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Menschen & Medien: Das Mass aller Dinge

Von Lukas Vogel­sang — Mil­lio­nen, Mil­liar­den, Bil­lio­nen – kein Men­sch kann sich in seinem kleinen Hirn solche Zahlen vorstellen, noch die Dimen­sion fassen. Doch «Otto-Nor­malver­brauch­er» ver­hält sich, als rede er vom Rest­münz in sein­er Tasche, das zeigt sich bei Euromil­lio­nen-Diskus­sio­nen sehr schön.

Die Medi­en machen es vor: Masse ist gefragt, gröss­er und wilder denn je. Zum Schluss wird alles geschüt­telt und gerührt und es weiss eigentlich kein Men­sch mehr, wovon wir sprechen. Das Meiste von dem, was wir kaufen, kostet uns weniger als der vernün­ftige Her­stel­lung­spreis. Irgend­wo muss die Kalku­la­tion also einen Rech­nungs­fehler aufweisen. Nur glauben will das die Bil­ligge­sellschaft im Aktion­s­jan­u­ar sich­er nicht: Solche Aktion­shäp­pchen wären aber grad das erste Warnsignal für eine Finanzkrise.

Es sind keine Rela­tio­nen mehr möglich. Zahlen wer­den ohne zu reflek­tieren aneinan­der gerei­ht und uns an den Kopf gek­nallt. Wenn in Rus­s­land Gazprom den Gashahn für die Ukraine zudreht, wird in den Nachricht­en nur über ein zu teures Ange­bot von Rus­s­land an die Ukraine gere­det, nicht aber dessen Preisver­hält­nis zum Europa­preis erwäh­nt. Natür­lich spricht auch nie­mand über die Höhe der Gass­chulden der Ukraine, die sich doch immer­hin auf 2.1 Mil­liar­den Dol­lar belief. Im Ver­gle­ich dazu: Die Telekom­mu­nika­tions­fir­men in der Schweiz drehen den Gesprächshahn bere­its zehn Tage nach der ersten Mah­nung zu. Egal ob sich die Schuld nur auf 50 Franken beläuft. Immer­hin lernt so unsere Jugend den Umgang mit dem grossen Geld. Denn hät­ten unsere Vor­gen­er­a­tio­nen auch bess­er in kleinen Beträ­gen gel­ernt, als uns jet­zt diese Unsum­men unter dem Tep­pich wegzustehlen.

Sich­er, auch Barack Oba­ma hat im let­zten Jahr viele Dimen­sio­nen gebrochen. Aber so richtig an diese Unzahlen gewöh­nen kann man sich kaum – schon gar nicht, wenn das nor­male Einkom­men unge­fähr 0.00085 Prozent vom Schweiz­er Banken­hil­f­s­paket entspricht. Genau, 70 Mil­liar­den, oder eben 70-tausend Mil­lio­nen, will unsere Poli­tik den Banken auslei­hen. Im Ver­gle­ich dazu: 6’749’371’000 Men­schen leben auf dem Plan­eten. Auf der Suche nach Zahlen stiess ich im Inter­net auf fol­gende Schlagzeile (vom 25. Novem­ber 2008): «Eine Mil­lion Ton­nen Muni­tion auf dem Meeres­grund. Nach Kriegsende (ca. 1949) wurde in der Nord­see massen­haft Muni­tion entsorgt: Experten war­nen vor ein­er Verseuchung. Das nieder­säch­sis­che Umwelt­min­is­teri­um spricht dage­gen von Panikmache. Dabei ist bekan­nt, dass Kampfmit­tel nach 60 bis 70 Jahren im Meer zer­set­zt sind und ihr tödlich­es Gift ins Wass­er strömt.» Igitt, mir ist nur noch schlecht. Ich will nicht wis­sen, wie es in anderen Eck­en dieses Plan­eten aussieht. Der Ham­mer ist allerd­ings das Erdöl: Ab Jan­u­ar 2009 wer­den pro Tag 25 Mil­lio­nen Bar­rels, oder eben 19’875 Mil­lio­nen Liter (ein Bar­rel = 159 Liter), pro­duziert – und wohl auch ver­braucht. Das ist eine Ver­puffung von 1’450’875 Mil­lio­nen Liter pro Jahr. Ich glaube, wir dür­fen berechtigt von einem Ökokol­laps reden und es ist auch kein Wun­der, wenn das Eis schmilzt. Net­ter Ver­gle­ich: Ein Kinder­schwimm­beck­en im Hal­len­bad braucht cir­ca 350’000 Liter Wass­er.

Aber diese Zahlen kom­men schon einiger­massen in die Region des amerikanis­chen Banken­hil­fepakets (gefordert wur­den 300 Mil­liar­den), das geforderte Sozial-Sanierungspaket von 1 Bil­lion Dol­lar von Barack Oba­ma oder an die existierende Gesamtver­schul­dung der USA (ca. 10 Bil­lio­nen – je nach Dol­larkurs). Toll. Da ist der neue Bond­film wirk­lich nur ein Klacks: Der hat allein am ersten Film­start­woch­enende 70 Mil­lio­nen Dol­lar einge­spielt und gilt als der Kino­hype vom 2008, der Film läuft seit Novem­ber 08 noch immer in den Kinos.

Das Balzver­hal­ten der Men­schheit scheint schw­er gestört. Seit zwei Jahren reden wir nur noch in Mil­lio­nen und ver­suchen damit zu imponieren, dabei kön­nen wir diese nicht mal fassen. Früher, da guck­te Mann noch in die Hose, hat­te Würde und Stolz. Fass­bar war das und real, hat imponiert und fasziniert. Doch von diesem Massstab geblieben ist nur noch die Hose.

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ensuite, Jan­u­ar 2009