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CYCLOPE: Tinguely trifft auf Fellinis Traumtänzerei und die Magie des Cirque du Soleil

Von Clau­dia Lan­geneg­ger — Im West­en viel Neues: Das Biel­er Freiluft­spek­takel «Cyc­lope». Von ein­er Riesen­skulp­tur Tinguelys inspiri­ert, wird derzeit am Ufer des Biel­er Sees ein gigan­tis­ches Büh­nen­bild errichtet. Dreizehn inter­na­tionale Artis­ten und Tänz­er bespie­len ab 2. Juli das einzi­gar­tige Stahlge­bilde, fünf Musik­er spie­len den eigens kreierten Live-Sound dazu.

Auf dem ExpoPark in Biel ist seit April die Hölle los. Hier häm­mert ein Met­all­bauer, da schnei­det ein Zim­mer­mann Balken, dort schweisst der Baumeis­ter Stahlrohre. Gehörschutz auf den Ohren, Schweiss­brille auf der Nase, schwarze Fin­ger, son­nen­ver­bran­nte Schul­tern. Alteisen, Stahlrohre, Holzbret­ter und ver­dreht­es Gestänge liegen herum. Mit­ten auf dem Platz ragt ein fün­fzehn Meter hohes Ungetüm in die Höhe. Das ist der «Cyc­lope», das Büh­nen­bild für das gle­ich­namige Som­mer­spek­takel, das am 2. Juli hier Pre­miere feiert.

Was hier mit viel Lärm, Funken und handw­erk­lichem Kön­nen entste­ht, ist die Kulisse für ein Stück voller Poe­sie, Akro­batik und mitreis­sen­dem Sound. Ab dem 2. Juli bespie­len dreizehn ArtistIn­nen und fünf Musik­erIn­nen das gigan­tis­che Büh­nen­bild. Sie erzählen eine Geschichte von Fre­und­schaft und Liebe, ent­führen in fan­tastis­che Wel­ten, und schaf­fen mit Kun­st­stück­en, Musik und Licht einzi­gar­tige Bilder. Gesprochen wird: kein Wort.

Hin­ter dem aben­teuer­lichen Pro­jekt ste­hen die Biel­er Markus Gfeller und Philipp Boë – der erste Musik­er, der zweite Tänz­er. Seit zwanzig Jahren arbeit­en die bei­den Kün­stler in ver­schieden­sten freien Pro­jek­ten zusam­men. Inspiri­ert wur­den sie für den «Cyc­lope» von Jean Tingue­ly und sein­er gle­ich­nami­gen Riesen­skulp­tur. Der Fri­bourg­er Kün­stler erbaute mit sein­er Frau Niki de Saint Phalle und zahllosen Kün­stler­fre­un­den in Mil­ly-la-Forêt bei Paris eine gigan­tis­che Skulp­tur – den «Cyclop», den er auch «Le mon­stre de la forêt» nan­nte. 1970 began­nen sie mit diesem abge­dreht­en Werk, namhafte Artis­ten wie Daniel Spo­er­ri, Eva Aep­pli, Rico Weber oder Jesus Raphael Soto waren dabei. Der Bern­er Bern­hard Lug­in­bühl kreierte von Anbe­ginn mit: Er schuf das riesige Ohr aus Alteisen. Der Met­all­bauer Sep­pi Imhof begann hier seine langjährige Kar­riere als Assis­tent Tinguelys.

Über zwanzig Jahre schufen sie an dem aben­teuer­lichen Gemein­schaftswerk, drei­hun­dert Ton­nen Stahl wur­den darin ver­baut, zweiund-zwanzig Meter ist die Skulp­tur hoch. Im Innern lebt ein mech­a­nis­ches The­ater. Das Kunst­werk knarzt, rat­tert, häm­mert, tönt. Zah­n­räder drehen, ein Bach plätschert auf der Zunge des einäugi­gen Riesenkopfs hinab. Hier lebt viel vom ver­rück­ten Kün­st­lergeist Tinguelys.

Und genau das – viel von diesem kreativ­en Kün­st­lergeist – wollen die Mach­er des «Cyc­lope» in Biel aufleben lassen.

Über drei Jahre hin­weg gärte bei Boë und Gfeller die Idee. Zu zweit und mit Kün­stler­fre­un­den entwick­el­ten sie ihre Vision eines bespiel­ten Zyk­lopen. Ihr Ziel: etwas völ­lig Neues in der Schweiz­er Eventszene zu bieten, in dem viel von Tinguelys visionär­er Poe­sie, seinen ver­rück­ten Ideen und der gren­zen­losen Fan­tasie spür­bar sein sollte.

Während mehrerer Monate entwick­el­ten sie zusam­men mit Bauleuten, Schlossern, Kün­stlern, Tänz­ern und Musik­ern das Büh­nen­bild, sie sucht­en nach Artis­ten, die einzi­gar­tig genug sind, um in dieses Aben­teuer zu passen, sie sucht­en nach Musik­ern, die einzi­gar­tig sind, gerne impro­visieren und sich nichts Besseres vorstellen kön­nen als im kreativ­en Flow eigen­ständi­gen Sound zu schaf­fen.

Dieses ganz neue Tanzthe­aterzirkusspek­takel erzählt eine Geschichte über Fre­und­schaft und Liebe. Im Juni wird die Arbeit der Bauleute been­det sein, die ArtistIn­nen und Musik­erIn­nen wer­den den Platz übernehmen, um auf der Bühne umzuset­zen, was bis da im Prober­aum geübt, getüftelt, erfun­den und kreiert wurde. Auf dem Platz, dem ehe­ma­li­gen ExpoParc in Biel, wird diese wilde Geschichte musikalisch und artis­tisch zu einem Ganzen zusam­menge­fügt.

Bei aller kün­st­lerischen Vision und hochste­hen­den Qual­ität­sansprüchen – «Cyc­lope» ist kein abge­hobenes Werk, es ist ein Stück für alle und soll den Spa­gat zwis­chen anspruchsvoller Kun­st und all­ge­mein zugänglich­er Poe­sie, Trau­mar­tigkeit und Kreativ­ität schaf­fen. Im Pub­likum sollen Alte und Junge, Kinder, Fam­i­lien, Busi­nessleute, Kun­st­banau­sen, Feuil­leton­is­ten, Tanzhasen frohlock­en.

«Cyc­lope» ist wed­er Zirkus noch Musi­cal, Tanzthe­ater, Freiluftthe­ater oder Open-Air-Konz­ert. Und doch hat es von allem etwas: Das wilde Stück ist alles zusam­men, bloss in eine oder die andere Schublade quetschen lässt es sich nicht. Die Mach­er nen­nen es «ein poet­isch-ver­rück­tes Freilicht­spek­takel», man kön­nte es auch «fan­tastis­ches Zirkus­tanzstück mit Film­musik» taufen. Auf jeden Fall ist es etwas, was ganz neu entste­ht und das es so noch nicht gegeben hat: Inspiri­ert von Tingue­ly, mit ein­er Prise Cirque du Soleil und einem Hauch felli­nesker Poe­sie gewürzt, ist es kräftig mit viel eigen­ständi­ger Kreativ­ität und Unvorse­hbarem ver­mis­cht wor­den – et voilà. Wir lassen uns über­raschen.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2012

Artikel online veröffentlicht: 18. April 2019