• zurück

«Das war Liebe auf den ersten Quietscher»

Von Luca D’A­lessan­dro - Der Basler Tenor­sax­o­phon­ist Philippe Chré­tien ist den chill­i­gen Atmo­sphären und loungi­gen Klän­gen ver­fall­en. Am 29. August 2010 gibt er in der Bern­er ONO-Bar eine Sen­su­al Lounge Ses­sion zum Besten. Begleit­et wird er von Jean­not Steck an den Tas­ten, Luca Leom­bruni am Bass, und Simon Kistler am Schlagzeug.

Philippe Chré­tien, in Bern spielst du dem­nächst mit Begleitung. Anson­sten bist du über­wiegend als Solist unter­wegs.

Ja, ich spiele vor­wiegend an Gala-Auftrit­ten von Fir­men.

Konz­erte liegen dir nicht?

Doch, doch. Bevor das mit den Gala-Auftrit­ten so richtig los­ging, stand ich des Öfteren mit Tony Lewis, Lil­ly Mar­tin, Philipp Fankhauser oder Nubya auf der Bühne. Mit ihnen kon­nte ich Bühnen­er­fahrung sam­meln. Ich merk­te jedoch bald, dass Büh­nen­musik nicht ganz mein Ding ist.

Welche Musik beze­ichnest du als «dein» Ding?

Jene, die ich in Eigen­regie entwick­eln kann, ohne auf die Ideen ander­er Leute Rück­sicht nehmen zu müssen. Ich stellte irgend­wann fest, dass ich mit mein­er Musik deut­lich mehr Engage­ments hat­te (lacht). Das Schick­sal gab mir einen Wink mit dem Zaunpfahl: Näm­lich das zu tun, was mir wirk­lich Spass macht, also loungige Atmo­sphären gener­ieren, unauf­dringliche, entspan­nte Musik arrang­ieren, sprich Lieder kom­ponieren, die einem nicht auf den Nerv gehen.

Was hat dich zur Lounge bewogen: Deine Vor­liebe für ruhige Klänge, oder waren es wirtschaftliche Fak­toren?

Es war meine Vor­liebe, ganz klar, und das Glück wollte es so, dass der Markt meine Musik auch ziem­lich gut aufgenom­men hat.

Welche Geschichte steckt hin­ter dieser Vor­liebe?

Ich finde es bemühend, wenn ein Musik­er dauernd mit Voll­gas spielt, Vir­tu­osität zeigt und den Chef markiert. Schliesslich geht es in der Musik um «good Vibra­tions». Diese lassen sich mit dem Pub­likum nur teilen, wenn man in ein­er sub­ver­siv­en Art Musik macht. Den grössten Teil nehmen wir Men­schen unbe­wusst wahr, deshalb macht es Sinn, den Hör­er über sein Unbe­wusst­sein zu berühren, ohne den Umweg über das Bewusst­sein zu machen.

Du berührst die Hör­er mit dem Tenor­sax­ophon, ursprünglich warst du Pianist und Trompeter. Ist die Liai­son mit dem Sax eine Glück­se­he?

Abso­lut! Ich sah als klein­er Junge an einem Masken­ball zum ersten Mal einen Sax­o­phon­is­ten und war hin und weg. Allerd­ings traute ich mich für lange Zeit nicht, ein Sax­ophon in die Hand zu nehmen. Schliesslich durfte ich mir als Zwanzigjähriger mit dem aus­geliehenen Geld mein­er dama­li­gen Fre­undin und heuti­gen Ehe­frau ein altes Sax­ophon erste­hen. Das war Liebe auf den ersten Qui­etsch­er.

Und dieses Instru­ment ste­ht jet­zt ver­mut­lich in deinem Übungskeller.

Ja, es hat seinen Dienst getan. Nach dreizehn Jahren leis­tete ich mir eine «Stradi­vari» .

Was ist Lounge für dich?

Lounge assozi­iere ich mit dem beque­men Sitzmö­bel, in das man sich hinein­set­zt, an einem Glas Cham­pag­n­er nippt, einen relax­ten Sound geniesst…

…und dazu einen Chat Noir stre­ichelt.

(lacht) Wieso nicht? Chat Noir, meine dritte Stu­dio-CD, ver­mit­telt mein ganz per­sön­lich­es Lounge-Lebens­ge­fühl.

Ein Leit­faden der Behaglichkeit zieht sich durch deine gesamte Disko­gra­phie: Schlichte Titel, ein­heitliche, ein­fache Cov­er…

…die Reduk­tion auf das Wesentliche. Am lieb­sten hätte ich die totale Reduk­tion.

Die wäre?

Die Reduk­tion auf einen einzi­gen, inten­siv­en Ton, der die Men­schen vom Hock­er haut. Ähn­lich wie es im Par­fum von Patrick Süsskind beschrieben wird: Der Haupt­darsteller entwick­elt einen ulti­ma­tiv­en Duft, der alle mitreisst. So etwas in der Musik zu haben, wäre ein Riesen­glück.

Glaub­st du, dass es diesen Ton irgend­wo geben kön­nte?

Ich habe ein­mal davon geträumt und war schlicht über­wältigt.

Wird dieser Traum irgend­wann wahr?

Ja, am 29. August in der ONO Bar (lacht). Nein, im Ernst, in Chat Noir bin ich diesem Ton ganz nahe gekom­men. Darüber bin ich mächtig stolz.

Welche Voraus­set­zung brauchst du, diesem Ton möglichst nahe zu kom­men?

Es braucht ein ruhiges Ambi­ente mit einem Pub­likum, das einen auf der Suche nach dem Ton begleit­et. Stress darf es keinen geben, auch keine Geschäftigkeit oder andere Ter­mine. Nichts der­gle­ichen. Ich tue alles dafür, meine Arbeit auf das Wesentliche zu reduzieren, und das Wesentliche in einem Stück ist schliesslich der Ton. Wenn jemand eine schöne Stimme hat, muss er oder sie nicht ein­mal gut sin­gen kön­nen, es reicht bere­its, «pi-pa-po» zu machen, um die Leute zu begeis­tern. Wenn dage­gen jemand eine fürchter­liche Stimme hat, nützt alles tolle Sin­gen nichts.

Du bist engagiert auf der Suche nach dem ulti­ma­tiv­en Ton. Gibt es aber auch Momente – und ich denke dabei an deine CD «So What» – in denen dir alles egal ist?

Die heisst eigentlich «Say What» …

… oh, das ist mir pein­lich, da habe ich wohl den Titel falsch gele­sen. Entschuldige bitte.

Nein, das macht nichts, das Wort­spiel habe ich so gewollt (lacht). Dass es Ver­wirrung stiftet, ist völ­lig nor­mal. Aber um auf deine Frage zurück zu kom­men: Egal ist mir nichts.

Die Ref­eren­zen­liste auf dein­er Web­seite ist hochrangig: Bul­gari, Chanel, Fer­rari… und daneben das Caliente Latin Fes­ti­val. Zum Einen spielst du also für Nobel­marken, zum Andern kannst du aber auch, wenn es sein muss, so richtig «Ram­bazam­ba» machen.

Ja, natür­lich. Nobel hat aber den Vorteil, dass über die Gage nicht lange disku­tiert wer­den muss. Und mit solchen Engage­ments ver­di­ent es sich nicht schlecht.

Du warst auch mit Pro­duzen­ten aus der Elek­tron­ikbranche unter­wegs. Mit Minus 8 hast du das Stück Sover­a­to einge­spielt.

Mir gefällt die Arbeit von Robert Jan Mey­er, sprich Minus 8. Wie er die Beats und sphärischen Geräusche arrang­iert und zu einem per­fek­ten Ganzen vere­int. Über diesen Tep­pich ein Solo zu spie­len, ist ein Hochgenuss. Die Erfahrung mit Minus 8 war einzi­gar­tig für mich, genau­so wie ich mich gerne an meine wilden Zeit­en an der Street Parade erin­nere.

Wilde Zeit­en?

Eine Zeit­lang stand ich immer wieder mit DJs auf der Bühne. Sie spiel­ten ihre Beats und ich impro­visierte die Soli dazu. Mit der Zeit jedoch ging ich immer weit­er meinen eige­nen Weg. Ich fand die Inspi­ra­tion ander­weit­ig.

Wo denn?

Wenn man das so ein­fach for­mulieren kön­nte … um das zu beschreiben, müsste man ein Poet sein.

Bist du kein Poet?

Ich bin kein lit­er­arisch­er Poet, also kein Wortkün­stler.

Aber Musik kann auch Poe­sie sein?

Let­ztlich ist Musik Emo­tion­al­ität. Und ich glaube, die kommt am besten in einem Umfeld zum Aus­druck, das Spon­tan­ität zulässt.

Bist du ein spon­tan­er Men­sch?

Ja, ich spiele frei von der Leber weg.

So auch am 29. August in der ONO Bar?

Ja, wir wer­den ein paar Grun­darrange­ments haben, den­noch meist frei spie­len. Impro­vi­sa­tion hat nicht nur für mich, son­dern auch für meine Mit­musik­er einen hohen Stel­len­wert.

 


Der Mann mit dem Killer Sound
Philippe Chré­tien fand 1979 im Tenor­sax­ophon sein bevorzugtes Aus­drucksmit­tel. Sei­ther sam­melte er reich­lich Konz­ert­er­fahrung mit namhaften Musik­ern und DJs der unter­schiedlich­sten Rich­tun­gen, woraus er seinen ganz per­sön­lichen Stil entwick­elte. Gegen­wär­tig ist er meist als Solist unter­wegs, an Fir­men- und Galaan­lässen.

Typ­isch für Philippe Chré­tien ist sein unver­wech­sel­bar­er Ton und sein musikalis­ches Ein­füh­lungsver­mö­gen. Jack Kreis­berg vom Blue Note Club New York brachte es auf den Punkt: «He’s got a killer sound!»

Disko­gra­phie
Say What
A Love Sto­ry
Chat Noir
Cham­pagne

Konz­ert
Sen­su­al Lounge Ses­sion mit Philippe Chré­tien (ts), Jean­not Steck (keys), Luca Leom­bruni (b), Simon Kistler (dr). ONO-Bar Bern. 29. August 2010, 20:00 Uhr (Türöff­nung: 19:00 Uhr)

Infos: www.saxophonist.ch

Artikel online veröffentlicht: 11. November 2018