Von Alexandra Portmann — Wie wird ein Berner Stadtoriginal zum Musicalstar? Die Antwort ist leichter als gedacht: Mit Einkaufstüten von Coop, auf denen das Gesicht von Hanspeter Müller-Drossaart als neuer Dällebach Kari abgelichtet ist, einem Musical-Trailer im Fernsehen, der grosse Gefühle und monumentale Erlebnisse verspricht, und einer menschengrossen Bronzestatue des Dällebach Kari, die die Berner vor die Frage stellt, ob nun der Antrag des SVP Stadtrats Peter Bühler, dem Stadtoriginal ein Denkmal zu errichten, angenommen wurde. Fakt ist, Dällebach Kari als Musicalstar ist in aller Munde. Am 14. Juli 2010 feiert die Gigantenproduktion der Thuner Seespiele Premiere. Doch ist eine Umdeutung eines Stadtoriginals zum Musicalstar möglich? Die Produktion «Die Dällebach-Macher. Das Musical zum Musical» von Pascal Nater, Michael Glatthard und Olivier Bachmann macht diese Frage zum Programm und ist ab dem 30. Juni, knapp zwei Wochen vor dem grossen Musicalspektakel, im Tojo Theater in Bern zu sehen.
Dällebach Kari war ein tragischer Trinker, der sich nur dank seines beissenden Humors im sozialen Umfeld behaupten konnte und sich zu einem Stadtoriginal entwickelte. Die traurige Geschichte Dällebachs, die in den engen Gassen Berns spielt, war schon oft Motiv für verschiedene Bearbeitungen. So erschien 1970 der Film «Dällebach Kari» von Kurt Früh mit der Musik von Tibor Kasics. Auch Mani Matter schrieb ein berühmtes Chanson über ihn. Diese ruhigen, feinen Bearbeitungen des Stoffes stehen in klarem Kontrast zur gross aufgezogenen Medienkampagne im Vorfeld der Thuner Seespiele sowie den monumentalen Musicalsongs, wie sie auf der Homepage zu finden sind. Für die aktuelle Bearbeitung des Stoffes über das Berner Stadtoriginal wurde die Berliner Creative Agency engagiert. Ganz nach dem Motto «Das Original ist optimal» gehörte es zu ihren Hauptaufgaben, neue Musicals und Theaterstücke aus lokalen Geschichten zu kreieren und umzusetzen. Doch Form und Inhalt der jüngsten Version des «Dällebach Kari» passen für Pascal Nater, der die Produktion «Die Dällebach-Macher» ins Leben gerufen hat, nicht zusammen. Deshalb hat er angefangen, über die Thuner Produktion zu recherchieren und festgestellt, dass das Musicalmachen selbst ein Thema ist, über das man ein Stück machen kann.
«Die Dällebach-Macher» ist ein Abend mit zwei ineinander verstrickten Ebenen. Die erste Ebene bildet ein Vortrag über die recherchierten Ergebnisse, die zweite ist ein Musical über die Musicalmacher selbst. Durch das Hineinrutschen in die Musicalform wird das Musical als Genre thematisiert. «Es handelt sich nicht etwa um eine alternative oder bessere Darstellung des Dällebach-Kari- Stoffs, sondern darum aufzuzeigen, wie das Creative Team in Thun zu diesem Thema arbeitet, wie ein Musical aus diesem Stoff entsteht», erzählt Olivier Bachmann. Die Geschichte des Dällebach Kari rückt somit in den Hintergrund. «Dass wir selber ein Musical über das Musicalproduzieren machen, ist mitunter ein Mittel, gerade die Inkonsistenz aufzuzeigen, die die Thuner Produktion hat», so Pascal Nater.
Pascal Nater und Michael Glatthard wollen bezüglich ihrer selbst komponierten Musik alles offen lassen. «Die Spannweite geht von sehr feinen, einfachen Melodien wie im Film über Mani Matter bis zu überorchestrierten Fortissimo-Tiraden, wie sie in Thun von einem 40-köpfigen Orchester und einem Chor umgesetzt werden. Das alles gehört zum Thema und macht riesig Spass, es zu zweit auf der Bühne herzustellen» erzählt Pascal Nater. Obwohl die Bühne mit Dia- oder Hellraumprojektor eher am dokumentarischen Teil ausgerichtet ist, geht es Michael Glatthard nicht um die trockene Wiedergabe der Rechercheergebnisse: «Neben der Musik entstehen immer wieder witzige Situationen, die den Abend bunt gestalten. Wir gehen spielerisch mit dem Thema um und versuchen zu zeigen, wohin uns unsere Recherche und unsere Ideen treiben.» So vielfältig wie die Musik, ist also auch das Bühnengeschehen, für das viele Tricks des Theaters, wie Licht- und Soundeffekte, eingesetzt werden. Von der Frage geleitet, ob das Original wirklich auch «optimal» ist, entsteht ein humorvoller und lebendiger Theaterabend, den man nicht verpassen darf.
Foto: Manuel Uebersax
ensuite, Juni/Juli 2010