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Das Spiel mit der Sorgepflicht

Von Flo­ri­an Bis­sig – «Tom Bola» heis­sen und Kun­st mit dem Wür­fel kuratieren: Das klingt wie eine Pro­voka­tion an die Adresse der Mächti­gen der Kunst­welt, der Kura­toren. Göt­ter wür­feln doch nicht! Was für ein Frev­el! Kuratieren heisst doch, die «cura» zu erbrin­gen, die Sorge, Pflege und Betreu­ung. Beim Kura­torenkollek­tiv «Tom Bola» regiert hinge­gen der Zufall und somit ein spielerisches Ele­ment, sowohl bei der Ermit­tlung des Ausstel­lungsti­tels wie bei der Auswahl der Kun­stschaf­fend­en.

Den Zufall kuratieren

Für die Ausstel­lungsrei­he am Kolin­platz in Zug wer­den die Spiel­wür­fel allerd­ings behut­sam gezinkt: Die Kun­stschaf­fend­en wer­den vorgängig auf ihre Kom­pat­i­bil­ität zum Ausstel­lungs­the­ma aus­gewählt, und die Herkun­ft der Kün­stler beruht eher auf Förder­al­is­mus als auf Aleatorik. Bei «Tom Bola» dür­fen alle Kan­tone (irgend­wann) ein­mal. Geset­zt ist fern­er ein Quoten-Zuger.

Strik­te zufäl­lig, und zwar in einem exk­lu­siv­en Tombo­la-Event, wer­den dage­gen die Ausstel­lungsti­tel ermit­telt. Das Sub­strat der durch die Tombo­la purzel­nden Titelka­n­di­dat­en stammt von der Bevölkerung, die in der Zuger Alt­stadt ein paar Wochen lang die Gele­gen­heit hat­te, ihre Vorschläge auf Plakate zu schreiben. Da die Pas­san­ten die Sache nicht sel­ber aus­baden müssen, schreiben sie natür­lich frisch von der Leber weg aller­lei Unmöglich­es auf die Plakate. Der Gewin­ner der aktuellen Ausstel­lung lautet «Martha Martha».

Nach der Vor-Phase, in der vor allem der Zufall kuratiert wurde, galt es dann ein wenig loszu­lassen und den drei Pfleglin­gen die nötige Frei­heit zu lassen, sich zum The­ma «Martha Martha» ent­fal­ten zu kön­nen. Die zufäl­lig aus­gewählten Kün­stler Jonas Burkhal­ter (Zug), Tarik Hay­ward (Waadt) und Lucas Herzig (Tessin) kon­nten während vier Wochen den Ausstel­lungsraum als Arbeit­splatz nutzen.

Nega­tion und Dop­pelung als Exerz­i­tium

Jonas Burkhal­ter geht etwas gar schnörkel­los auf den Ausstel­lungsti­tel ein. Mit ein­er Kon­struk­tion über der Ein­gangstüre, die in gle­ich­er Form in den Raum und auf die Strasse ragt, spielt er mit der Nega­tion und der Dop­pelung. Der Ein­gang ist ver­dop­pelt, indem der Aus­gang negiert und als Ein­gang umgedeutet wird. «Wel­come, wel­come» ist der Titel des Werks, das ein Vor­dach evoziert, zugle­ich aber negiert, da es nur ein Man­tel ohne Dach ist.

Daneben hängt eine fotografis­che Repro­duk­tion eines Stücks Kohlepa­pi­er aus dem Nach­lass von Burkhal­ters Gross­mut­ter Mar­ta [sic], die damit Bauern­malereimuster auf Möbel übertrug. Die Blu­men- und Ranken-Orna­mente über­schreiben sich durch das wieder­holte Durch­pausen gegen­seit­ig und vervielfälti­gen sich zu ein­er dicht­en Zeich­nung voller Sym­me­trien – so wollte es der Zufall. Nega­tion, Dop­pelung, Martha, Zufall: Das gibt die volle Punk­tzahl.

Im sel­ben Raum trifft Lucas Herzigs Skulp­turen-Ensem­ble auf Burkhal­ters Kon­struk­tion. Auch sein Werk ist ganz in Schwarz und Weiss gehal­ten. Herzig hat die Ober­flächen­struk­tur der Böden und Wände durch Frot­tage auf Papi­er über­tra­gen und mit diesem seine sper­ri­gen Skulp­turen über­zo­gen. In näch­ster Nähe Raum abtas­tend hat er sein Arbeit­sum­feld abge­bildet. Auch das Holz ist Abfall­ma­te­r­i­al, das ihm vor Ort in die Hände fiel.

Das Resul­tat sind drei Skulp­turen, die an Architek­tur­mod­elle erin­nern, aber zugle­ich, da ihre Ober­fläche wie Mar­mor-Imi­tat aussieht, eigen­ständi­ge Mon­u­mente zu sein beanspruchen. Sie oszil­lieren zwis­chen der Andeu­tung von etwas Grösserem und ein­er baulichen Wirk­lichkeit eige­nen Rechts. Man kön­nte inter­pretieren: Sie negieren sich je als das andere, das sie selb­st sind. Genau so wie “Martha», die sich durch­stre­icht und wieder ein­schreibt.

Eine Fig­ur zum Frösteln und Schaud­ern

Während Herzig vier Wochen in den Räu­men knochen­hart gear­beit­et hat, hat Tarik Hay­ward die Zeit für sich arbeit­en lassen. Er hat einen Block aus Säge­spä­nen und Wass­er tiefge­froren. Die Skulp­tur wird in den kom­menden Wochen langsam vor sich hin­schmelzen und dabei zugle­ich den Raum kühlen. Der mannshohe Block hat etwas unwider­stehlich Kräftiges (was er auf­grund des Mate­ri­als, das Pykrete heisst und für kriegerische Zwecke entwick­elt wurde, offen­bar tat­säch­lich ist) – das zugle­ich vergänglich ist und seinem Ende zutröpfelt. Der Titel «Some Body» leis­tet ein Zusät­zlich­es, um die Ambi­gu­i­tät zwis­chen Jemand und Etwas ins Spiel zu brin­gen.

Burkhal­ter, Herzig und Hay­ward haben gewiss alle, ganz erwartungs­gemäss, mit dem Raum gear­beit­et. Sie alle «ver­dop­peln» in gewiss­er Weise die Loca­tion, die übri­gens bald «negiert» wird wenn näch­stes Jahr die Abriss­birne kommt. Das ist alles reich­lich anstren­gend. Dies dürfte der Preis des aleatorischen Kura­to­ri­ums sein: Eine Ein­heit ver­mö­gen die weni­gen Objek­te dieser Grup­pe­nausstel­lung nicht so richtig zu bilden, ins­beson­dere mit Blick auf Hay­wards Skulp­tur. Der «Some Body» ist auch räum­lich abgeson­dert: Es ste­ht im Hin­terz­im­mer zwis­chen WC und Rumpelka­m­mer. Ger­ade in dieser düsteren, feucht­en Kapelle (so will es scheinen), ent­fal­tet die Skulp­tur eine auratis­che Wirkung. In ihr spiegelt sich die erschaud­erne Ein­sicht, die ein Jemand namens Martha gehabt haben kön­nte: Ich bin und ich bin nicht.

http://www.kulturkritik.ch/2014/tom-bola-9-martha-martha/

Artikel online veröffentlicht: 25. August 2014 – aktualisiert am 12. März 2024