• zurück

Das Berner Symphonieorchester: Weiterhin Spielball der freien Marktwirtschaft – oder Hoffnungsträger? (2. Teil und Schluss)

Von Karl Schüp­bach - Der Poli­tik­er: Wie abgemacht sprechen wir heute über Ihre strik­te Ablehnung der Lohn­er­höhung von 5%, wie sie Herr Häring in seinem Bericht vorschlägt. Ihre Hal­tung ist in der Frak­tion auf totales Unver­ständ­nis, aber auch auf heftige Kri­tik gestossen.

Der Musik­er: das war zu erwarten. Bevor ich materiell auf diese in meinen Augen lei­di­ge Angele­gen­heit einge­he, möchte ich Sie daran erin­nern, mit welchen Tricks Herr Häring das Geld für diese Lohn­er­höhung loseisen wollte: Als ich Ihnen meine Unter­la­gen zukom­men liess, war die Abschaf­fung des Bal­letts noch auf dem Tisch. Damit sollte ein Teil der Lohn­er­höhung finanziert wer­den, zusam­men mit einem Abbau kün­st­lerisch­er Aktiv­itäten. Anders aus­ge­drückt: Das Geld wird gewon­nen durch die men­schlich und kün­st­lerisch mehr als frag­würdi­ge Kündi­gung von zwölf Tänz­erin­nen und Tänz­ern. Heute kön­nen wir zum Glück davon aus­ge­hen, dass in diesem Punkt die Ver­nun­ft gesiegt hat. Die unsin­nige Ein­schränkung kün­st­lerisch­er Aktiv­itäten und Auf­gaben vom BSO und STB sind wohl noch aktuell, wir haben darüber gesprochen, und ich werde noch ein­mal darauf zurück kom­men. Lassen Sie mich fes­thal­ten: Den Mit­teln für eine Gehalt­ser­höhung – für die meine Kol­legin­nen und Kol­le­gen noch dankbar sein sollen – haftet der Geruch zweifel­hafter Manip­u­la­tio­nen an!

Ihre Argu­men­ta­tion mag moralisch und kün­st­lerisch hieb- und stich­fest sein. Aber sind Sie sich­er, dass die Mit­glieder des BSO eine Lohn­verbesserung von 5% Prozent nicht allen Bedenken zum Trotz annehmen möcht­en, weil so mehr Geld auf dem Kon­to ist?

Ich muss Ihnen Recht geben, natür­lich kann ich mir da nicht sich­er sein, ich spreche ja von mein­er Warte aus. Meine langjährige Erfahrung mit Lohn­er­höhun­gen für das BSO ver­an­lasst mich, die Karten auf den Tisch zu leg­en und die im Bericht Häring vorgeschla­gene Gehalt­sauf­besserung als sehr gefährlich, ja als Falle, zu beze­ich­nen. Ein ganzes Beruf­sleben lang hat mich die fol­gende Kri­tik wie ein Axiom begleit­et: Die Lohn­poli­tik in Bern für die Musik­erin­nen und Musik­er des BSO geht seit Jahrzehn­ten von ein­er völ­lig falschen Einord­nung des Berufes aus. Heute sind akademis­che Attribute unab­d­ing­bare Voraus­set­zun­gen, um Mit­glied eines Sym­phonieorch­esters zu wer­den: Matu­ra und Hochschu­la­b­schluss (Mas­ter!). Somit kann es keine Diskus­sion darüber geben, dass die Mit­glieder des BSO einen akademis­chen Beruf ausüben. Vor fast 40 Jahren habe ich in ein­er sehr umfassenden Arbeit diese Tat­sache belegt, wobei ich das Priv­i­leg hat­te, dass namhafte Wis­senschaftler meine Schlussfol­gerun­gen begleit­eten und bestätigten. Aus der Pub­lika­tion wuchs dann eine Lohneingabe an die Sub­ven­tions­be­hör­den, welche die Forderung auf­stellte, die Musik­erin­nen und Musik­er des BSO seien in der Lohn­klasse der Gym­nasiallehrer einzustufen. Die Tat­sache, dass die Vertreter meines dama­li­gen Arbeit­ge­bers (alle übten akademis­che Berufe aus!) meine Lohneingabe Kom­ma für Kom­ma über­nah­men, dürfte wohl als Ali­bi dafür gel­ten, dass es sich bei dieser Ein­stu­fung nicht um das Werk eines ein­samen Spin­ners han­delte. Die Arbeit erregte viel Auf­se­hen, aber sie lan­dete vor meinen Augen in der Tiefe ein­er Schublade des Städtis­chen Finanzdi­rek­tors. Unser Beruf ist in Bern also – seit ich denken kann – falsch eingestuft, und er ist es bis zum heuti­gen Tag geblieben!

Wie fällt denn der Ver­gle­ich mit anderen Schweiz­er Orch­estern aus?

Ich bin froh, dass Sie diese Frage stellen. Vor der erwäh­n­ten Lohneingabe habe ich mehrmals ver­sucht, auf der Basis von Ver­gle­ichen mit Zürich, Basel und Genf eine Sit­u­a­tion zu kor­rigieren, die für Bern ganz ein­fach beschä­mend ist. Die Antwort war stereo­typ immer dieselbe: In den erwäh­n­ten Städten seien die Leben­skosten höher, und das Orch­ester in Bern sei nicht aus­ge­lastet. Aus diesem Grunde habe ich den Weg des Ver­gle­ich­es ver­lassen, um in Bern einen akademis­chen Beruf zu find­en, der in punc­to Anforderun­gen während des Studi­ums und bei der Beruf­sausübung deck­ungs­gle­ich ist.

Kön­nen Sie diese Aus­sagen in Hin­blick auf den Vorschlag ein­er Lohn­er­höhung von 5% Prozent präzisieren?

Das bin ich Ihnen schuldig, und ich belege gle­ichzeit­ig, warum ich den Vorschlag von Her­rn Häring als Falle beze­ichne. Von ein­er Gagen­er­höhung um 5% Prozent hört man sel­ten, daher tönen diese Schalmeien­klänge höchst ver­führerisch, beim ersten Hin­hören. Per­fider­weise nen­nt der Bericht aber keine Zahlen, von ein­er Ein­stu­fung des Berufs ste­ht kein Wort! Zahlen werde ich auch keine nen­nen, die Gefahr von Falschaus­sagen ist mir zu gross. Betra­cht­en wir aber die soziale Ein­stu­fung der Mit­glieder des BSO: Ich habe soeben von der berechtigten Forderung nach ein­er Ein­stu­fung in die Lohn­klasse der Gym­nasiallehrer gesprochen. Tat­sache ist aber: Die Musik­erge­häl­ter sind in Bern wesentlich tiefer als diejeni­gen von Pri­mar­lehrerIn­nen! Die Erhöhung um 5% bedeutet zwar mehr Geld, aber sie schafft die unmögliche Ein­stu­fung nicht aus der Welt. Auf Jahre hin­aus wür­den weit­ere Vorstösse als krasse Anmas­sung gebrand­markt, nach ein­er erhal­te­nen Auf­besserung in der erwäh­n­ten Höhe. Zur Abblock­ung weit­er­er Begehren käme noch ein weit­eres – alt­bekan­ntes – Argu­ment zur Anwen­dung: Das Orch­ester ist ja gar nicht aus­ge­lastet. Sie ver­ste­hen wohl, dass ich auch aus diesem Grunde eine Reduk­tion der Aktiv­itäten des BSO so vehe­ment bekämpfe: Sie ist nicht nur kün­st­lerisch unver­ant­wort­bar, sie würde sich auch bei kün­fti­gen Lohn­ver­hand­lun­gen als Bumerang erweisen. Nochmals: Bei genauem Hin­se­hen ist der Vorschlag ein­er Auf­besserung von 5% eine sehr geschickt gestellte Falle!

Mir ist völ­lig unklar, wie Sie aus diesem Dilem­ma her­aus­find­en wollen: Sie beschreiben eine abso­lut falsche soziale Eingliederung des Berufes, gle­ichzeit­ig lehnen Sie eine Lohn­er­höhung ab, die – zugegeben­er­massen – keine defin­i­tive Kor­rek­tur mit sich brin­gen kann?

Mit dem Wort «defin­i­tiv» ist meine Antwort auf Ihre wahrlich sehr gewichtige Frage angetönt. Angesichts der riesi­gen Dif­ferenz zwis­chen der heuti­gen Lohn­si­t­u­a­tion und ein­er vorzunehmenden Ein­stu­fung in Rich­tung anspruchsvoller akademis­ch­er Berufe, ist es unmöglich, von ein­er ein­ma­li­gen Lohn­er­höhung zu sprechen, dies in einem einzi­gen Schritt, auch wenn er 5% bein­hal­tet. Man müsste vielmehr von ein­er mit­tel­fristi­gen Finanzpoli­tik sprechen, die in verbindlichen Etap­pen zum Ziel führen müsste.

Dieser über­raschen­den Antwort kann ich zus­tim­men.

Ich hoffe, dass unsere Gespräche in ein­er Form, die ich jet­zt nicht definieren kann, den Beginn eines Umdenkens im Kon­takt zwis­chen Poli­tik und Kul­tur bewirken wer­den. Ich zögere nicht, Ihnen Recht zu geben: das Über­leben der men­schlichen Gesellschaft hängt wesentlich davon ab.

Foto: zVg.
ensuite, März 2009

Artikel online veröffentlicht: 9. Oktober 2018