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Defizitkultur hat System

Von Lukas Vogel­sang - Repari­eren Sie, liebe Leserin, lieber Leser, die Zen­tral­heizung selb­st? Ziehen Sie sich die Zähne selb­st? Ver­ste­hen Sie alle Bankgeschäfte oder vertreten Sie sich selb­st vor einem Gericht? Wohl kaum. Wir haben dafür Fach­leute. Diesen ver­trauen wir unsere Hab­seligkeit­en an oder ver­trauen auf deren Dien­ste, in der Mei­n­ung, dass ver­trauensvoll damit umge­gan­gen wird. Wir ver­trauen und glauben. Man ver­traut uns auch – doch ver­ste­hen wir oft was ganz anderes darunter.

Mein Beispiel ist mir selb­st geschehen – und dies aus­gerech­net bei einem Part­ner, bei dem ich es nicht für möglich gehal­ten hätte: bei mein­er Vol­vo-Garage. Die Marke Vol­vo ste­ht für Solid­ität, Sicher­heit und eben auch Qual­ität. Vol­vo-FahrerIn­nen entschei­den sich bewusst für diese Autos, weil die Marke sich in all den Jahren gut im Wert und in der Wahrnehmung gehal­ten hat. Man ist stolz, eine Vol­vo-Fahrerin, ein Vol­vo-Fahrer zu sein – es ist ein State­ment (okay, das sagen alle über die eigene Automarke).

Der Schock kam am näch­sten Tag, als ich mein Auto der Vol­vo Car Bern AG in Güm­li­gen für eine nor­male MfK-Inspek­tion über­gab und mir der Ser­vice­mon­teur am Tele­fon erk­lärte: «An Ihrem Auto sind Schä­den aufge­taucht von 6500 Franken – ich würde das nicht mehr repari­eren.» Was?

Dazu muss man wis­sen: Mein Auto hat­te erst rund 200 000 Auto­bahn-Kilo­me­ter hin­ter sich. Für einen Vol­vo ist das noch nicht mal das Pubertät­salter. Vol­vo selb­st bietet heute bis 150 000 km Gratis-Ser­vices an und bis 150 000 km sog­ar eine Voll­gar­antie – die älteren Autos sind aber noch bess­er gebaut. Das spricht für sich: So kon­stru­iert sich eine ver­trauensvolle Marke. Doch die Garage ist eben nicht die Marke. Was der Ser­vice-Mon­teur mir im ersten Moment ver­schwieg, war, dass er den näch­sten Ser­vice dazurech­nete, einen Satz Som­merp­neus und dass er eine Neuzu­s­tandssanierung machen wollte. Von diesen 6500 Franken kön­nten also lock­er 1500 abge­zo­gen wer­den: Das sind nor­male Ver­brauchs- und Pflegekosten – und hier soll­ten die KundIn­nen selb­st entschei­den, ob diese nötig sind oder zu welchem Preis. Das Ver­hält­nis von Reparaturkosten von 4000 Franken auf zehn Jahre gerech­net, bei einem Auto, das noch nie eine richtige Reparatur nötig hat­te: nicht zu hoch. Aber das wusste ich ja alles noch nicht.

Ich entsch­ied ich mich, am Auto vor­erst nichts zu repari­eren. Ich wollte die Ergeb­nisse der Prü­fung, an die ich immer selb­st gehe, abwarten und danach die nöti­gen Repara­turen anhand der Män­gel­liste auswerten. Als ich das Auto von der Garage ungepflegt zurück­nahm, stellte ich am Fol­ge­tag fest, dass nicht mal die Lich­tan­lage in Ord­nung gebracht wurde. Eine Lampe bran­nte nicht, der Garag­ist hat­te kein Inter­esse daran gezeigt, dass ich an der Prü­fung beste­hen kon­nte. Bei der Vol­vo Car AG erk­lärte mir der neue Betrieb­sleit­er, Mau­r­izio Lo Man­to, der vor knapp drei vier­tel Jahren bei dieser Garage die Ver­ant­wor­tung über­nom­men hat, stolz, wie sein Vater mit seinem alten Auto bei der Prü­fung jew­eils prob­lem­los durchgekom­men sei – auch wenn seine Garage vorher Män­gel angemeldet habe. Er ver­sprach mir unaufge­fordert, dass es von ihm keine Direk­tive gebe, dass seine Mitar­beit­er den Kun­den solche Ansagen machen müssten. Er sprach über Schwierigkeit­en, die Mon­teure direkt mit den Kun­den sprechen zu lassen, und dies und das. Und er stellte mich dem Verkauf vor, der für einen eventuellen Neuwa­gen zuständig wäre.

Nach der Lam­p­en-Reparatur war ich unsich­er und auch wütend auf den Prüf­s­tand. Ich fühlte mich nicht ernst genom­men, wegen meines Unwis­sens in Sachen Autos aus­genutzt. Aber hat­te ich eine Wahl?

Und welch eine Über­raschung: Das Auto wies keinen einzi­gen Man­gel auf und bestand die oblig­a­torische Prü­fung mit Bravour. Die Exper­tin meinte sog­ar, dass sie das Auto gerne kaufen würde. Sie sagte wörtlich: «Neuwa­gen». Ich war emo­tion­al geschüt­telt: Von «Totalschaden» zu «alles per­fekt» gings mir ein­fach zu schnell. Ich hänge nicht emo­tion­al an meinem Auto – aber ich bin kom­plett über­fordert, wenn ich fest­stelle, dass eine Ver­trauensper­son nicht das zu sein scheint, was ich darunter ver­ste­he. Die Garage hat diese Sit­u­a­tion scham­los aus­genutzt.

Eine Rech­nung erhielt ich für die Prü­fungsvor­bere­itungsar­beit­en nie. Aber Anfang Feb­ru­ar kam eine Mah­nung, ohne Auflis­tung der Arbeit­en. Für mich war das der let­zte Test, ob die Garage irgend­wie ver­standen hat­te, worum es ging. Auf der nachge­forderten Rech­nung wurde eine Fehler­diag­nose mit 90 Franken ver­rech­net, die falsch war. Die Com­pu­t­er­diag­nose ist der Gott der Reparatur, und der Stun­de­nansatz für den Mon­teur für das Ein­steck­en von Steck­ern und das Ausle­sen der Fehler­mel­dun­gen liegt bei 180 Franken. Die Garage wollte mir wenig­stens eine Sys­temkarte für 650 Franken zuzüglich Mon­tage ver­rech­nen. Inner­halb von 15 Minuten kon­nte ich mith­il­fe von Hand­büch­ern und Reparatur­vorschlä­gen im Inter­net das Prob­lem selb­st eruieren: ein klein­er Kabel­bruch. Ich ver­ste­he von Autos wenig, aber weiss, wie Strom fliesst. Auch die Lenkung ist nicht kaputt, es tritt auch kein Öl aus, nach­dem man die eine Schraube ange­zo­gen hat.

Der Vol­vo Car Bern AG ging es nicht ein einziges Mal darum, wie es mir ging oder was für mich ide­al wäre. Die Garage und der Betrieb­sleit­er Lo Man­to haben nie zuge­hört, was ich ihnen sagte: Das Ver­trauen ist weg, ich füh­le mich aus­genutzt und ausgenom­men. Spätestens da müssten beim Kun­den­di­enst die Alar­m­glock­en läuten. Lo Man­to schrieb mir, gle­ich nach­dem ich die Prü­fungsergeb­nisse durchgegeben hat­te: «Ihre kon­struk­tive Kri­tik habe ich ver­standen, gerne kön­nen wir uns bei mir bei einem ‹Kaf­fee› per­sön­lich darüber unter­hal­ten. Ich bin überzeugt, dass Sie mich in unserem let­zten, sehr inter­es­san­ten Gespräch ver­standen haben.» Nun, er wollte über ein Neuwa­gen sprechen und über die Unfähigkeit sein­er Mitar­beit­er, die den Kun­de­num­gang nicht ver­ste­hen wollen.

Mit der Garage gibt es eine Vorgeschichte und das beleuchtet alles im Schein­wer­fer­licht: Der Vol­vo V70 wurde mir durch diese Garage vor neun Jahren durch ein für Vol­vo gün­stiges Gegengeschäft von Anzeigen gegen Leas­in­grat­en ermöglicht. Damals waren andere Leute in der Fir­ma. Nie­mand erin­nert sich noch daran. Durch dieses Gegengeschäft schenk­ten wir der Garage im Gegen­wert fast zwei Autos, wir ver­mit­tel­ten etwa vier AutokäuferIn­nen, die noch heute Vol­vo fahren. Was genau die Garage für mich getan hat, ist mir ein Rät­sel. Sich­er aber, dass sie alles Ver­trauen ver­spielt hat.

Diese Defiz­itkul­tur, also das Geschäft mit dem Unwis­sen, ist heute lukra­tiv und wird von sehr vie­len Fir­men gepflegt. Durch Macht­demon­stra­tio­nen stärk­er zu sein, ist eines der ältesten und natür­lich­sten Tierver­hal­ten: Man denke an die kleinen, süssen Brül­laf­fen im Busch von Guatemala (die lautesten Buschtiere dort), die klin­gen, als käme gle­ich ein Löwe um die Ecke. Mein Unwis­sen in Sachen Autotech­nik wurde scham­los aus­genutzt, und weil man im Dezem­ber noch gerne das Autoverkauf­sziel erre­ichen möchte, weil vielle­icht noch ein Bonus winkt, ist ein zufrieden­er Kunde kein The­ma, doch der gefeierte Mitar­beit­er das Ziel.

Die heuti­gen Garag­is­ten in den Werk­stät­ten wis­sen nicht son­der­lich viel mehr über Autos als die Kon­sumentIn­nen. Heute lernt man, wie man einen Com­put­er anhängt, die Diag­nosegeräte bedi­ent, Teile auswech­selt. Haben Sie schon mal einen Garag­is­ten erlebt, der den KundIn­nen zeigt, wie man eine ein­fache Abblend­lampe auswech­selt? Oder ist Ihnen schon aufge­fall­en, dass Garag­is­ten wesentlich sel­tener schmutzige Over­alls tra­gen? Dafür trägt man heute Hip­ster­bärte und Tat­toos und wenn der Garag­ist das Auto auf den Werk­platz fährt, set­zt er sich ohne Plas­tikschutz aufs Led­er. Bei der Vol­vo Car AG Bern ist das üblich. Vor neun Jahren noch nicht.

Diese, meine Geschichte, ist alles andere als eine Aus­nahme. Das SRF-«Kassensturz»-Team strahlte im Novem­ber 2019 einen Beitrag aus, bei dem gezielt prä­pari­erte Autos in grosse Gara­gen zur Prü­fung gegeben wur­den – mit fatalem Ergeb­nis. In Sachen Fehler­diag­nosen sind Gross­gara­gen recht schlecht – der Dienst am Kun­den eben­falls. Lieber trägt man gara­gen­in­tern Wet­tbe­werbe aus, wer gewisse Auf­gaben am schnell­sten lösen kann. Aber dabei geht es nie um die Kun­den­zufrieden­heit und den Kun­den an sich. Bei der Vol­vo Car AG Bern hat der Verkauf­sleit­er ein halbes Jahr ein Time­out genom­men, der Geschäft­sleit­er war eben­falls in den Ferien und ver­spürte nie das Gefühl, sich melden zu müssen. Der Mar­ket­ingleit­er spricht immer darüber, wie viel Arbeit er habe – als Kunde spürt man das aber nicht. Und Mails wer­den grund­sät­zlich nicht beant­wortet. Die Garage selb­st baut sich seit Jahren aus und um, die Mitar­beit­er haben es gemütlich, während die Kun­den nicht so recht wis­sen, wozu das alles sein soll: Nur der Verkauf­s­raum ist mon­strös gewor­den und der Ser­vice schlechter. Nach ein­er kurzen Umfrage in meinem Umfeld kenne ich nun vier Kun­den, die mit dieser Garage unzufrieden sind und sich eben­falls abgewen­det haben. Und dies allein im let­zten hal­ben Jahr. Kein gutes Zeichen.

Faz­it: Ich fahre mein Auto sei­ther wie zuvor – keine Prob­leme oder Schä­den. Ver­trauen ist gut, Kon­trolle ist bess­er. Lei­der. Ich werde mir eine kleine Garage suchen, wo ich die Arbeit­er auch gern für gute Arbeit bezahle. Aber egal ob Spen­gler, Elek­trik­er, irgendwelche Mon­teure oder Mechaniker – mein Ver­trauen gegenüber Handw­erk­ern ist klein­er gewor­den. Inter­net sei Dank, dass man viele Dinge selb­st über­prüfen kann. In Zukun­ft werde ich das ver­mehrt tun. Und für mich per­sön­lich ist es auch eine Lehre, wie ich mit meinen Kun­den umzuge­hen habe – oder eben nicht.

Artikel online veröffentlicht: 17. April 2020 – aktualisiert am 30. Juli 2020