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Dalida ist tot, es lebe Dalida!

Von Helen Lag­ger - Mit den Worten «Verzei­ht mir, das Leben ist mir unerträglich» schied sie aus dem Leben. Noch heute brin­gen Fans Blu­men auf ihr Grab. Dal­i­da lebt. Wer sind die Verehrer von Dal­i­da? Dal­i­da ist immer noch en Vogue und zwar bei älteren Musikken­nern wie auch bei jün­geren, die ihre Musik gerne mit House gemis­cht hören. Warum auch nicht. Dal­i­da hätte das bes­timmt selb­st getan. Schliesslich hat sie alle Stile mit gemacht: Twist, Ye-Ye, Cha-Cha, Dis­co. Dal­i­das Brud­er Orlan­do brachte 1995 das Album «As if she were here with us» auf den Markt. Es war eines ihrer meist verkauften Alben. Es ist eine Samm­lung von Dal­i­das besten Stück­en mit House-Ele­menten angere­ichert. Dal­i­da wird immer wieder in Clubs gespielt. Am 17. Jan­u­ar 2005 hätte Dal­i­da ihren zweiund­siebzig­sten Geburt­stag feiern kön­nen. Die Mit­glieder des wel­tumspan­nen­den Dal­i­da-Vere­ins wer­den sich auch dieses Jahr auf dem Fried­hof von Mont­martre ver­sam­meln und ein Blu­men­meer hin­ter­lassen. Alles für «notre Dali» wie die Fran­zosen sie liebevoll nen­nen.

In einem Doku­men­tarfilm über ver­rück­te Fans kamen zwei junge Her­ren zu Wort, die ihren ganzen Lohn dazu ver­wen­de­ten Dal­i­das Grab jeden Tag mit Blu­men­sträussen zu schmück­en. Ein junger Kanadier schreibt auf ein­er Fan-Home­page «aimer Dal­i­da, c’est un pléonasme». Dal­i­da lebt. Oder wies Charlez Aznavour es aus­drück­te: «Wir sind Kinder des Mit­telmeeres. Wir sind die Kinder der Sonne. Wir sind geboren um Wärme zu geben. Und wie die Sonne wer­den wir für immer leben.…» «Die Jungs, die ihre Haare wach­sen lassen, schme­icheln mir weil sie mich imi­tieren. Jet­zt gibt es in den Strassen nicht nur Dal­i­da-Mäd­chen son­dern auch Dal­i­da-Jungs», koket­tierte die Diva, als die Dal­i­da­ma­nia auf dem Höhep­unkt war. Dal­i­das Kar­riere war eine der grössten Erfol­gs­geschicht­en der Nachkriegszeit. Dal­i­da, kam als Kind, neapo­le­tanis­ch­er Emi­granten, mit dem Namen Yolan­da Gigliot­ti, in einem Vorort von Kairo zur Welt. Yolan­da litt an ein­er Augenkrankheit und wurde mehrere Male operiert. Mit dreizehn warf sie ihre Brille aus dem Fen­ster und beschloss, lieber schlecht zu sehen, als schlecht auszuse­hen. Mit sechzehn hat­te sie die Kloster­schule hin­ter sich und arbeit­ete als Sekretärin in ein­er Import-Export­Fir­ma. Ohne das Wis­sen ihrer Eltern meldete sie sich zur Wahl «Miss Aegypten 1954» an und gewann.

1956 wurde schliesslich das Jahr ihres Durch­bruchs. Drei Män­ner bes­timmten for­t­an die Kar­riere der­jeni­gen, die den Ueber­na­men «Made­moi­selle Juke­box», trug: Eddy Bar­clay war ihr Pro­duzent, Lucien Morisse ihr Pyg­malion und Bruno Coqua­trix öffnete ihr die Türen zu sein­er Music-Hall. Die erste Plat­te schlug ein wie eine Bombe. «Bam­bi­no» eroberte ganz Frankre­ich. 300’000 Plat­ten wur­den verkauft. Dal­i­da badete im Ruhm. In der Hit­pa­rade stiess sie die Piaf vom Sock­el. Die jun­gen Mäd­chen ver­sucht­en mit schwarzen Lid­strichen ihrem Idol ähn­lich zu sehen. Ihr Gesicht erschien auf sämtlichen Titel­blät­tern der franzö­sis­chen Presse. Ein Jahr später erhielt sie ihre erste gold­ene Schallplat­te. Der Star und sein Man­ag­er began­nen eine lei­den­schaftliche Affäre. Doch die Liebe stand unter keinem guten Stern. Lucien Morisse war ein ver­heirateter Mann. «Ich suche die Liebe, die wahre. Ich kann sagen, dass ich viele Män­ner in meinem Leben gehabt habe, weil ich diese Liebe gesucht habe, aber ich habe sie nicht gefun­den», beklagte sich Dal­i­da in einem Inter­view. Aber war sie tat­säch­lich immer das Opfer unglück­lich­er Umstände, die sie schliesslich in den Selb­st­mord trieben? Die Diva brachte es schliesslich fer­tig, dass Lucien Morisse seine Frau ver­liess und sie heiratete. Die ganze Fam­i­lie des Stars wurde aus Aegypten einge­flo­gen. Nach der Hochzeits­feier begab sich die ehrgeizige Sän­gerin auf Tournee und ver­liebte sich in einen anderen Mann. Ihr Mann und Man­ag­er, dem sie ihren Kar­ri­ere­be­ginn ver­dank­te, musste zuse­hen wie sie sich in eine neue Lei­den­schaft stürzte. Frei­heit und Unab­hängigkeit scheinen Dal­i­da viel bedeutet zu haben. Sie war trotz etlichen Ent­täuschun­gen kein Opfer à la Marylin Mon­roe. «Gibt es eine grössere Zicke als mich? Ja, die Diet­rich», soll Dal­i­da ein­mal gesagt haben.

Dal­i­da war eine Ver­wand­lungskün­st­lerin. Sie schaffte es, sich immer wieder selb­st neu zu erfind­en. Das hat wahrschein­lich damit zu tun, dass sie eine ewig Suchende war. Ihre Exzen­triz­ität lebte sie mit viel Pathos aus. «Warum auswählen, wenn man alles haben kann», lautete ihr Cre­do. In den Sechziger­jahren kaufte sie ein Dorn­röschen­schloss auf einem Hügel hin­ter der Sacré Coeur. Von hier aus hat­te sie einen her­rlichen Blick über ganz Paris. Dem Dorn­röschen fehlte aber weit­er­hin der Prinz und sie kehrte nachts allein und ein­sam in ihr Schloss zurück. Dal­i­da erfand sich neu als eine Art weiss­er Engel. Der brünette Vamp färbte ihr Haar jet­zt blond. Auf der Bühne präsen­tierte sie sich mit einem lan­gen weis­sen Kleid. So, wie sie jet­zt als Skulp­tur in Mont­martre auf ihrem Grab ste­ht. Aus Dal­i­da wurde Dal­i­da die Heilige. «Die, die nicht zweifeln, suchen nicht. Zu zweifeln ist eine Möglichkeit mit dein­er Eige­nen­twick­lung nie aufzuhören», gab sich Dal­i­da überzeugt. In den späten Sechziger­jahren flog die Diva mehrmals nach Indi­en um die Lehre eines Gurus zu vernehmen.

1972 nah­men Dal­i­da und ihr langjähriger Fre­und Alain Delon eines der schön­sten Duette der Musikgeschichte im Stu­dio auf. Eine franzö­sis­che Adap­ta­tion des ital­ienis­chen Liedes «Parole, Parole». Während Delon schme­ichel­nde Liebesworte flüstert, antwortet ihm Dal­i­da immer wieder, dass seine Bezeu­gun­gen «rien que des mots», nichts als Worte seien. Ob «Je t’en prie, je te jure oder que tu es belle», nichts von dem kommt bei der von der Liebe Ver­let­zten an.

Auch die ara­bis­che Welt lag ihr zu Füssen. Die Tat­sache, dass Kairo Dal­i­das Geburt­sort war, bedeutete dem ara­bis­chen Pub­likum viel. Dal­i­da kehrte ab und zu nach Ägypten zurück und reiste auch in andere ara­bis­che Län­der. Diese Reisen schienen sie zu inspiri­eren. 1978 nahm sie den ägyp­tis­chen Folk­song «Salma ya Sala­ma» auf. Der Song wurde ein Riesen­er­folg und in sieben Sprachen über­set­zt. Die Kar­riere sollte noch lange nicht fer­tig sein. Mit dem Hit «J’attendrai ver­sion 76» läutete Dal­i­da Frankre­ichs Dis­co-Zeital­ter ein. Ähn­lich wie Madon­na heute, passte Dal­i­da ihren Stil immer wieder erfol­gre­ich den aktuellen Trends an, ohne dabei ihre Iden­tität zu ver­lieren. Das Chamäleon­hafte gehörte zu ihrer Iden­tität und stand ihr bestens. Spätestens jet­zt wurde sie zur Schwulen-Ikone. Wie eine Drag Queen, mit Pail­let­ten­klei­dern, die bis zur Hüfte geschlitzt waren, schock­te und begeis­terte sie ihr Pub­likum.

1980 brachte Dal­i­da einen Hauch Broad­way nach Paris. Sie gab eine riesige Vor­führung im Palais des Sports. Ins­ge­samt zwölf Mal wech­selte sie die mit Fed­ern beset­zten Kostüme. Elf Tänz­er gehörten zu ihrer Truppe. Und Dal­i­da war mit­ten­drin, die Köni­gin. Die Show dauerte über zwei Stun­den und wurde leg­endär. Ihre Kar­riere war auf dem Höhep­unkt, doch in der Liebe blieb Dal­i­da ein Pechvo­gel. Sie stürzte sich in die Arbeit um den Schmerz zu über­winden und trat wieder im Olympia auf. Sie erhielt die dia­man­tene Schallplat­te für achtzig Mil­lio­nen Alben, die sie im Laufe ihrer Kar­riere verkauft hat­te. Fün­fund­fün­fzig gold­ene Schallplat­ten gehörten längst zu ihrer Samm­lung. «Wenn die Aegypter uns danach fragten, wir wür­den ihnen eher den Obelisken von der Con­corde zurück geben als sie, denn Dal­i­da mit ihrem «Bambino-Bambino»und «Gigi l’Amoroso» bedeutet für unser Kul­turerbe viel mehr als jed­er andere Star», schrieb Veronique Bla­m­ont im Le Nou­v­el Obser­va­teur vom 6. Mai 1983.

Trotz ihrem Erfolg lassen ver­schiedene Aus­sagen der Diva auf eine grosse Unzufrieden­heit schliessen. «Ich bleibe unbe­friedigt. Ich muss erst in die Hölle ein­tauchen, um zu ent­deck­en weshalb», meinte sie ein­mal zynisch oder «Ich war keine Frau, son­dern eine Chan­son-Indus­trie.» Der Schlüs­sel zu ihrer Ein­samkeit liegt wohl in dem Satz, den sie zu Nana Mousk­ouri kurz vor ihrem Tod sagte: « Du hast sehr viel Glück. Du hast zwei liebenswürdi­ge Kinder und einen Ehe­mann, den du lieb­st». Dal­i­da war 54 Jahre alt, kinder­los und die let­zte Liebes­beziehung zu einem Dok­tor hat­te erneut in einem Scher­ben­haufen geen­det. Sie hat­te das Mut­ter­sein ver­passt und hat­te das Gefühl, es sei zu spät, die wahre Liebe noch zu find­en. Wollte sie deshalb auf dem Höhep­unkt des Erfolges die Welt ver­lassen? Auf­schluss darüber find­et man auch in ihren Song­tex­ten. «Moi qui ai tout choisi dans ma vie, je veux choisir ma mort aussi/Ich die alles im Leben gewählt habe, will auch meinen Tod wählen», singt sie in ihrem Lied «Mourir sur scène/ Ster­ben auf der Bühne.»

An jen­em ver­häng­nisvollen Tag im Mai 1987 schick­te Dal­i­da ihre Kostü­mas­sis­tentin und enge Ver­traute Jacque­lyn weg, mit der Begrün­dung, sie hätte am Abend ein Ren­dezvous. Dal­i­da schluckt sechs Schachteln Schlaftablet­ten mit Whisky. Sie hat­te alles minu­tiös vor­bere­it­et. Sie trug ein weiss­es, sei­denes Nachthemd. Ihr Abschieds­brief bestand aus einem Notizzettel auf den sie schrieb «Verzei­ht mir, das Leben ist mir unerträglich». Er war an nie­man­den adressiert und richtete sich so an Fam­i­lie, Fre­unde und Pub­likum zugle­ich. Sie drapierte sich auf ihr Bett in ein­er ger­adezu pit­toresken Pose. Der rührende Wun­sch ein­er echt­en Diva, bis zulet­zt Allüre zu bewahren. Der erste Gedanke, der Jacque­lyn durch den Kopf ging, als sie die Tote fand, war: «Sie sieht aus wie Dorn­röschen».

Bild: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2005