Von Karl Schüpbach — In ihren wohl durchdachten Überlegungen spricht Frau Eichenberger von einer vertieften, von gegenseitigem Respekt getragenen Zusammenarbeit zwischen dem Stadttheater Bern und dem Berner Symphonieorchester, sowie von persönlichen künstlerischen Perspektiven.
Als Mitglied des Berner Symphonieorchesters (BSO) hat meine Frau an der Premiere der Bizet-Oper «La Jolie Fille» mitgewirkt (Samstag, 8. Mai). Sie hat mich darüber informiert, dass Sie und Robin Adams mit engagierten Voten das Publikum eingeladen haben, dem Stadttheater Bern (STB) die Treue zu halten. Wie kam es zu dieser schönen und wichtigen Geste, die – meiner Meinung nach – genau zum richtigen Zeitpunkt erfolgte, weil sie allen den negativen Schlagzeilen den Rücken zuwendet und einen Neubeginn signalisiert?
Claude Eichenberger: In den letzten Wochen waren die Pressenachrichten über das Stadttheater Bern vor allem von strukturellen und personellen Themen geprägt. Es ist eine Tatsache, dass wir alle vor, hinter und unter der Bühne Abend für Abend Bestleistungen erbringen möchten, damit unser Publikum erfüllt nach Hause geht und ein Theaterbesuch möglichst lange nachhallt. Das ist unser primäres Anliegen. Wir wollten uns mit unserer kurzen Rede ganz einfach bei unserem Publikum bedanken, dass es uns Künstlern bis jetzt die Treue gehalten und die Unterstützung gegeben hat, die wir so dringend brauchen.
Bizets «La Jolie Fille de Perth», welche in konzertanter Form stattgefunden und so die MusikerInnen des BSO und die SolistInnen des Stadttheaters auf ein und derselben Bühne vereint hat, war der ideale Anlass, uns auch als eine Art neues grosses Ganzes zu zeigen, das wir ja ab Sommer 2012 auch sein sollen und wollen. Es ist jetzt besonders wichtig, eine Art Wir-Gefühl zu entwickeln. So ein schönes Projekt unter ebenbürtigen Partnern spendet sicher neuen Schwung und Identifikation, für uns auf der Bühne wie auch für das Publikum im Saal.
Es passt wunderbar zusammen, dass am Tag vorher auch der neue Chefdirigent des BSO unmissverständlich für einen Neuaufbruch plädiert: Wenn alle zukunftsgerichteten Kräfte ihre Energie auf die künstlerische Arbeit konzentrieren und nicht so sehr auf Kommissionssitzungen, werden sich die nötigen zeitge-mässen Strukturen von selbst ergeben. Teilen Sie diesen ansteckenden Optimismus?
Ich bin sehr optimistisch, was die Zusammenführung von BSO und Stadttheater angeht. Veränderungen machen natürlich immer auch Angst. Ich denke jedoch, dass jede Veränderung immer auch die Chance zur Verbesserung birgt. Im besten Falle entstünde mehr als nur die Summe der vorhandenen Elemente. Die Kreation eines neuen Gefässes braucht aber gewiss einige helle Geister, die sich in einer Kommission in konstruktivem Sinne zusammenraufen und austauschen. Die künftigen Partner sollen gleichberechtigt sein und ihre Bedürfnisse einbringen können. Das ist ganz wichtig für das gute Gelingen einer solchen Fusion von Kräften. Mit Jürg Keller, dem Leiter der Projektgruppe «MusikTheater Bern», haben wir sicher einen sowohl sachlich wie auch menschlich kompetenten Ansprechpartner gefunden. Diese Projektgruppe leistet meiner Meinung nach bis jetzt sehr gute Prozessarbeit, trotz grossem Zeitdruck. Die Aufgabe von uns Künstlern sehe ich nun darin, erstens weiterhin besonders gute und motivierte Leistungen zu erbringen, damit uns Publikum und auch Politik über die Zeit der Fusion hinweg tragen, und zweitens unsere Bedürfnisse zu eruieren und zu kommunizieren, damit die Verantwortlichen nach bestem Wissen und Gewissen tätig sein können. Dies verlangt also von uns allen viel Wachheit und Austausch.
Was wird der Übergang zur neuen Struktur «MusikTheater Bern» für Sie persönlich bedeuten?
Ein Führungswechsel bedeutet für die Ensembles oftmals die Kündigung, das ist Teil unserer beruflichen Realität. Aber ich denke, dass eine Stadt von der Grösse Berns ein Schauspiel‑, Opern- und Balletensemble braucht, dessen Gesichter und Namen einem mit der Zeit geläufig sind und dessen Mitglieder man in Tram, Bus und Restaurant wiedererkennt. Dieser Wiedererkennungseffekt ist enorm kundenbindend und nicht zu unterschätzen. Ich werde sehr oft auf der Strasse angesprochen und bekomme so direkte Rückmeldungen oder Anregungen. Es ist sehr wichtig, dass SchauspielerInnen, SängerInnen und BallettänzerInnen die Möglichkeit haben, sich über einen längeren Zeitraum hinweg in die Herzen und Leben ihres Publikums zu spielen. So wird Theater persönlich. Und so entsteht eine Identifikation mit einem Kulturbetrieb. Und genau dies braucht Bern meiner Meinung nach.
Bevor es soweit ist, noch eine gegenwarts-trächtige Frage, die mir seit Jahren am Herzen liegt: Teilen Sie meine Behauptung – sie beruht auf 37 Jahren Arbeit im BSO –, dass die Hauptschuld an den Reibereien zwischen STB und BSO auf der Unkenntnis der Sorgen und Nöte des Partners liegt, vor allem auch in künstlerischen Belangen?
Verständnis kann ja nur auf der Basis von Kenntnis entstehen. Solange alle nur in ihrer persönlichen Realität verbleiben, ist kein Konsens möglich. Dies ist in jeder Freundschaft, jeder Liebesbeziehung und auch in jeder geschäftlichen Allianz so. Nur offene Kommunikation und guter Ton versprechen im Endeffekt Einklang. Je näher sich die beiden Klangkörper BSO und Stadttheater also kommen wollen, desto transparenter muss ihr Umgang miteinander sein. Da ist sicher nicht nur der Austausch auf einer Führungsebene gut, sondern auch freundschaftliche Verbindungen bei der Basis. Ich denke, dass wir da auf gutem Wege sind.
Hier ertappe ich mich selbst bei einer Wissenslücke: Wie würden Sie als Künstlerin die unterschiedlichen Herausforderungen beschreiben, wenn Sie als Mitglied eines Ensembles oder aber mit einem Stückvertrag arbeiten?
Seit drei Spielzeiten bin ich nun als festes Mitglied des Opernensembles am Stadttheater Bern beschäftigt. Zusammen mit Marc Adam (Intendanz), Srboljub Dinic (Musikalischer Direktor) und meinem Agenten (Manager) bilde ich eine Art Interessensgemeinschaft, mit dem Ziel, mein künstlerisches Potential optimal auszubauen und einzusetzen. Im Idealfall haben alle Beteiligten etwas davon, weil es ein Geben und Nehmen ist. Das heisst, das regelmässige Fordern und Fördern zahlt sich für das Haus insofern aus, dass ich inzwischen grössere (also teurere) Partien zum gleichen moderaten Gehalt übernehmen und meistern kann. Für mich sind diese Partien wichtig, um an ihnen zu wachsen, und ein regelmässiges Gehalt hält mir die ärgsten existentiellen Sorgen fern. Für meinen Agenten sind meine Erfolge interessant, weil er mich damit weiter vermitteln kann, was für eine nächste Etappe, also meine Zeit nach Bern, sehr wichtig ist. Dieses System funktioniert im Moment gut, es ist jedoch keine Lösung für die Ewigkeit. Dass eine SängerIn heutzutage an einem Haus über mehrere Spielzeiten wachsen darf und aufgebaut wird, ist eher selten. Dass eine SängerIn an einem Haus alt wird oder sogar das Pensionsalter erreicht, kommt eigentlich schon gar nicht mehr vor.
Wie gesagt steht es in den Sternen, ob unser Opernensemble von einem künftigen Operndirektor übernommen wird. Ich bin mir in meinem Fall noch nicht klar darüber, ob ich mich nach meinem Engagement in Bern nicht freiberuflich ausprobieren möchte. Es reizt mich, die Opernlandschaft Europas zu bereisen und mit neuen Menschen an neuen Häusern zusammen zu arbeiten. Dieser Schritt vom Festengagement hinein in die freiberufliche Tätigkeit ist gewiss nicht einfach. Die Kontinuität in allen Bereichen, von den künstlerischen Aufgaben bis hin zu ganz profanen Themen wie zum Beispiel den gedeckten Sozialversicherungsabgaben, ist dann nicht mehr automatisch gewährleistet. Wie sich das alles entwickeln wird, weiss ich also noch nicht, ich bin aber guter Dinge, dass sich alles optimal zurechtschütteln wird.
Wenn Sie Ihre bisherige Laufbahn überblicken, welches sind die herausragenden Ereignisse, sei es auf der Bühne, beim Oratorium oder im Liedgesang? Gleichzeitig der Blick in die Zukunft: Welcher Gesangspartie sehen Sie mit besonderer Spannung entgegen?
Diesen Sommer singe ich zum ersten Mal eine Carmen an den Murten Classics. Ich freue mich sehr darauf, diesen Meilenstein des Mezzo-Repertoires in konzertantem Rahmen ausprobieren zu dürfen und bin gespannt, ob mir diese Partie auch einmal auf der Opernbühne begegnen wird.
Hier am Stadttheater war bis jetzt etwa der Octavian in Strauss «Rosenkavalier» ein grosser Schritt für mich. Leider habe ich mir aufgrund eines Bühnenunfalles eine arge Knieverletzung zugezogen, weswegen ich eine Woche vor der Premiere für 12 Wochen aussteigen musste (was die grösste Krise meines beruflichen Lebens dargestellt hat). Ich war aber an jedem der acht Abende, die ich nach meinem Wiedereinstieg noch singen konnte, ein sehr glücklicher Octavian und hoffe, dass ich diese Partie noch oft werde singen dürfen. Vielleicht das nächste Mal mit Premiere und Premieren-Presse – das wäre schön!
An eine rundum gelungene h‑Moll-Messe im Berliner Konzerthaus erinnere ich mich besonders gern, wenn ich an meine Tätigkeit als Oratoriensängerin denke. Als in Berlin unbekannte Sängerin war ich ziemlich überwältigt, dass einige Leute aus dem Publikum vor meiner Garderobe auf ein Autogramm von mir gewartet haben.
Abschliessend bitte ich Sie um die Beantwortung der folgenden Vision: Nach einigen Jahren künstlerisch bedingter Abwesenheit kehren Sie nach Bern zurück. Wie finden Sie das Musiktheater, wie die Sinfoniekonzerte, wie das Zusammenwirken von STB und BSO, vor?
Ich wäre sehr positiv überrascht, wenn sich nach meiner fiktiven Rückkehr im Jahre 2020 alle MitarbeiterInnen unter diesem neuen Dach mit Namen kennen und grüssen würden! Und sicher würden die gemeinsamen Premierenfeiern bis in die Morgenstunden mit angemessener kulinarischer Umrahmung schon weit vor der Premiere sehnsüchtig erwartet! Gemeinsame Betriebsausflüge und Weihnachtsfeiern hätten schon längst zu Eheschliessungen unter den Sparten geführt und der erste Nachwuchs der musikalischen Elite Berns hätte die betriebseigene Kinderkrippe geflutet…
Im Jahre 2020 wäre bereits eine von mehreren neuen gemeinsamen Traditionen, die Aufführung zum Beispiel der 9. Symphonie von Beethoven an Silvesterabend und am Neujahrsmorgen mit dem BSO, dem Chor und den Solist-Innen des «MusikTheater Bern» auf die Bühne zu bringen. Wie schön wäre es, wenn sich solche gemeinsamen Projekte im Kulturangebot der Stadt Bern etablieren könnten!
Im Jahre 2020 wäre die Renovation und der Ausbau des Theaters am alten Standort in die Tiefe und Breite bereits Vergangenheit und das «MusikTheater Bern» würde dann nicht nur über eine technisch tadellos funktionierende Bühne, bequeme Sitzplätze, einen geräumigen und akustisch angenehmen Orchestergraben, sondern auch über eine ordentliche Anzahl Übungszimmer und eine tolle lichtdurchflutete Betriebskantine verfügen, wo sich OpernsängerInnen und Orchestermusiker-
Innen täglich bei der Arbeit begegnen.
Frau Eichenberger, ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch, und – toi, toi, toi…
Claude Eichenberger, Opernsängerin
Geboren 1974 in Zürich
Aufgewachsen in Schaffhausen
Lehrerseminar Kreuzlingen (1990 bis 1995)
Studium an der Hochschule der Künste Bern bei Prof. Elisabeth Glauser (1996 bis 2003)
Solistendiplom mit Auszeichnung und Eduard Tschumi Preis (2003)
Preisträgerin mehrerer nationaler Wettbewerbe
Spezialisierung im Fachbereich Lied bei Irwin Gage an der Hochschule der Künste Zürich
Internationales Opernstudio Zürich am Opernhaus Zürich (2004 bis 2006)
Erste Partien am Opernhaus Zürich (2004 bis 2006)
Mercedes in «Carmen» am Opernfestival Avenches (2004)
Fenena in «Nabucco» am Opernfestival Avenches (2005)
Gast an der Staatsoper Unter den Linden Berlin mit 2. Dame «Zauberflöte» (2006)
Engagement am Stadttheater Bern seit 2007
Hier unter anderem Prince Charmant in «Cendrillon», Rosina in «Barbiere di Siviglia», Octavian in «Rosenkavalier», Hänsel in «Hänsel und Gretel», Mère Marie in «Dialogues des Carmélites», Ramiro in «Finta Giardiniera»
Nebst der Oper internationale Tätigkeit als Konzertsängerin im Bereich Oratorium und Lied
Wohnt in Bern
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2010