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«Das war wie eine Reise in das alte Rom»

Von Till Hill­brecht - Nach dem erfol­gre­ichen Kinos­tart von «Hip­pie Masala» inter­essieren Reak­tio­nen. Ein Gespräch mit den Mach­ern:

Dro­gen­film? Oder eben ger­ade nicht? Ein filmge­wor­den­er Traum eines früheren Hip­pies, der ver­passten Chan­cen nach­trauert? «Hip­pie Masala» ist ein Film über das Aussteiger­tum in den 70er Jahren. Er wan­delt, getra­gen auf Rauch­wolken der Pro­tag­o­nis­ten, zwis­chen Unter­hal­tungs­film und Geschichts­doku­men­ta­tion — ohne dass die Authen­tiz­ität im Stich gelassen wird. Die Mis­chung macht ihn span­nend. Ein Inter­view mit Ulrich Grossen­bach­er (Regie und Kam­era) und Damaris Lüthi (Buch und Co-Regie).

 Damaris Lüthi, Ulrich Grossen­bach­er, der Film «Hip­pie Masala» läuft seit dem 12. Okto­ber im Kino. 68er und Hip­pies haben ihn gese­hen, Blu­menkinder von damals und heute. Aber auch Men­schen, die diese Zeit nur vom Hören­sagen ken­nen. Wie reagiert das Pub­likum?

Ulrich Grossen­bach­er: Aus dem per­sön­lichen Umfeld natür­lich nur pos­i­tiv, neg­a­tive Reak­tio­nen wer­den wohl ein­fach nicht ange­bracht! In Zürich habe ich beobachtet, dass die Besuch­er sehr angeregt, aufgestellt und disku­tierend aus dem Kino kamen und ich denke, dass ist ein gutes Zeichen. Beispiel­sweise ist auch die Frage aufge­taucht, ob es sich nun um ein Pro- oder Antik­if­fer­film han­dle.

Damaris Lüthi: Viele sind tat­säch­lich etwas skep­tisch und verun­sichert durch das Plakat mit dem kif­f­end­en Cesare. Es erweckt den Ein­druck, es han­dle sich um einen Kif­fer­film — was es aber nicht ist. Ein kif­f­end­er Asket spricht aber auch das jün­gere Pub­likum an, da kön­nten deshalb strate­gis­che Über­legun­gen von Seit­en des Filmver­leihs eine Rolle spie­len. Mir gefällt das Plakat aber sehr gut; ich merke zum Beispiel an meinem Arbeit­splatz, dem katholis­chen Frauen­bund, dass meine Mitar­bei­t­erin­nen ein wenig rat­los sind bezüglich «Hip­pie Masala»! Ein krass­er Reak­tion­sun­ter­schied haben wir am Film­fes­ti­val in der Ukraine fest­gestellt: An der Pressekon­ferenz herrschte betretenes Schweigen. Man fragte sich: Wieso wid­met man diesen Hip­pies so viel Aufmerk­samkeit, wieso über­haupt woll­ten diese Men­schen weg aus dem West­en? Daraufhin fan­den wir her­aus, dass hier natür­lich ganz stark der his­torische Hin­ter­grund, also die Ost/West-Geschichte eine Rolle spielt. Im ehe­ma­li­gen Osten ken­nt man die 68er-Gen­er­a­tion gar nicht wie hier.

 Sie beze­ich­nen sich als Spuren­suchende des Aussteiger­tums. Ueli Grossen­bach­er, Sie haben in den 70er Jahren selb­st einige Zeit in Indi­en ver­bracht. Suchen Sie auch nach eige­nen Spuren?

Ulrich Grossen­bach­er: Bes­timmt ein wenig. Obwohl ich 1979 auf mein­er Reise als 21-Jähriger das Ganze nur am Rande erlebt habe. Aber die ganze Bewe­gung, die Roman­tik rund um das Aussteiger­tum hat mich damals sehr fasziniert. Auch Bewusst­sein­ser­weiterung mit Dro­gen waren ein The­ma. Ich mag mich an viele Begeg­nun­gen aus dieser Zeit erin­nern, mit Men­schen, die damals schon vor zehn Jahren aus­ge­wan­dert waren. Ein Kanadier beispiel­sweise, ein liebenswert­er Casano­va, der am Strand immer seine Bam­bus­flöte dabei hat­te, um sich gegen geprellte Lieb­haber zu wehren! Im Gegen­satz zu diesen Men­schen musste ich aber wieder zurück, als mein Geld aufge­braucht war. Ich hat­te zwar vom Aussteigen geträumt, war aber zu wenig kon­se­quent. Viele Men­schen waren während dieser Zeit effek­tiv am soge­nan­nten Indi­en­syn­drom erkrankt. Sie fin­gen an durchzu­drehen, sobald sie im Land waren, liefen nackt herum und glaubten, sie seien Heilige.

Damaris Lüthi: Es gab sog­ar eine Schweiz­er Psy­chi­a­terin, die speziell solche Fälle in Nordin­di­en behan­delte. Es existierten ganze Kliniken, die sich damit beschäftigten.

Ulrich Grossen­bach­er: Ich kann dies aber auch abso­lut nachvol­lziehen: Als ich das erste Mal aus dem Flugzeug stieg in Indi­en, war das ein wahnsin­niges physis­ches Erleb­nis; ich hat­te Herzk­lopfen, diese Far­ben, die Gerüche, diese Töne. Es war wie eine Zeitreise, wie in eine Reise in das alte Rom: Kaum Autos, die Strassen voller Tiere.

 Damaris Lüthi, Ihr Bezug zu Asien kommt aus einem anderem Bere­ich.

Ich habe mich in der Eth­nolo­gie auf Südasien spezial­isiert und dazu unter anderem eine Unter­suchung zum Zusam­men­hang zwis­chen All­t­agshy­giene und soge­nan­nten rit­uellen Vorstel­lun­gen von Rein­heit und Unrein­heit gemacht. Dabei ging es um eine The­o­rie, die besagt, dass Unrein­heitsvorstel­lun­gen die Basis des Kas­ten­denkens seien. Und sei­ther bin ich sozusagen Spezial­istin für dieses Kas­ten­sys­tem. In den 70er Jahren war ich aber ein­er­seits zu jung, um in die Hip­piebe­we­gung zu ger­at­en, ander­er­seits hat­te ich für einen Asien­trip auch zu wenig Geld.

Neb­st den unter­halt­samen Anek­doten und den inter­es­san­ten Lebens­geschicht­en der Pro­tag­o­nis­ten dürfte «Hip­pie Masala» einst ein his­torisch bedeut­sames Doku­ment wer­den. Die Auswan­derungs­gen­er­a­tion der Hip­pies wird früher oder später ver­schwinden.

Damaris Lüthi: In der Tat wer­den diese Men­schen langsam alt. Sie haben ein inter­es­santes Leben aufge­baut und mich inter­essieren Aspek­te wie zum Beispiel: Haben diese Aussteiger einen Zusam­men­halt oder wie haben sich ihre Welt­bilder weit­er­en­twick­elt? Und generell etwas über diese Lebensweise zu erfahren, bevor diese Gen­er­a­tion ausster­ben wird. Deshalb denke ich schon, dass der Film auch als his­torisches Doku­ment beze­ich­net wer­den kann.

Ulrich Grossen­bach­er: Weil heute auch eine ganz andere Stim­mung herrscht und auch ganz andere Bedin­gun­gen. Damals träumte die Jugend von «Auf und Davon», aber im Unter­schied zu heute war dies ein konkretes The­ma. Die Iden­tität ver­lieren und in die Fremde ziehen. Heute real­isieren Jugendliche eine Reise von eini­gen Monat­en, ein Open End gibt es, in der Dimen­sion dieses Masse­nausstiegs von damals, nicht mehr.

Damaris Lüthi: Dies mag auch deshalb sein, weil die Jugend heute aufgek­lärter über andere gesellschaftliche Struk­turen ist. Dass die zum Beispiel genau­so kom­pliziert und schwierig sein kön­nen wie zu Hause. Man kann nicht ein­fach eine andere Welt auswählen und es geht einem dann bess­er. Beim Schweiz­er Pro­tag­o­nis­ten, dem Bauern Hanspeter, find­et man eine ganze Rei­he hel­vetis­ch­er Eck­en und Kan­ten, auch nach über 30 Jahren. Span­nend ein­er­seits, wie viel davon erhal­ten blieb und ander­er­seits, dass wohl nicht alle Aussteiger die gle­ichen Motive wie Spir­i­tu­al­ität, Dro­gen oder Sex ver­fol­gten.

Ulrich Grossen­bach­er: Ich sel­ber stamme auch aus ländlich­er Gegend. Und die Hip­pies und Freaks, die ich von damals kenne, waren völ­lig auf diesem Dro­gend­ing. Und auch Hanspeter kam genau mit diesen Hip­pie-Vorstel­lun­gen nach Asien. Aber eben­falls Cesare ist in diesem Sinne kein Hip­pie mehr, er ist nun ein Asket. Es ist uns deshalb schon wichtig zu zeigen, was sie jet­zt sind und was ihre Aus­gangslage war. Hanspeters Naturver­bun­den­heit näm­lich ist neb­st seinem Bauern­charak­ter auch ein ganz typ­is­ches Hip­pie-Ide­al.

Damaris Lüthi: Das Klis­chee sagt, das Aussteiger­tum sei vor allem aus linken Kreisen gekom­men. Das Beispiel von Hanspeter zeigt ja aber, dass ganz viele Gesellschaftss­chicht­en davon fasziniert waren, wenn auch die Anziehungspunk­te oft­mals die gle­ichen waren, sagen wir ein­mal Dro­gen oder das Aus­brechen aus gesellschaftlichen Zwän­gen im All­ge­meinen. Das Ganze war eine viel bre­it­ere Bewe­gung, als man heute vielle­icht annimmt. Beispiel­sweise lehnt Hanspeter im Gegen­satz zu vie­len das Spir­ituelle expliz­it ab, obwohl auch er kifft. Man muss jedoch sagen, dass wir bewusst Geschicht­en mit unter­schiedlichem Hin­ter­grund gewählt haben.

 Wie stellt man sich den Kon­takt mit einem ital­ienis­chen Asketen vor, der zurück­ge­zo­gen in seinem eige­nen kleinen Ashram lebt? Da kommt ein Schweiz­er Filmteam und will und das Leben eines Aussteigers auf die Lein­wand jen­er Län­der ban­nen, aus denen es ent­flo­hen ist…

Damaris Lüthi: Die Men­schen geniessen das Inter­esse an ihrer Per­son. Und unser Team bestand aus zwei bis drei Per­so­n­en, das ist natür­lich ein ander­er Ein­griff als bei Reporta­gen, die mit ein­er zwanzigköp­fi­gen Mannschaft gedreht wer­den.

Ulrich Grossen­bach­er: Das war ein­fach und unkom­pliziert, wohl auch weil wir die Leute über län­gere Zeit im Vor­feld kon­tak­tiert haben und so eine Verbindung auf­bauen kon­nten. Wir haben generell viel Offen­heit erlebt, wohl auch weil diese Men­schen Freude daran haben, dass sich jemand für sie inter­essiert. Robert hätte uns am lieb­sten ein halbes Jahr dort behal­ten und eigentlich alle haben darauf bestanden, dass ihnen möglichst viel Zeit des Films gewid­met wird.

Bild: zVg.
ensuite, Novem­ber 2006