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Creepy Creatures

By Anto­nia Ste­ger

Wenn Banken sys­tem­rel­e­vant sein kön­nen, möchte ich ein­mal sagen: Kun­st und Kul­tur sind auch sys­tem­rel­e­vant. Man kön­nte Paul Granjon als Beispiel dafür nehmen.

Der franzö­sis­che Kün­stler-Erfind­er-Enter­tain­er bastelt vom süssen Robot­er bis hin zur selb­ständi­gen Schiess­mas­chine so ziem­lich alles an merk­würdi­gen Krea­turen und singt zu ihrer Präsen­ta­tion ulkige Lieder. Ange­fan­gen hat Paul Granjon mit der “cyber­net­ic par­rot sausage» – ein­er Wurst, welche nach­plap­pert, was man zu ihr sagt und dabei wie gestört mit ihrem Wurs­tende rotiert (hierzu sehen). Diese drol­lige Par­o­die auf die Wurstver­liebtheit der deutschen Kul­tur ist ein kleines Meis­ter­stück intel­li­gen­ter Unter­hal­tung.

Robot­er-Ohren und Mord­mas­chine

Tiere haben es Paul Granjon beson­ders ange­tan. Sie sind Sym­bole für die Natur, also das Gegen­teil von Robot­ern mit ihrer enor­men kul­turellen Kom­plex­ität. Doch ger­ade die (schein­bare) Natür­lichkeit übt vielfachen Reiz auf den Kün­stler in Paul Granjon aus: poet­is­chen, wenn eine vogelähn­liche Krea­tur mit dem schiefen Sänger um die Wette zwitschert; selb­stiro­nis­chen, wenn sich Paul Granjon mit Cyber-Hun­deohren und einem eben­solchen Hun­de­schwanz ausstaffiert. Diese unbe­holfene Nachah­mung von Natur ist schlichtweg urkomisch.

Doch plöt­zlich bringt Paul Granjon das Unbe­ha­gen ins Spiel, das im englis­chen Wort “creepy» unüber­set­zbar aus­ge­drückt ist. Wenn Fir­men vom Mil­itär gespon­sert wer­den, entste­hen Robot­er­we­sen, denen man mit Fasz­i­na­tion und Abscheu zugle­ich begeg­net (hierein Beispiel). Auch wenn der Kör­per­bau dieser Maschi­nen wie von Kinder­hand geze­ich­net aussieht, kann sich das Auge der über­wälti­gen­den Natür­lichkeit ihrer Bewe­gun­gen nicht entziehen. Hier ist die Gren­ze zwis­chen Tier und Mas­chine in hohem Grade aufgelöst.

Paul Granjon set­zt sich mit diesen mil­itärischen Entwick­lun­gen auseinan­der, indem er sie über­höht. Er erfind­et (mit ein­fach­sten Mit­teln und Open Source Soft­ware) eine selb­ständi­ge Waffe, die den vor­beiren­nen­den Tüftler sucht und nieder­schiesst. Wegen ein­er tech­nis­chen Störung begann die Mord­mas­chine im Walcheturm wie wild ins Leere zu schiessen – und auch wenn wir darüber gelacht haben, war dieser Kon­trol­lver­lust nicht min­der beun­ruhi­gend als wenn alles rei­bungs­los geklappt hätte.

Kul­tur ist leben­snotwendig

Paul Granjon ver­mis­cht Unter­hal­tung, Kun­st und Forschung zu einem Hybrid, in dem alle Bere­iche voneinan­der prof­i­tieren. Die Unter­hal­tung wird intel­li­gen­ter, die Kun­st nah­bar­er und die Forschung men­schlich­er. Ein exzel­lentes Zeug­nis auch für die Ver­anstal­tungsrei­he :dig­i­tal brain­storm­ing des Migros-Kul­tur­prozents, die Paul Granjon in der Schweiz vier­mal auftreten lässt.

Doch warum soll das jet­zt sys­tem­rel­e­vant sein?

Etwas fällt dank Paul Granjons Aus­führun­gen an den lebensecht­en Men­schen-Robot­ern auf: Nie­mand weiss bish­er so genau, was wir mit ihnen anstellen sollen. Darum lassen wir sie tanzen, Trep­pen steigen und Orch­ester dirigieren. Nota bene alles kul­turelle Tätigkeit­en. Die Kul­tur zeigt sich hier als erstes Zugangs­feld, in dem wir unsere Zukun­ft zu entwick­eln begin­nen. In dem wir Ideen ausleben lassen.

Etwas Zweites fällt auf. Was die Robot­er bis zur Unver­wech­sel­barkeit nachah­men, ist das Ausse­hen und die Bewe­gung der Men­schen. Das Andere – das eigen­ständi­ge Denken, das Erfind­en, das gegen­seit­ige Geschicht­en­erzählen, die Selb­stre­flex­ion – das sind Dinge, zu denen noch keine Mas­chine fähig ist. Es ist also ger­ade die Kul­tur, die noch von keinem Hochleis­tungsla­bor nachgeahmt wer­den kon­nte. Die wir also trotz aller Unwirtschaftlichkeit immer noch sel­ber leis­ten dür­fen.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/performance-von-paul-granjon/

Artikel online veröffentlicht: 22. November 2013 – aktualisiert am 18. März 2019