Frage. Meine Antwort war ungefähr folgende: Einerseits leben wir immer mehr in unseren eigenen Kapellen, andererseits sind wir stark vernetzt. Die Kollision dieser zwei Phänomene wird die Welt beschäftigen. Leider wurde diese Aussage im Interview nicht veröffentlicht. Dies war meine einzige Chance, als Visionär zu gelten. Shit.
Foto: zVg.
ensuite, November 2012