Von Ursula Lüthi - Berufe und Burnout Die Antworten auf Fragen können für Menschen eine existenzielle Bedeutung gewinnen. Wie Fragen zum Beispiel: Was lässt Menschen ausbrennen? Was ist das Wesen dieses Zustandes? Und wo liegen die Ursachen? Oder was kann man dagegen tun? Denn es geht hier um das Überleben in Arbeits- und Lebensbedingungen, die von vielen engagierten und wertvollen Menschen kaum oder nicht mehr ertragen werden, so nach Aronson, Pines und Ditsa. Umgangssprachlich und in der herkömmlichen Burnout-Forschung wurden die Pflegeberufe, die Sozialdienste sowie die Berufe im Umgang mit Menschen als typische Umfelder, in denen Burnout «passieren» kann, herausgestrichen. Doch lässt sich das Phänomen genauso gut im familiären Umfeld und im partnerschaftlichen Bereich feststellen. Nicht das Tun ist massgebend, sondern das Empfinden von Befriedigung und Selbst-Akzeptanz gehören zur Einstufung, ob Burnout ansteht oder nicht. Aus diesem Grund kann nicht einzig Stress als Kriterium genommen werden. Denn Stress kann genauso gut ein konstruktives Kriterium sein, wenn es darum geht, sich in seinem Umfeld zu orientieren beziehungsweise Motivation und Befriedigung gesund einstufen zu können. Ein ausgebrannter Mensch hat zuallererst gebrannt in seinem Umfeld, bevor er sich ausgebrannt wiederfindet. Im ausgebrannten Zustand kann von einer Orientierungslosigkeit oder einer Haltlosigkeit von Werten gesprochen werden. Diese Haltlosigkeit leitet praktisch einen Strudel von Sinnlosigkeit ein sowie eine unausgeglichene Selbstwerteinschätzung. Sven Max Litzcke und Horst Schuh meinen kurz: «Inzwischen gibt es kaum einen Beruf, in dem nicht auf irgendeine Weise die Gefahr des ‹Ausbrennens›» besteht.» Es wird deutlich, dass engagierte Menschen sich während der Wahrnehmung der Pflichten und mit der Zeit innerhalb des Umfeldes so stark ausrichten, dass die Anerkennungsspirale mit Wertung von Preis und Leistung wächst. Selbstbestimmtes «Jetzt-ist-genug» und «Ich-erlaube-mir-hier-Aufzuhören» zeigen sich meist erst mit der brüsken Kündigung eines Mitarbeiters, der innerlich realisiert, dass ihm unter dem Stempel der «Professionalität» im gehetzten Tagesablauf die Lebensfreude oder die Leistungsbereitschaft abhanden gekommen sind. Eine veränderte Wahrnehmung zum Leistungs- und Zeitverhältnis stellt sich nach Viviana Simonetta Abati bei jedem dieser Resultate ein: «Produktionsverlust, Lohnausfallkosten, Krankentaggeld-Kosten, Langzeitausfälle, Mehrbelastung der anderen Teammitglieder und dadurch erhöhte Ausfallgefahr anderer Personen, Unruhe und Unsicherheit bei den anderen Mitarbeitenden, Belastung der Unternehmenskultur, sinkende Identifikation mit dem Unternehmen der verbleibenden Mitarbeitenden, Misstrauen, usw.» Was ist denn das ausgleichende Pendel in die andere Richtung? Man könnte fast meinen, dass das Zaubermittel gegen das Ausbrennen sich mit Geduld beschreiben liesse, doch welches Umfeld möchte denn Mitarbeiter heute noch «dulden»? In der Ironie der Frage lässt sich lesen, wie ein menschliches Wesen im industriellen Zeitalter mit rasanten technologischen Entwicklungen und kommunikationsreichen Zellen sich zurechtfinden darf: Was ist Menschlichkeit und was ist Menschlichkeit heute? Ist Burnout möglicherweise ein Syndrom, das der industriellen Revolution zuzuschreiben ist oder doch eher einer Entwicklung der Menschen innerhalb einer jeder Gesellschaftsform?
Angepasst und fröhlich In ihrem Buch zur Burnout-Forschung schreibt Ina Rösing, dass Burnout nicht nur sehr verbreitet sei, sondern auch eine hohe gesellschaftliche Relevanz aufweise. Burnout sei in verschiedenen Bereichen des Lebens zu finden, doch in Bezug auf den Beruf am meisten untersucht worden. Im Beruf werde oft interpretiert, dass ein Berufstätiger hinter dem Begriff Burnout seine Lustlosigkeit, Faulheit oder Arbeitsunzufriedenheit verstecke, jedoch kann ebenso gut ein ernst zu nehmender Zustand dahinter stecken. Diesen Fragen geht Ina Rösing im Vergleich zu anderen Kulturen und ähnlichen Phänomenen wie dem «Seelenverlust in den Anden» oder dem «Seelenverlust im Himalaya» nach. In der herkömmlichen westlichen Forschung spielen Gleichgewichtsmodelle und Emotionstheorien eine zentrale Rolle, wobei die Betroffenen als «ausgebrannte Figuren» und «zartbesaitete, instabile, klagende und stöhnende Zeitgenossen» verstanden werden und «aufgefangen, geschützt und geheilt werden, damit sie dann wieder funktionstüchtig in den Betrieb, in die Arbeitswelt, in die Wirtschaft und in unsere Gesellschaft eingegliedert werden können.» Rösing hebt Gegentendenzen hervor, wobei sie versucht, die Pathologisierung beziehungsweise «das Prinzip vom Individuum selbst zu verantwortende Zustand einer fehlangepassten Persönlichkeit zu sehen.» Dies in Aussicht auf einen Menschen, der angepasst ist: «Angepasst ist ein Mensch, der unter allen Bedingungen fröhlich arbeitet und lebt.» Interessant ist dieser Ansatz der positiven Psychologie in den Gegentendenzen, welcher auf der subjektiven Ebene «wertvolle subjektive Erfahrungen: Wohlbefinden, Zufriedenheit und Erfüllung (in der Vergangenheit); Hoffnung und Optimismus (im Blick auf die Zukunft); und flow (Fluss) und Glück (in der Gegenwart) anordnet. Auf der individuellen Ebene geht es um positive individuelle Eigenschaften: die Fähigkeit zur Liebe und Hingabe, um Mut, interpersonelles Geschick, Sinn für Ästhetik, Ausdauer, Versöhnlichkeit, Originalität, Zukunftsgericht-Sein, Spiritualität, Talent, und Weisheit. Auf der kollektiven Ebene geht es um gesellschaftliche Tugenden und um Institution, welche die Menschen zu einem besseren Umgang miteinander bewegen: Verantwortung, Sich-Kümmern, Altruismus, Höflichkeit, Mässigung, Toleranz und Arbeitsmoral.» Diese Wahrnehmung beinhaltet mehr Nähe zum Menschen als zur Industrie. Daher kann dem Ansatz ein gesundheitsorientiertes und eine kulturell unabhängige Konnotation zugeschrieben werden.
Die Forschung Die demografische Variable in der Burnout-Forschung nach Schaufeli und Enzmann, welche am ehesten mit Burnout korreliert, ist das Alter: Ältere Arbeitnehmer haben eher weniger Burnout, dazu passt, dass auch die Arbeitserfahrung (Arbeitsalter, Länge der Tätigkeit innerhalb eines Berufs) eher negativ mit Burnout korreliert. Rösing erläutert weiter: «Gefährdet also sind besonders jene Menschen, die in ihrer Arbeit den eigentlichen Sinn ihres Lebens suchen, darin aber enttäuscht werden.» Burnout betrifft die Gesellschaft als Produktivitätsumlagerung. Rösing platziert den Begriff Burnout als «überwiegend ein Produkt westlicher, industrieller, kapitalistischer Staaten.» Sie führt aus: «Ein Blick in andere Kulturen zeigt, dass emotionale Erschöpfung [eine Komponente von Burnout] sicher kein schlechter Kandidat für transkulturelle Gültigkeit ist beziehungsweise universell vorkommt, ebenso wie Freude, Trauer und andere Grundemotionen.» Einzig die Auslöser, Ausdruckformen, Verhaltensumsetzungen dieser Grundemotionen sind kulturell unterschiedlich. Rösing rundet ab mit dem Gedanken an die Forschung selbst: «Wenn man bedenkt, wie viele Berufe es noch zu untersuchen gäbe und wie viele Länder und Kulturen, so sieht man mit einigem Schrecken eine neue Welle monotoner Burnout-Forschung auf einen zukommen.» Es gilt demnach aufzupassen, dass die Burnout-Forschung nicht selber ausbrennt. Alle Quellenreferenzen sind aus gestalterischen Gründen unterlassen.
ensuite, November 2009