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«Das Berner Publikum liebt sein AUA»

Inter­view von Belin­da Meier: Endlich ist es wieder soweit: Auawirleben geht in die näch­ste Runde! Vom 28. April bis 8. Mai 2011 präsen­tiert das Bern­er The­ater­fes­ti­val unter dem Titel «Welt offen» rund 12 Pro­duk­tio­nen nationaler und inter­na­tionaler Kün­stler. Ein­mal mehr wartet Auawirleben mit einem dicht­en, vari­a­tion­sre­ichen und for­mal wie ästhetisch gren­zen­losen Pro­gramm auf, auf das wir ges­pan­nt sein kön­nen! ensuite kul­tur­magazin hat mit Beat­rix Büh­ler, kün­st­lerische Lei­t­erin von Auawirleben, gesprochen.

Mit welchen The­men­bere­ichen set­zt sich das Bern­er The­atertr­e­f­fen Auawirleben dieses Jahr auseinan­der?

Mit der Eigen- und Fremd­wahrnehmung, oder ganz konkret: Mit dem demografis­chen Wan­del, ein­er interkul­turellen Real­ität, die europaweit ver­pen­nt wird. Nicht nur die Schweiz ist ein Ein­wan­derungs­land, das sich völ­lig ahis­torisch, um nicht zu sagen chau­vin­is­tisch gegenüber dieser Entwick­lung ver­hält. Wir greifen den Wider­spruch auf, dass wir uns ein­er­seits flott auf dem ganzen Globus herum­tum­meln; man denke nur an die Bere­iche Wirtschaft, Waf­fen­han­del, Touris­mus, Aus­bil­dung und Job­suche. Ander­er­seits wird hys­ter­isch nach «sicheren Gren­zen» gerufen, um eine kuh­bim­mel­nde <nationale Leitkul­tur> vor «Ein­drin­glin­gen» zu schützen. Die 12 ein­ge­lade­nen Pro­duk­tio­nen greifen diesen Wider­spruch sowohl the­ma­tisch wie ästhetisch for­mal auf, und lassen die Stärke eines interkul­turellen Poten­zials erleben.

Auawirleben will mit den Pro­duk­tio­nen immer auch der Frage nachge­hen, welche The­ater­for­men sich für die Darstel­lung aktueller The­men eignen. Welche The­ater­for­men bekom­men die Zuschauer dieses Jahr zu sehen?

Die Span­nweite reicht sehr weit, und die Gen­re­gren­zen sind entsprechend durch­läs­sig: Tanzthe­ater zwis­chen Hyper­re­al­is­tik und Phan­tas­magorie, eine labyrinthis­che Instal­la­tion der Selb­st- und Fremd­wahrnehmung, eine weib­liche Doku-Fic­tion zur Frage nach den eige­nen Wurzeln, eine wilde Per­for­mance zur Genuss­gen­er­a­tion, eine fik­tive Fahrt mit Auf­tragskillern im Dien­ste des <nationalen Gemein­wohls>, vitales Volk­sthe­ater über Par­al­lelge­sellschaften, ein Road­movie von 4 Argen­tinierIn­nen durch 10 bewegte Jahre per­sön­lich­er wie glob­aler Geschichte, eine Fil­madap­tion mit anar­chis­chen Pup­pen und Spiel­ern, ein gegen alle Kon­ven­tio­nen ver­stossendes Sto­ry­telling übers grausame Scheit­ern am selb­st­bes­timmten Leben, ein deutsch-israelis­ches Body-Instal­la­tion­spro­jekt zur Ikono­gra­phie des Holo­caust, ein Art­work-Triple-Trip durch eine lange The­a­ter­nacht mit der nachwach­senden The­ater­gen­er­a­tion, und ein post­mi­grantis­ch­er Aufk­lärungs-Thriller zur aktuellen «Islamde­bat­te». Ins­ge­samt eine unglaubliche kul­turelle und ästhetis­che Vielfalt. Folk­lore gibt es keine.

Wie gehst du bei der Pro­gram­mzusam­men­stel­lung vor? Oder anders: Find­et oder sucht man die Pro­duk­tio­nen?

Das eine geht nicht ohne das andere. Wir recher­chieren und vision­ieren gle­ichzeit­ig, und ich spiele immer wieder mögliche Kom­bi­na­tio­nen durch, die eine rel­e­vante Vielfalt und Rei­bung ergeben.

Gibt es Pro­duk­tio­nen, auf deren Präsen­ta­tion am diesjähri­gen The­atertr­e­f­fen du beson­ders stolz bist?

Alle machen mich stolz! Jede einzelne für sich und dann auch in der Kom­bi­na­tion. Allerd­ings ist es schon ein enormer Effort, Pen­sot­tis fan­tastis­ches Road­movie nach Bern zu holen! Auf keinen Fall ver­passen! Genau­so wenig wie unsere zweite Pro­duk­tion aus Argen­tinien, «Fik­tion­land», eine Kreuzung von schweiz­erisch­er und argen­tinis­ch­er Autoren­schaft.

Wieso Bern als Ort der Aus­tra­gung dieses The­ater­fes­ti­vals?

Wieso nicht? Zum Glück ist ein solch­es Fes­ti­val hier ent­standen und hat die Bern­er sei­ther auf diese the­atrale Reise mitgenom­men.

Was ist es im Beson­deren, was du an diesem The­ater­stan­dort schätzt? Wodurch zeich­net er sich aus?

Da ich kein weit­eres Fes­ti­val an einem anderen Ort auf die Beine stelle, habe ich von der Mach­er-Seite her keine Ver­gle­ichsmöglichkeit­en. Was ich sagen kann: Aua hat eine wun­der­bare Part­ner­schaft mit den Teams der Spielorte! Offen­heit, freudi­ges Inter­esse, koop­er­a­tive Unter­stützung und Risikobere­itschaft sind ein Riesen­sup­port für den notwendi­gen Elan. Und das Bern­er Pub­likum liebt «sein Aua», wir spüren jew­eils die neugierige Vor­freude auf die aktuelle Aus­gabe, wir erhal­ten anre­gende Feed­backs. Und ganz erstaunlich ist, wie inten­siv Aua-The­ater­erleb­nisse erin­nert wer­den. Ins­ge­samt erlebe ich hier eine spez­i­fisch belebte Fes­ti­valat­mo­sphäre aus gross­er Erwartung und angeregtem Aus­tausch.

Auawirleben präsen­tiert The­ater­pro­duk­tio­nen aus aller Welt. Ste­ht neben dem kün­st­lerischen Schaf­fen auch so etwas wie ein Miteinan­der ver­schieden­er Natio­nen und Kul­turen im Vorder­grund?

Das zweite, also das Miteinan­der unter­schiedlich­er Kul­turen, ergibt sich sozusagen wie von selb­st durch das erste, das kün­st­lerische Schaf­fen. Das ist so ein biss­chen wie die zwei Seit­en ein­er Medaille.

Auawirleben existiert seit 1982. Welch­es war dein schön­stes Erleb­nis während dein­er Tätigkeit als kün­st­lerische Lei­t­erin?

Hup­ps, das ist eine ganze Serie! Vielle­icht ganz ein­fach gesagt: Wenn der Funke über­springt und man nach der Vorstel­lung das Gefühl hat, die Gesichter der ZuschauerIn­nen sind alle so ein biss­chen ver-rückt, also beglückt oder merk­würdig entspan­nt, irgend­wie anders – DAS sind die schön­sten Momente.

Was macht für dich Auawirleben aus? Worin unter­schei­det es sich von anderen The­ater­fes­ti­vals?

Aua hat kein­er­lei kat­e­gorische Ein­gren­zung wie «neue Autoren», «freie The­ater­szene», «die bemerkenswertesten Insze­nierun­gen» oder was es son­st so an Auswahlkri­te­rien gibt. Es verknüpft einen gen­reüber­greifend­en The­ater­be­griff mit ein­er the­ma­tisch rel­e­van­ten Codierung und kom­poniert jedes Mal von Neuem eine reich­haltige Mix­tur aus zeit­genös­sis­chen The­ater­sprachen.

 


Auawirleben

Auawirleben, dieses seit 1982 existierende Bern­er The­atertr­e­f­fen, präsen­tiert jährlich während 11 Tagen spek­takuläre The­ater­pro­duk­tio­nen nationaler und inter­na­tionaler Kün­st­lerIn­nen. Den Pro­duk­tio­nen gemein ist jew­eils die the­ma­tis­che Auseinan­der­set­zung mit einem bes­timmten gesellschaftlich aktuellen The­menkom­plex. Die The­ater­pro­duk­tio­nen, die unter dem Label «Auawirleben» durch Beat­rix Büh­ler (kün­st­lerische Lei­t­erin), Ursu­la Freiburghaus, Nico­lette Kretz, Reina Gehrig und Christoph Gorgé nach Bern geholt und in ver­schiede­nen Spiel­stät­ten präsen­tiert wer­den, set­zen sich auf unter­schiedliche Art und Weise mit der gesellschaftlichen Real­ität auseinan­der. Die gezeigten The­ater­for­men sollen dabei die Zuschauer über­raschen, anre­gen, berühren, ver­stören, nach­den­klich stim­men und immer auch unter­hal­ten. Und nicht zulet­zt bietet Auawirleben mit seinen Pro­duk­tio­nen stets die Möglichkeit, sich heuti­gen Struk­turen von The­at­er­ar­beit sowie heuti­gen Pro­duk­tions­for­men, die ein­er zeit­genös­sis­chen Ästhetik entsprechen, zu näh­ern und diesel­ben zu hin­ter­fra­gen.

Foto: Matías Sendón (Szene aus Mar­i­ano Pen­sot­tis «El Pasa­do es un ani­mal grottesco»)
ensuite, April 2011

Artikel online veröffentlicht: 17. Januar 2019