Von Luca D’Alessandro — Interview mit Gabriele Pezzoli: Der Tessiner Pianist Gabriele Pezzoli kommt ins Moods nach Zürich. Am 22. Dezember stellt er gemeinsam mit Cédric Gysler am Bass und Roberto Titocci am Schlagzeug sein Konzept eines Rendez-vous vor. Das gleichnamige Album führt er mit im Gepäck.
Am Lago Maggiore lebt ein Monster – «il mostro del pianoforte», wie der Jazzpianist aus Losone, Gabriele Pezzoli, in Tessiner Jazzkreisen hochachtungsvoll bezeichnet wird. Nach Abschluss seines Musikstudiums in Lausanne macht sich der Tessiner gemeinsam mit dem Kontrabassisten Cédric Gysler und dem Schlagzeuger Roberto Titocci auf, um schrittweise die Jazzbühnen im Tessin und Norditalien zu erobern. Das Unterfangen gelingt. So gut, dass das Montreux Jazz Label Gefallen an Pezzoli findet und die Kosten für die Produktion zweier Tonträger übernimmt. «Rendez-vous», das zweite Album, ist seit April 2009 auf dem Markt und setzt im Bereich des Piano-Jazz neue Massstäbe.
ensuite — kulturmagazin hat sich das Album geschnappt und sich über das Coverbild mit dem kargen Baum und den daran hängenden roten Pullis gewundert. Gabriele Pezzoli half mit bei der Deutung des Bildes und gab mit seinen Argumenten einen Vorgeschmack auf das bevorstehende Konzert im Moods in Zürich.
ensuite — kulturmagazin: Gabriele Pezzoli, das Feedback auf dein Album ist – durchs Band weg – positiv. Wie erklärst du dir diesen Erfolg?
Gabriele Pezzoli: Vermutlich hat das mit der ausserordentlich guten Qualität der Aufnahmen zu tun.
Du gibst dich bescheiden. Die musikalische Substanz ist doch auch was Wert.
Natürlich, ich möchte jedoch die Qualität der Aufnahmen hervorheben. Diese sind im Artesuono Recording Studio in Udine, Norditalien, entstanden. Artesuono ist eines der besten Aufnahmestudios überhaupt in Europa, dessen Besitzer, Stefano Amerio, sich im Gebiet der Akustikaufnahmen einen Namen gemacht hat und genau weiss, worauf es ankommt.
Im Albumbooklet ist ein weiteres Studio erwähnt: Das Canaa Studio in Losone, deiner Heimatgemeinde. Gehört das dir?
Nein, Mauro Fiero. Im Canaa haben Roberto Titocci, Cédric Gysler und ich den Feinschliff gemacht, also jenes Material, welches wir in Udine aufgenommen hatten, gestrafft und passend zusammengefügt. Am Ende ist das entstanden, was wir uns vorstellten.
Das wäre?
Die Vertonung unseres Konzepts einer Begegnung – eines Rendez-vous.
In deinem Fall keine einfache Aufgabe: Jedes Mitglied des Trios lebt in einer anderen Schweizer Stadt.
Cédric Gysler und Roberto Titocci haben mit mir in Lausanne Musik studiert. Bereits während des Studiums arbeiteten wir gemeinsam in verschiedenen Projekten. Danach trennten sich zwar unsere Wege, trotzdem ist der Kontakt geblieben. Wir pflegen einen regen Austausch, dies mithilfe der modernen Kommunikationsmittel.
Man könnte demzufolge behaupten, dass die CD «Rendez-vous» die Begegnung unter euch Musikern versinnbildlicht?
Durchaus. In einem Rendez-vous fliessen verschiedene Energien zusammen. Zwei oder mehrere Personen beschliessen, sich zu treffen, mit der Absicht, Erlebtes und Bevorstehendes zu diskutieren. Dafür legen sie einen Termin fest. Ob das Rendez-vous am Ende telefonisch, übers Internet oder an einem definierten Ort stattfindet, ist sekundär. Einzig der Zeitpunkt muss harmonieren.
Und vermutlich auch der Inhalt der Diskussion.
Am Anfang nein, am Ende ja. Wenn wir uns treffen, geht es erst einmal darum, unsere Ideen und Visionen, seien sie noch so unterschiedlich, unter einen Hut zu bringen. Das ist gar nicht so einfach, der Nebeneffekt aber ist sehr positiv: Die Kreativität geht uns nicht aus, dadurch sind auch unsere Konzerte nie gleich. Es gibt kaum etwas, das wir vorhersagen könnten. Die Improvisation geniessen wir in vollen Zügen.
Auch eine Improvisation muss nach einem vordefinierten Schema ablaufen.
Den Pfad, den wir an unseren Konzerten begehen, geben wir in den ersten drei Tönen vor. Wir definieren einen Startpunkt und der Rest ergibt sich von selbst. Wir sind ein eingespieltes Team, hören uns zu, jeder wagt einen Schritt nach vorne, dann wieder einen zurück. Schritt für Schritt entsteht aus dieser Arbeit eine Geschichte, von der nicht einmal wir wissen, wie sie enden wird. Die Stimmung während des Konzerts beeinflusst diesen Weg wesentlich.
Zuerst kommt also die Stimmung und dann die Geschichte?
So ist es.
Eure scheint eine abstrakte Geschichte zu sein. Beim Betrachten des Albumcover fällt ein Baum ohne Blätter auf. An ihm hängen vier rote Pullis. Das Ganze macht einen bedrückten Eindruck.
Nein, das finde ich nicht. Ein Baum, der keine Blätter trägt, kann voller Hoffnung sein. Die Hoffnung, dass etwas wachsen wird, oder anders gesagt, dass aus diesem leblosen Zustand Leben entsteht. Ehrlich gesagt, weiss ich auch nicht, weshalb wir uns am Ende für dieses Coverbild entschlossen haben. Vermutlich deshalb, weil das Bild während der Produktion des Albums die hitzigsten Diskussionen entfacht hat. Oftmals haben wir uns gefragt: «Weshalb spricht uns dieses Bild so an? Weshalb hängen an ihm vier Pullis und nicht drei? Wir sind doch ein Trio.»
Habt ihr eine Antwort auf eure Fragen gefunden?
Für mich steht der vierte Pulli für all die Leute, die wir auf unserem musikalischen Weg getroffen haben und in Zukunft treffen werden: Journalisten, Tour-Manager, Techniker, Publikum. Wer auch immer: Für mich ist das Cover das perfekte Symbol eines «Rendez-vous».
Diskographie
Vilijandi, 2015
Rendez-vous, 2009 (TCB)
Improvviso, 2006 (TCB)
Infos: www.tcb.ch
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2009