Von Dr. Regula Stämpfli — Von 2011 bis 2015 filmte Thilo Hagendorff heimlich in deutschen Schweine-Schlachtbetrieben. Er ist studierter Philosoph, Ethiker und arbeitet im Exzellenzcluster “Machine Learning” an der Universität Tübingen. Also beste Voraussetzungen, über die Vernichtung von Millionen von Lebewesen next door endlich Einhalt zu gebieten.
Doch leider ist sein Buch „Was sich am Fleisch entscheidet. Über die politische Bedeutung von Tieren“ kaum lesbar. “Der Veganismus steht in einer direkten Assoziation mit dem Tierschutz. Wenngleich dies nicht falsch ist, so ist es dennoch kritisch zu sehen, dass der Tierschutz gleichzeitig als Zuschreibung für Personen gebraucht wird (…) Der Tierschutz wird damit oftmals zu einer arbiträren Schrulle abgewertet (…). Tieren mit Achtsamkeit zu begegnen, ist keine bloße Schrulle, sondern Ausdruck einer wesentlichen Charaktereigenschaft, welche die logische Ableitung einer gesunden Entwicklung der menschlichen Empathiefähigkeit ist.” Das ganze Buch formuliert sich so. Es ist als hätte ein Datenverarbeiter die wesentlichsten Elemente unter dem Keyword „Tierethik“ gesammelt, neu gemischt und ausgespuckt. So ist der institutionalisierten Gewalt an Lebewesen nicht beizukommen. Leider. Ich hätte mich so gefreut, wenn im deutschsprachigen Raum, neben Richard David Precht, noch andere für das Tierwohl durch Talkshows tingeln könnten: Thilo Hagendorff ist dafür einfach ein zu schlechter Erzähler.
Sehr schade, denn fachlich ist er top. Die Bibliographie ist brillant, die organisierte Gewalt gegenüber Tieren eindrücklich belegt. Selbst seine These, dass Gesellschaften, die Tiere essen, auch rassistisch, sexistisch und generell ausschließend sind, macht Sinn: “Eine Gesellschaft, die sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Tiere zu ihren Mitgliedern zählt, geht viel weiter als eine Gesellschaft, die nur damit aufgehört hat, bestimmte Geschlechter, Hautfarben, Glaubensrichtungen oder Herkünfte im Einzugsbereich der eigenen Spezies zu diskriminieren.” Ja. Ja. Ja.
700 Millionen Tiere werden in Deutschland hingerichtet. Doch Thilo Hagendorffs Buch wird daran nichts ändern solange sich die Medienberichterstattung nicht ändert. Im Mainstream fabulieren Journalisten immer noch als wäre Veganismus und Vegetarismus Lifestyle-Themen: Bullshit. Alles würde sich ändern, wenn die Unmenschlichkeit des Schweinesystems Deutschland täglich über den Bildschirm flattern würde. Die industrielle Fleischproduktion ist eine Todesmaschinerie. Die Opfer dieses Systems sind nicht nur die Tiere, sondern gleichermaßen die Menschen, deren ökonomische Not sie zwingt, in der Tierindustrie arbeiten zu müssen. Dass hier die demokratische Verfassung sowie die Grundrechte für Tiere millionenfach mit blutigen Füssen getreten ist leider typisch für die EU, Deutschland und das Dreckssystem, das sich Binnenmarkt nennt. Deutschlands Medien pflegen das Schweinesystem viel zu oft mit Sprüchen wie “Geiz ist Geil” oder “Fleisch ist mein Gemüse”: Blutige Schenkelklopfer, die an dumpfe Zeiten dieses sehr autoritär gepolten Landes erinnern. Deutsche sind weit vorne in ihrer Hundeliebe, doch es sind die gleichen Köterfreunde, die nichts dazu sagen, dass viel intelligentere Lebewesen als ihre tierischen Familienmitglieder millionenfach abgeschlachtet werden.
Johann Safran Froer hat mit „Tiere essen“ das wichtigste Buch, den schönsten und berührendsten Roman zum Thema geschrieben. Hagendorff bietet die wissenschaftlichen Grundlagen. Was es nun braucht: Ein Buch, das die Mittäterschaft der Medien in diesem Schweinesystem thematisiert.
Thilo Hagendorff. Was sich am Fleisch entscheidet. Über die politische Bedeutung von Tieren, Büchner, 2021.