Von Franziska Schönenberger — Die Tösstaler Marionetten feiern ihr 25-jähriges Jubiläum: Kennen Sie Lubomir, den kleinen Hirtenjungen, der sich auf eine abenteuerliche Reise begibt, um seine Zauberblume zu finden? Die Gutenachtgeschichte war Ende der 1980er-Jahre ein grosser Erfolg, und der letzte vom Schweizer Fernsehen produzierte Marionettenfilm, der viele Kinderherzen beglückte. Nun wird Lubomir wieder auftreten, wenn die Tösstaler Marionetten vom 17. November bis 1. Dezember im Theater Stadelhofen in Zürich ihr 25-Jahr-Jubiläum mit verschiedenen Veranstaltungen feiern. In der Ausstellung «FigurenKofferWelten» können die Besucher Figuren, Stücke und Geschichten aus 25 Jahren entdecken. Zudem kommen neben «Lubomir» auch «Die chly Häx» und, als Premiere, die Adaption des Kinderbuchklassikers «Ronja Räubertochter» von Astrid Lindgren zur Aufführung. Eine Premiere im doppelten Sinne, denn Werner Bühlmann, Leiter und Gründer der Tösstaler Marionetten, gibt die künstlerische Leitung erstmals zu einem grossen Teil aus den Händen, genauer gesagt, an seine Kinder weiter. Mirjam Bühlmann, die schon für andere Stücke der Tösstaler Marionetten die Figuren schuf, verlangte von ihrem Vater nun die alleinige künstlerische Verantwortung für die Kreation der Puppen. Die Regie übernimmt Tobias Bühlmann, der seine Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München genoss, Erfahrungen an etablierten Häusern sowie in der freien Szene in Deutschland sammelte und Lust hatte, sich auf dieses «Familienexperiment» einzulassen. Schon länger gab es kleinere Zusammenarbeiten in Form von Coachings zwischen Vater und Sohn. Nun kam aber die konkrete Anfrage des Vaters. «Willst du das wirklich?», war die Gegenfrage von Tobias. Sein Vater ist ja bis heute weitgehend ohne Regisseur ausgekommen. Verständlich, dass für Tobias einige Fragen im Raum standen: Warum holt er mich? Kann ich meine Qualitäten in seiner Art zu arbeiten einbringen, oder sind diese im System meines Vaters hoffnungslos verloren? Früher hätte der Sohn die letzte Frage bejaht. Er, der klassische Stoffe defragmentiert, über Stimmungen arbeitet, eigentlich keine Geschichten erzählt, im konservativen München beim erwachsenen Publikum mit seinen Stücken aneckte und Skandale produzierte, hat über die Jahre einen anderen Blick auf seine und Werner Bühlmanns Produktionen bekommen. Er sieht, wo die gemeinsamen Stärken liegen, wo man in der Arbeit zusammenkommen, voneinander profitieren kann. Dass hier Konflikte vorprogrammiert sein könnten, beunruhigt die beiden Theatermacher nicht. Beide sind neugierig auf die Zusammenarbeit und denken, dass die Vertrautheit, die eine Familienbindung mit sich bringt, auch viele Vorteile hat. Kommunikationsirritationen können schneller erkannt und gelöst werden, da man sich gut kennt. Es ist ihnen zudem wichtig, dass die beiden weiteren Figurenspieler Mariann Amstutz und Lukas Roth, sowie Marc Bänteli, der die musikalische Gestaltung des Stücks übernimmt, von Anfang an integriert, und am Entstehungsprozess beteiligt sind.
Mit seiner Schwester Mirjam arbeitete Tobias bereits erfolgreich bei verschiedenen Theaterproduktionen zusammen. Die Geschwister brauchen relativ wenig Kommunikation, um zu wissen, was gemeint ist. Als Leitfaden erarbeitete Tobias Psychogramme der einzelnen Figuren, welche ihre Eigenschaften mit ihren positiven und negativen Seiten definieren. Mithilfe dieser Anweisungen gelang es Mirjam, den Puppen einen komplett eigenen Ausdruck einzumeisseln, ihnen ihre eigene künstlerische Handschrift zu geben. Mirjam habe Archetypen in der Tradition des Figurentheaters geschaffen, meint der Vater dazu. Es sind Figuren mit einer grossen Kraft, aber eben auch einer Limitierung. Wenn die Puppen einmal da seien, könne man die Charaktere nicht mehr gross ändern. Das Aussehen der Figuren, so Werner Bühlmann, prägt die Geschichte. Man soll die Charaktereigenschaften des Räuberhauptmanns Mattis erkennen können, meint Tobias. Mattis, dieser eruptive, labile, unsouveräne Vater, der tagelang nicht mit seiner Tochter Ronja spricht, so dass sie in die Wälder ausreissen muss, um Abenteuer zu erleben, und ihre selbst gewählte Freundschaft mit Birk Borkasohn aufrecht zu erhalten. Das Publikum soll die Kräfte spüren, die in diesen Figuren wirken.
Es wird ein Figurentheater der Begegnungen sein, der rhythmischen Laute, des unverständlichen Gemurmels, der Kräfte, die aufeinander prallen, der wilden Musik und der leisen Lieder. Die Proben sind in vollem Gange. Die ersten Pfeiler sind gesetzt, und doch steht man noch am Anfang: es ist noch nicht alles druckreif. Es darf noch gefeilt, verändert, improvisiert werden …
Foto: zVg. Helmut Pogerth
ensuite, September 2010