Von Dr. Regula Stämpfli - Götz Aly hat erneut ein bemerkenswertes Buch geschrieben: „Europa gegen die Juden von 1880–1945.“ Wer jetzt mit den Schultern zuckt und seufz: „Nicht schon wieder“, sollte eigentlich geohrfeigt werden. Denn besonders unter den aufgeklärten, jungen und wilden Linken drohen die politischen Erkenntnisse zu Völkermord, Rassismus und Vernichtung in einem oberflächlichen Pussy-Bad zu Identität, Biopolitik und Politwerbung unterzugehen. Ebenso muss dieses Buch in den antisemitisch sozialisierten Migrantenmileus Verbreitung finden. Denn es ist nicht einfach ein Geschichtsbuch, sondern auch eine Analyse unserer Zeit.
Götz Aly erklärte in seinem Gespräch während der Leipziger Buchmesse siehe (https://www.zdf.de/kultur/das-blaue-sofa/das-blaue-sofa-2017-leipzig-180.html siehe „Das Blaue Sofa“ vom 25.3.2017)“, was es mit seinem neuen Buch auf sich hat. Ich fasse die Punkte mit meinen Überlegungen zusammen:
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Erstens: Europas Antisemitismus ist nicht religiös, sondern wirtschaftlich motiviert.
Zweitens: Europas Antisemitismus verläuft entlang dem klassischen Stadt-Land-Konflikt.
Drittens: Europas Antisemitismus zeigt sich nicht nach Ländern unterschiedlich, sondern nach urbanen, intellektuellen und städtischen Milieus.
Viertens: Europas Antisemitismus ist mit Fug und Recht als klassisch europäisch zu verstehen. Der deutsche Judenhass bot den Mord-Auftakt mit der Legalisierung der Entrechtlichung und Vernichtung von Menschen, aber die Shoa ist keine nur deutsche, sondern eine zutiefst europäische Angelegenheit.
Fünftens: Europas Antisemitismus speist sich medial gerne aus Ressentiments, Neid und kollektiven Schuldzuweisungen – nicht zuletzt auch in den intellektuellen Milieus oder „verängstigten“ Mittelstand.
Sechstens: Die jüdischen Europäer sahen und sehen sich stärker als Europäer denn als „jüdisch“ – bei den nicht-jüdischen Europäern ist die Wahrnehmung oft genau umgekehrt: damals wie heute.
Götz Alys Bücher bereichern jede Forschung zum europäischen und globalen Antisemitismus. Alys Bücher müssten auch international vermehrt in die Debatten zur Europäischen Union, deren Verfassungszustand und Zukunft einfliessen, denn etwas wurde mir bei der Lektüre von Aly ungemütlich klar:
Der Antisemitismus und Europa lassen sich nur trennen, wenn Europa demokratisch verfasst und zivilgesellschaftlich organisiert ist. Das Europa der Konzerne, das Europa der falschen Toleranz gegenüber antisemitischen Strömungen der zweiten und dritten Generation der muslimischen Einwanderer, das Europa der Nationen, das Europa der grossen Männer statt der vielfältigen Menschen, bleibt ein mörderisches Europa.
Götz Aly
Europa gegen die Juden 1880 — 1945
Hardcover
Preis € (D) 26,00 | € (A) 26,80
ISBN: 978–3‑10–000428‑4