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Das jüngste Gericht

Von Lukas Vogel­sang - Die Schweiz ist ein lustiges Land, das haben wir hier schon ein paar Mal erwäh­nt. Im Früh­som­mer des Aprils, mit unseren Sen­nenkäp­pli und Alphörn­ern, spie­len wir unsere Sand­kas­ten­spielchen. Fein­staub und Katzenkot sehen wir natür­lich nicht. Zwis­chen­durch zer­stören wir des Nach­bars Sand­burg und dann lachen wieder alle. Nur jen­er vor dem getrüm­merten Sand­haufen rumpelt fünf Minuten vor sich hin, spielt dann aber wieder munter weit­er. Der Sand­kas­ten hat einen Namen: «Demokratie». Und jed­er und jede, die darin spie­len wollen, erhal­ten genü­gend Becherchen, Schäufelchen und Kesseli — eben ganz sozial­is­tisch, kom­mu­nis­tisch, kap­i­tal­is­tisch, nation­al­is­tisch, vio­lett, dunkel­blau und pink… Es ist alles demokratisch und hat bestens Platz im Sand­kas­ten.

Die Schweiz­er spie­len also in der «Demokratie», das Spiel heisst «Neu­tral­ität». Und wir müssen uns um nichts sor­gen, denn alle wis­sen: Wenn in der Demokratie mal etwas nicht klar ist, dann gibt’s ein Gericht. Also, nicht ein demokratis­ches Gericht, son­dern eines, das alles weiss, eines, welch­es über allem ste­ht: das Mil­itärg­ericht. Und da ein Mil­itärg­ericht nicht demokratisch ist, muss es sich nicht um Sozial­is­ten, Kom­mu­nis­ten, Kap­i­tal­is­ten und Nation­al­is­ten küm­mern. Nur um die Jour­nal­is­ten. Dieses Lumpen­pack hat näm­lich die Eigen­schaft, den Schweiz­ern in der «Demokratie» die Spiel­regeln zu erk­lären, aber allem Anschein nach die falsche Ver­sion. Doch das ist ein alter Sand­kas­ten­hut (www.schlapphut.ch).

Nun, im ganzen Dra­ma ging’s ja eigentlich um die Frage der Exis­tenz von CIA-Gefäng­nis­sen in Europa. Das ominöse Fax, mit den ver­al­teten Infos, das ein paar dreiste Jour­nal­is­ten veröf­fentlicht­en, war nur deswe­gen brisant, weil es zeigte, dass die Schweiz befre­un­dete Regierungs­botschaften überwacht oder abhöhrt. Es ging nicht um uner­laubte CIA-Gefäng­nisse. Die Jour­nal­is­ten mussten deswe­gen vor ein Son­derg­ericht, eben dem Mil­itärg­ericht, weil sie Infor­ma­tio­nen veröf­fentlicht hat­ten. Das macht alles total Sinn. Man fragt sich allmäh­lich, wer hier in der Schweiz das Sagen hat: das Mil­itär oder das Mil­itär?

In diesem Zusam­men­hang ist etwas Lustiges mit dem explodierten Tor­na­do in Lauter­brun­nen passiert. Eigentlich ist da ein Flugzeug verunglückt, nur war es ein deutsches Kriegs­flugzeug auf einem ange­blichen Train­ings­flug. Nun stellt sich her­aus, dass auch andere Kriegs­flugzeuge in der Schweiz trainieren — für vielle­icht Afghanistan oder so. Also, nicht nur die Flieger, son­dern auch am Boden spie­len ein paar Sol­dat­en aus anderen Län­dern. Das Mil­itär hat damit wieder über den Sand­kas­ten hin­weg entsch­ieden. Natür­lich sind damit für den Schweiz­er und die Schweiz­erin nur ein paar Sand­bur­gen kaputtge­gan­gen — wenn über­haupt. Die Tor­nadoaf­färe klingt wie eine miss­lun­gene Geheim­op­er­a­tion, die dum­mer­weise in der Öffentlichkeit explodierte. Dumm gelaufen, ein fremder Tor­na­do sollte nicht alleine in der Schweiz rumkur­ven kön­nen — schon gar nicht, wenn er seine Fluger­laub­nis erst in Emmen in Emp­fang nimmt. Es war immer nur von einem Flieger die Rede. Ges­pan­nt warteten wir also auf die Auswer­tung des Flugschreibers — mit der Gewis­sheit, dass uns das Mil­itär sich­er nicht erk­lären wird, was wirk­lich geschehen ist. Und es ist schw­er anzunehmen, dass die Jour­nal­is­ten keine Fra­gen stellen wer­den — wenig­stens keine ele­mentaren und unan­genehmen. Zum Beispiel wäre da die Erken­nt­nis, dass der Flugschreiber über­haupt nichts mit der Fluger­laub­nis zu tun hat­te. Und so warteten alle auf die «Pub­lic-Relat­ed-Mes­sages», eine durchgeknetete Schön­wet­ter­nachricht, auf­bere­it­et für die Medi­en mit dem Inhalt: Alles unter Kon­trolle.

Zum Glück haben die Schweiz­erIn­nen in den April­fe­rien eh nichts mit­bekom­men und nachträglich Fra­gen zu stellen, schickt sich nicht, der All­t­ag stellt uns vor ganz andere Prob­leme. Und da «20 Minuten» die meist­ge­le­sene Zeitung ist, müssen wir uns nicht um unsere demokratis­che Sand­burg ban­gen. Unser jüng­stes Gericht, das Mil­itärg­ericht, wird’s richt­en.

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch
ensuite, Mai 2007